Als Sie Anfang April gefragt wurden, ob Sie sich vorstellen können, den ÖFB zu übernehmen – wie viele Tage Bedenkzeit haben Sie sich erbeten?
Josef Pröll: Schon mehrere Tage. Ich war selbst sehr überrascht, als ich um ein Gespräch gebeten wurde, in dem ich offen meine Meinung zum ÖFB darlegen sollte. Ich habe dort ein sehr klares Bild gezeichnet und bin wieder gegangen, ohne daran zu denken, dass es sich in Richtung meiner Person verdichtet. Zu meiner Überraschung kristallisierte sich in der Folge heraus, dass ich im Rennen bin. Dann musste ich klären, ob der Posten mit meinem Brotberuf bei Raiffeisen in Einklang zu bringen ist und habe bei der Abstimmung beim ÖFB Einstimmigkeit verlangt. Die wurde auch hergestellt.
Wie sah das Bild aus, das Sie gezeichnet haben? In der öffentlichen Wahrnehmung kam der ÖFB zuletzt gar nicht gut weg.
Pröll: Ich habe das Bild so gezeichnet, wie jeder öffentliche Beobachter es nur tun kann. Nämlich, dass es Gräben gibt, dass es Blockbildung gibt, dass es gezielte Informationsdifferenzen gibt. Ich habe aber auch gesagt, dass es spannend ist, dass es bei all diesen Problemen gelungen ist, einen Teamchef wie Ralf Rangnick zu bestellen. Das hat mich extrem positiv gestimmt. Ein Team mit all diesen Themen im Hintergrund schafft es, mit so einer Bestellung eine große Euphorie zu erzeugen. Daran erkennt man, dass der ÖFB sehr schlagkräftig sein kann, wenn man nur will.
Was war letzten Endes Ihr persönlicher Antrieb, was hat den großen Reiz für Sie ausgemacht?
Pröll: Zwei Sachen. Erstens meine Erfahrung in der Politik, mit föderalen Strukturen umzugehen. Und der ÖFB hat per Definition eine föderale Struktur. Und zweitens aus der Wirtschaft zu kommen und zu sehen, dass man mit Attention und Managementpower wirklich etwas bewegen kann. Und das bei einem Thema, das ganz Österreich eint, nämlich Fußball. Tausende Funktionäre organisieren jedes Wochenende tolle Spiele in den verschiedensten Leistungsstufen, und das gipfelt im Nationalteam der Männer und Frauen. Das mitzugestalten, hat mich persönlich sehr gereizt.
Gleichzeitig mit Ihrer Bestellung wurde eine Strukturreform auf den Weg gebracht, die das ÖFB-Präsidium „entmachtet“ zugunsten der operativen Geschäftsführung, an deren Spitze ein noch zu bestimmender CEO stehen soll. Deswegen firmieren Sie auch nicht als Präsident, wie Ihre Vorgänger, sondern als Aufsichtsratsvorsitzender. Hat Sie das eher bestärkt oder abgeschreckt?
Pröll: Eindeutig bestärkt! Manche sagen, die Reform geht nicht weit genug, für andere geht sie schon viel zu weit. Ich sage: Es ist ein erster wichtiger Schritt der Professionalisierung in Richtung modernes Unternehmen, das Hauptamt zu stärken und die Eigentümerrolle mit einem Aufsichtsrat stärker wahrzunehmen. Für mich ist völlig nebensächlich, Präsident oder Aufsichtsratsvorsitzender zu sein. Viel wichtiger ist, an zentraler Stelle eine Professionalisierung des Fußballs zu bewirken. Das ist das, was mich treibt.
Ein großes Thema ist der langwierige Streit zwischen den beiden Geschäftsführern Thomas Hollerer und Bernhard Neuhold. Wissen Sie schon, wie Sie das Problem lösen wollen?
Pröll: Ich möchte das auf meinen eigenen Prüfstand stellen und nicht auf Zurufe von außen reagieren. Ich habe das unter Beobachtung, kann aber auch etwas Entwarnung geben, da beide in ihren jeweiligen Bereichen sehr gute Arbeit leisten. Ich erwarte allerdings auch von Mitarbeitern, dass sie abseits persönlicher Geschichten und Herausforderungen gute Arbeit abliefern. Derzeit ist noch völlig offen, wie wir damit umgehen.
Bis wann soll der neu zu schaffende Posten des CEO in der Geschäftsführung besetzt sein?
Pröll: Ich denke, dass sich diese Entscheidung über den Sommer entwickeln und spätestens im November abgeschlossen sein wird. Dann ist nämlich auch die Qualifikation für die WM 2026 zu Ende. Ich habe aber eines in der Politik gelernt: Vermeide jedes interne Störfeuer, das das Gesamtziel gefährden kann. Das Nationalteam soll absolute Ruhe haben, um sich auf die Qualifikation zu konzentrieren. Da brauche ich keine Aufwiegelung der operativen Einheiten, die dem Team zuliefern müssen.
„Es wäre sträflich, auf diesem Niveau irgendeine Mannschaft zu unterschätzen, da gibt es keine Jausengegner.“
Josef Pröll
Sie sprechen die WM-Qualifikation an, auf die Österreich seit 1998 sehnsüchtig wartet. Am 7. Juni geht es gegen Rumänien los, die weiteren Gegner heißen Bosnien & Herzegowina, Zypern und San Marino. Viele sagen: machbar, aber tückisch.
Pröll: Es wäre sträflich, auf diesem Niveau irgendeine Mannschaft zu unterschätzen, da gibt es keine Jausengegner. Bosnien hat Rumänien bereits geschlagen und sechs Punkte auf dem Konto, womit so nicht zu rechnen war. Aber wenn man sich unseren Kader anschaut und die Euphorie, die rund um das Team herrscht – das Spiel gegen Rumänien war in wenigen Tagen ausverkauft –, ist schon die Stimmung vorherrschend, dass wir es schaffen können.
