Diszipliniertes Wachstum der Zuckerrüben

Durch den gestiegenen Zuckerpreis ist der Rübenanbau in Österreich wieder attraktiv. Die Kontrahierungen mussten mit 44.245 Hektar sogar limitiert werden. Die Zuckerfabrik in Leopoldsdorf steht damit außer Frage. Die Vertreter der 5.200 heimischen Rübenbauern warnen allerdings, die aktuelle Stabilität auf dem europäischen Zuckermarkt aufs Spiel zu setzen.

Aufgeschnittene Zuckerrüben als Symbolbild für die Generalversammlung der Rübenbauern
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Es waren harte Zeiten: Beginnend mit dem Auslaufen der Europäischen Zuckermarktordnung im Jahr 2017 sorgte von 2018 bis 2020 der Rübenderbrüssler für einen Kahlfraß bei den Rübenpflänzchen. Die Rübenproduktion in Österreich war unter Druck. Es haben sich immer weniger Bauern gefunden und die Zucker­fabrik in Leopoldsdorf war kurz vor der Schließung. In einer wochenlangen gemeinsamen Kraftanstrengung hat man es 2020 schließlich doch noch geschafft, 38.000 Hektar Anbaufläche zu kontrahieren und so die 150 Arbeitsplätze und die Fabrik zu sichern. Seither hat sich der Zuckermarkt in Österreich durch die Ausgewogenheit von Angebot und Nachfrage stabilisiert. „Jetzt ist Zeit, sich einmal zu freuen. Wir haben den Turn­around geschafft“, betont Ernst Karpfinger, Präsident der Vereinigung der Österreichischen Rübenbauernorganisationen, am Beginn der Generalversammlung des Rübenbauernbunds für NÖ und Wien. 

Der europäische Zuckerpreis ist aktuell mit 853 Euro pro Tonne Weißzucker doppelt so hoch wie 2022. Der Rübenanbau ist wieder attraktiv. Sogar so attraktiv, dass die Anbauflächen in Österreich auf 44.245 Hektar – davon sind 945 Hektar in Bio-Qualität – limitiert wurden. Seit Mitte Dezember wurden bei der Kontrahierung 2024 Neueinsteiger abgewiesen. Denn die oberste Prämisse lautet nun, den Zuckerpreis mit Mengendisziplin zu halten. Diese Strategie verfolgt man nicht nur hierzulande, sondern auch in Frankreich, Deutschland und Polen. Den Preisplafond sieht Karpfinger bei Zucker jedenfalls erreicht. 

Produktives Teamplay

„Gemeinsam an einem Strang zu ziehen, hat uns hierher gebracht“, erklärt Erwin Hames­eder, Obmann der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien und Agrana-Aufsichtsratsvorsitzender, die Erfolge der jüngeren Vergangenheit. Rübenbauern und Agrana seien auf dem richtigen Weg, auch mit der Limitierung der Anbaufläche, um einen Preisfall zu verhindern. Denn mit niedrigen Preisen könnten Werke schnell wieder infrage gestellt werden. Die Absicherung der österreichischen Zuckerproduktion – mit den zwei Werken in Tulln und Leopoldsdorf – ist der Agrana ein besonderes Anliegen, denn wie Hameseder betont: „Mit nur einer Zuckerfabrik ist die Autarkie der Zuckerversorgung nicht aufrechtzuerhalten.“ Um die Weichen für die Zukunft zu stellen, brauche es ein gegenseitiges Verständnis und einen laufenden Dialog: „In agilen Teams findet man auch Lösungen.“

Für Hameseder ist in Zeiten geopolitischer Verwerfungen jedenfalls klar: „Die beste Krisenvorsorge ist Unabhängigkeit. Ein gesunder Bauernstand ist die beste Basis für die Resilienz unserer Republik.“ Die Bauernproteste quer durch Europa sollten eine Mahnung sein und auch ein Auftrag, die Planungssicherheit für die EU-Bauern rasch wieder herzustellen. 

Immer mehr Verbote

„Landwirte haben aktuell ein Gefühl der Überforderung, das führt zur Artikulation mit Demonstrationen“, beobachtet auch Ernst Karpfinger. Gerade der europäische Green Deal sei mit seinen mehr als 135 Rechtstexten nicht durchgedacht und teilweise widersprüchlich. „Wir können viel, aber nicht alles auf einmal“, unterstreicht der Rübenbauernpräsident und konkretisiert: „Wenn die EU-Kommission tatsächlich Interesse an einer Selbstversorgung Europas mit Nahrungsmitteln hat, unter anderem auch mit Zucker, dann brauchen wir auch gewisse Werkzeuge zum Schutz unserer Kulturpflanzen.“ Seit 2018 ist ein Drittel der Wirkstoffe für die Zuckerrübe verboten worden, damit werde eine Kulturführung immer schwieriger. Gleichzeitig gibt es neue schädliche Bakterien, die durch eine Zikade übertragen werden, die die Rüben bis Bayern schon massiv betreffen. Und eine Notfallzulassung für ein bestimmtes Pflanzenschutzmittel sei in Österreich für Rübenbauern nur unter Auflagen möglich, während der Apfelblüte aber regulär zugelassen, ärgert sich Karpfinger. 

