Die KI spielt mit 

Spätestens seit dem Erscheinen der Kommunikationssoftware ChatGPT ist das Thema Künstliche Intelligenz erneut in aller Munde. Und auch im Theater haben unterschiedliche KIs mittlerweile den Sprung auf die Bühne geschafft.

Symbolbild für ein KI Konzert
Anlässlich der Veranstaltungsreihe „Future Lab“ zeigte das Schubert Theater auch ein KI-Konzert. © Simon Meusburger via Midjourney

Maschinen, die Musikstücke komponieren, Gemälde kreieren oder Gedichte verfassen: All das ist heute keine Besonderheit mehr und klingt doch oder gerade deshalb beängstigend. Hat der Mensch als kreatives Wesen bald ausgedient, könnte man provokativ fragen. Die Antwort lautet – soviel gleich vorweg – Nein! Denn eine KI ist nicht in der Lage, ohne den Menschen eine mit dessen Schaffen vergleichbare kreative Leistung zu erbringen. Um etwas Komplexes wie ein Theaterstück zu erstellen, bedarf es nach wie vor intensiver Be- und Verarbeitung. 

„Ohne dem Wissen, wie du KI für ein bestimmtes Projekt anwenden kannst, wirst du schnell in den tausend Möglichkeiten untergehen“, weiß Lisa Zingerle, Co-Direktorin des Schubert Theaters. Das Wiener Figurentheater, das sich seit zwei Jahren im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Future Lab“ gezielt mit technologischen Evolutionen auseinandersetzt, hat bereits 2019 mit „Pinocchio“ ein von einer KI generiertes Stück auf die Bühne gebracht. Rund 70–80 Prozent des Textes sind damals vom Sprachmodell von Open AI GPT2 erstellt worden. Irgendwann kam GPT 2 mit der Komplexität des vorgegebenen Themas allerdings nicht mehr zurecht „und so gab es nach einigen Absätzen Wiederholungen oder unsinniges Gebrabbel“. Für die Dramaturgie war das damals „natürlich sehr wertvoll, wenn eine KI sozusagen durchdreht“, betont Zingerle. 

Was wir sehen 

Das Wiener Figurentheater brachte mit „Pinocchio“ schon 2019 ein KI-generiertes Stück auf die Bühne.
Das Wiener Figurentheater brachte mit „Pinocchio“ schon 2019 ein KI-generiertes Stück auf die Bühne. © Barbara Palffy

Auch wenn so etwas mit dem wesentlich weiterentwickelten Programm ChatGPT heute nicht mehr passiert, einen Dramaturgen ersetzen kann auch diese KI nicht. „Echte Kreativität kriegt künstliche Intelligenz bis dato nur sehr beschränkt hin. Was AI natürlich kann, ist, menschliche Kreativität zu rekombinieren oder zu erweitern“, beton Kai Krösche, Regisseur und künstlerischer Leiter des Performancekollektivs DARUM. In seiner letzten Produktion beschäftigte sich Krösche „mit den Manipulationsmechanismen zeitgenössischer Verschwörungserzählungen“. 

Mit der breiten Verfügbarkeit generativer künstlicher Intelligenz hätte diese Desinformation laut Krösche heute eine neue Dimension erreicht. „Plötzlich ist es jedem möglich, zielgruppengerechte Fake News mit vergleichsweise wenig Aufwand zu erzeugen – in allen erdenklichen Sprachen, überzeugend formuliert, mit erfundenen Pseudo-Belegen und den dazugehörigen künstlich erzeugten, aber oft verblüffend echten Bildern.“ Für die Performance „Linie Q – Ein No-Escape Room“ arbeiteten Krösche und sein Team dementsprechend bewusst mit manipulierten Bildern. Dabei sollte das Ergebnis jedoch, anders als von den Manipulatoren gewünscht, stets als „künstlich generiert“ sichtbar bleiben. 