Wie wichtig wäre eine WM-Teilnahme für den ÖFB aus sportlicher, aber auch aus wirtschaftlicher Sicht?
Pröll: Aus beiden Faktoren heraus ist es ein riesiges Ziel und eine große Chance, für die wir alle hart arbeiten werden. Die Weichen, das zu erreichen, wurden in der Vergangenheit gestellt, nicht zuletzt mit der Bestellung von Teamchef Ralf Rangnick. Ich bin heilfroh, an einem Schnittpunkt einsteigen zu können, an dem wir mit einem guten Kader, einem starken Leader wie Rangnick und einer machbaren Quali-Gruppe unsere erste große Aufgabe angehen.
Sie haben gesagt, dass Sie bereits ein längeres Gespräch mit dem Teamchef hatten. Ralf Rangnick war mit manchen Entwicklungen ja auch nicht glücklich. Ihr Eindruck?
Pröll: Es ist ja kein Wunder, dass jemand, der international derart erfolgreich war, auch ein Auge auf die internen Abläufe hat und sich Gedanken macht. Unser Gespräch war von gegenseitigem Respekt getragen und von sehr offenen Worten geprägt. Aus meiner Sicht haben wir eine gute Basis für eine gemeinsame Zukunft gelegt.
Manche sagen, dass Sie und Ralf Rangnick sich in ihren Macher-Qualitäten durchaus ähneln. Nehmen Sie das auch so wahr?
Pröll: Ich glaube schon, dass er hohe Ansprüche hat und ein Macher ist, der an Klarheit nichts vermissen lässt, auch mir gegenüber. Der auch deutliche Wünsche und Ziele formuliert. Und das ist gut so. Ob dann am Ende alle Wünsche realisierbar sind? Wahrscheinlich nicht. Es geht ja oft auch um Geld, um Ressourcen, da muss der ÖFB auch den Breitensport im Auge haben.
Welches war der größte Wunsch, den er an Sie herangetragen hat?
Pröll: (lacht) Da sind wir noch nicht so sehr ins Detail gegangen. Aber als Menschen, die Entscheidungen treffen, sind wir beide fähig, eine Balance zu finden. Klar ist: Wir wollen Machbares machbar machen und sagen Nein zu Dingen, die nicht darstellbar sind.
Rangnicks Vertrag läuft bis Ende des Jahres und verlängert sich automatisch bis zur WM, wenn die Qualifikation geschafft wird. Ist eine Verlängerung darüber hinaus für Sie derzeit ein Thema?
Pröll: Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem es für uns alle nur ein Ziel geben kann: zur WM zu fahren. Darauf konzentrieren wir uns, deshalb stehen vor dem 18. November (Anm.: letztes Spiel der WM-Qualifikation) keine Vertragsdebatten an.
Ihr persönlicher Planungshorizont wird ja deutlich über die WM 2026 hinausgehen. Welches sind Ihre Leuchtturm-Projekte für den ÖFB? Viele hoffen auf ein neues Nationalstadion.
Pröll: Ich habe mit dem Teamchef über eine Mehrzweckarena gesprochen und vertrete diese Idee absolut. Ich glaube, dass Wien eine derartige Arena braucht. Ich trete aber auch zu einem Zeitpunkt an, wo das Land in einer Rezession ist und budgetär in einer Konsolidierungsphase, von der ich als ehemaliger Finanzminister ganz genau weiß, wie sie sich darstellt. Deswegen ist meine Priorität: Ruhe in den Verband bringen. WM-Teilnahme organisieren. Euphorie steigern. Und dann dieses aus meiner Sicht wichtige Projekt forcieren und mithilfe der öffentlichen Hand und privaten Geldgebern voranzutreiben. Wir befinden uns derzeit in einer angespannten Situation, werden aber sicher nicht von diesem Ziel zurücktreten.
Wenn wir jetzt bei „Wünsch Dir was“ wären – wie würde die ideale Arena aussehen?
Pröll: (lacht) Ich habe nicht den Anspruch, eine Arena aus dem geistigen Bereich aus dem Boden zu stampfen, sondern frage pragmatisch: Was brauchen wir? Die Arena kann nicht nur auf den Fußball zugeschnitten sein, soll eine wirkliche Identifikationsstätte für den Sport, aber auch offen für Kultur- und Vielfach-Nutzung sein. Und dann können wieder internationale Spiele ganz anderer Dimension, wie beispielsweise ein Europacup-Finale in Österreich stattfinden. Auch das ist ein wichtiger Punkt, der weit über das zentrale Wollen des ÖFB hinausgeht.
Der Bau des ÖFB Campus in Aspern, die neue strukturelle und sportliche Heimat des Verbandes, geht in die Zielgeraden. Haben Sie sich schon vor Ort ein Bild gemacht?
Pröll: Ich bin in dieser Woche bei der kompletten Belegschaft und möchte überall hineinhorchen, wo die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter liegen. Dabei werde ich mir einen Termin noch vor dem Sommer mit den Verantwortungsträgern für den Campus ausmachen, um mir die Entwicklung in Aspern anzuschauen.
Haben Sie vor, sich dort auch ein Büro einzurichten?
Pröll: Nein, ich brauche kein eigenes Büro beim ÖFB. Ich bin total down to earth. Ich habe hier im Raiffeisen-Haus meinen Brotberuf, der absolut im Zentrum meines Lebens steht. Von hier aus mache ich meinen Job, für alles andere brauche ich kein Büro. Viel wichtiger sind Begegnungen mit Mitarbeitern. Da habe ich wirklich keine Allüren.