Um den Green Deal zu erreichen, hat die EU-Kommission die Sustainable Use Regulation (SUR) mit der Halbierung der Pflanzenschutzmittel bis 2030 vorgesehen. Im Februar erfolgte der Rückzug des angekündigten Vorschlags, auch durch den Druck der Bauernproteste, wie Agrarminister Norbert Totschnig berichtet. Er appelliert an die Kraft der Gemeinschaft: „Wenn wir eine Allianz in der EU bilden, bleibt die Landwirtschaft machbar. Verbotspolitik ist nicht der richtige Weg, sondern es braucht anreizbasierte Politik.“ 

Neue Auflagen für Rübenbauern bringt jedenfalls auch das Europäische Klimagesetz. Bis zum Jahr 2030 soll Zucker CO₂-neutral sein. „Die positive Wirkung von Rüben werden dabei nicht gegengerechnet“, kritisiert Karpfinger und rechnet vor: Ein Hektar mit 75 Tonnen Rüben verursacht 3 Tonnen CO₂, bindet aber gleichzeitig 36 Tonnen CO₂ aus der Luft. „Wir wehren uns nicht gegen Klimaschutz, aber die Maßnahmen müssen sinnvoll sein“, so der Rübenbauernpräsident. Ein Dorn im Auge ist Karpfinger auch, dass die EU-Kommission gleichzeitig die Türen für Importware öffnet, für die es kaum Auflagen gebe. 

Solidarität erfordert Stabilität

Im Jahr 2023 hat die EU etwa 440.000 Tonnen Zucker von der Ukraine importiert, das entspricht 32 Prozent der EU-Zuckerimporte. Nach Österreich kamen rund 3.500 Tonnen Zucker aus der Ukraine, so Totschnig. Für den Agrarminister ist klar: „Solidarität für die Ukraine erfordert Stabilität auf dem EU-Markt.“ Er fordert klare Regeln und Limits für Handelsliberalisierungen, um den ausgeglichenen Zuckermarkt nicht ins Wanken zu bringen. Auch Karpfinger sieht diese Gefahr: „Wir brauchen einen Riegel für das Freihandelsabkommen mit der Ukraine, sonst senden wir das Signal, dass wir noch mehr wollen.“ 

Die Anbauflächen in der Ukraine werden mehr und bald könnten eine Million Tonnen Zucker in die EU kommen, befürchtet Karpfinger. Die Europäische Kommission hat sich aber zuletzt darauf geeinigt, beim Überschreiten der durchschnittlichen Importmengen aus 2022 und 2023 wieder Zölle für Importzucker aus der Ukraine einzuführen, das sind etwa 290.000 Tonnen. Die Neuerung soll ab Sommer 2024 gelten. „Weniger wäre uns lieber“, so Karpfinger, mit dem klaren Zusatz: „Mit dem Widerstand gegen Russland leisten die Ukrainer sehr viel, aber die Solidarität darf nicht nur auf dem Rücken der Landwirtschaft erfolgen.“ Sollte der Zuckerpreis um 200 Euro fallen, dann würde der Solidaritätsbeitrag pro Rübenbauer im Schnitt bei 16.500 Euro liegen, so Karpfinger. 

Fokus auf Weltmarkt  

Auf dem Weltmarkt rechnet man heuer mit einer Seitwärtsbewegung beim Zuckerpreis, obwohl die Produktion in Indien und Thailand durch Wetterphänomene geringer ausfallen wird. Momentan liegt der Weltpreis für Zucker bei 588 Euro je Tonne. Den Weltmarkt genau im Blick hat auch der neue Agrana-Vorstandsvorsitzende Stephan Büttner, der heuer Festredner bei der Generalversammlung war. Auch er kritisiert die Zollfreiheit für ukrainischen Zucker, die deutliche Auswirkungen auf die Agrana habe. In den osteuropäischen Märkten, vor allem in Ungarn und Rumänien, aber auch in Bulgarien, gab es bei der Agrana Absatzrückgänge von bis zu 25 Prozent. „Das ist schon enorm“, so Büttner. 

Dem Konzern sei es aber durch die Differenzierung – Zucker, Stärke und Frucht – gelungen, gut durch schwierige Zeiten zu kommen. Büttner berichtet von einem „soliden Geschäftsjahr“ und deutlichen, preisgetriebenen Umsatzsteigerungen in den ersten drei Quartalen. Momentan profitiert der Konzern vor allem vom gut laufenden Zuckergeschäft. Der Umsatz der Zuckersparte schnellte im Vergleich zur Vorjahresperiode um 30,6 Prozent auf 861,5 Mio. Euro nach oben und der Betriebsgewinn (EBIT) von Zucker stieg um 19 Prozent auf 41,3 Mio. Euro.

Ende Jänner wurde die Rübenverarbeitung in den Zuckerfabriken Tulln und Leopoldsdorf beendet. Die Rübenkampagne dauerte heuer 110 Tage und aus 2,6 Mio. Tonnen Rüben wurden rund 418.000 Tonnen Zucker hergestellt. Im Jahr davor wurden 382.000 Tonnen Zucker aus 2,7 Mio. Tonnen Rüben gewonnen. Der Zuckergehalt in der abgeschlossenen Kampagne lag mit 16,9 Prozent über den 16,0 Prozent im Jahr davor. Bei einer Gesamterntefläche von knapp 36.200 Hektar lag der durchschnittliche Hektarertrag bei 74 Tonnen und damit, bedingt durch den trockenwarmen Sommer im Vorjahr, unter dem vorjährigen Ertragsergebnis von 78 Tonnen. 

Die zunehmenden Volatilitäten bei den Inputkosten – Rohstoffe, Energie und Personal – machen seinen Job auch so spannend, denn wie Büttner betont: „Das Risiko ist groß, aber dadurch auch die Chancen.“