Verwendet wurde hierfür die Bildgenerierungssoftware DALL-E 2, deren „Uncanniness“ (Unheimlichkeit) stets noch auf das Gemachte der Ergebnisse hinweisen. Während man für die Videosequenzen die erst im Juni erschienene Video-Synthese „Gen-2“ von Runway, welche auf Texteingaben hin viersekündige Clips erzeugen kann, verwendete, zeichnete das Programm Midjourney für die Kostümentwürfe verantwortlich. Dass Programme wie diese beispielsweise Bühnen- oder Kostümbildner im Theater ersetzen, ist jedoch unwahrscheinlich. Der Kostümfindung ist „ein Prozess vorangegangen, in dem man sich erst einmal überlegt hat, in welche Richtung das Ganze überhaupt gehen soll – die KI hat da den Prozess allenfalls erleichtert oder verschnellert. Oder nehmen wir den von Simon Dietersdorfer eingesprochenen Text im zweiten Teil von ‚Linie Q‘ – mittels KI wurde seine Stimme in vier verschiedene Stimmen (ein alter Mann, zwei Frauen, ein Kind) verfremdet. Da könnte man jetzt natürlich ganz düster sagen: Da haben wir jetzt vier Sprecher wegrationalisiert. Tatsächlich aber brachte uns überhaupt erst die Technologie selbst auf die Idee“, erklärt Krösche.

Guck mal, wer jetzt spricht

Waren früher computergenerierte Stimmen ohne weiteres zu erkennen, so ist dies heute nicht mehr so leicht der Fall. Wie weit diese Entwicklung gehen könnte, etwa wenn Verstorbene zu uns sprechen, darüber sinnierte kürzlich die Gruppe „Laokoon“ im Kasino des Burgtheaters mit ihrem Stück „Keine Menschenseele“. Dem Stück vorausgegangen war eine jahrelange Recherche zu KI-generierten Stimmen. Ein Bereich der Technik, dem sich aktuell auch das Schubert Theater widmet. „Beim ‚Spaziergang für die Figur 2023‘ entwickelten wir gemeinsam mit dem Artificial Museum eine AR-Station über den Hacktivisten und Wunderkind-Programmierer Aaron Swartz, an der wir momentan weiterarbeiten, um sie mit KI-generierten TTS (text to speech) zu verbinden“, erklärt Zingerle. Das Projekt soll im September beim Ars Electronica Festival in Linz zu erleben sein. 

Bereits auf dem Ars Electronica Festival ausgezeichnet wurde das Performancekollektiv „Fronte Vacuo“. Die Gruppe arbeitet unter anderen mit Robotik, Machine Learning und KI-Algorithmen, interaktiven Sound- und Videosystemen und ist derzeit noch bis 2024 Artist in Residence am Wiener Volkstheater.

Und auch Kai Krösche arbeitet gemeinsam mit Victoria Halper von DARUM bereits am nächsten Stück. Geplant ist ein „Virtual-Reality-Projekt, das die Frage danach stellt, wie ein verlassenes, weil bereits durch neue Versionen überholtes ‚Metaversum‘ aussehen könnte und welche menschlichen Spuren in einer solchen toten digitalen Welt hinterlassen worden sein könnten“. Das Publikum soll sich in „dem neuen Projekt frei in einer dreidimensionalen virtuellen Umgebung bewegen können. Wenn es uns gelingt, soll es auch Möglichkeiten der verbalen Interaktion mit KI-gesteuerten NPCs (non playable characters) geben“, erklärt Krösche. 

Chance zur Annäherung

Dass das Publikum mitunter skeptisch auf derlei Vorstöße reagiert, ist laut Zingerle nachvollziehbar. Vielen mache es „Angst, weil sie fürchten, ihr vertrautes und geliebtes Theater zu verlieren“. Zur Aufführung „kommt also eine große Portion an Vermittlungsarbeit dazu, denn nicht jeder hatte bereits eine VR-Brille auf oder weiß, ob das Smartphone AR unterstützt oder nicht. Das bringt eine Unsicherheit, die manche auch als Ausrede nutzen, um gleich alles am digitalen Theater zu verteufeln.“ Die technische Weiterentwicklung möchte man trotz allem „nicht ignorieren. Wir sehen sie als Möglichkeit, als Chance, sich Themen mit modernen Methoden zu nähern. Und anstatt großen Playern wie Metaverse und Apple das Feld alleine zu überlassen, mischen wir lieber von Anfang an mit.“ Auch hätte laut Krösche die Kunst „gar keine andere Wahl“, als generell auf gesellschaftliche Entwicklungen im Allgemeinen „zu reagieren, wenn sie auch morgen und übermorgen noch ihre Relevanz erfolgreich verteidigen will“.