„Jetzt schlagen wir ein neues Kapitel auf“

Markus Mühleisen hat das Ruder bei der Agrana übernommen und ist von der Milch – er war zuletzt Deutschland-Chef des deutsch-dänischen Molkereikonzerns Arla – ins Zucker-, Stärke- und Fruchtgeschäft gewechselt. Wir sprachen mit ihm über Fußstapfen, die keine sind, und warum der genossenschaftliche Gedanke motivierend ist.

Herr Mühleisen, war Ihnen die Agrana vor Ihrem Jobangebot als CEO ein Begriff?
Markus Mühleisen: Ja natürlich. Wie Sie wissen, habe ich die letzten drei Jahre das Deutschlandgeschäft von Arla Foods geleitet. Agrana war einer unserer Lieferanten. Wir haben im Speziellen mit der Agrana Frucht neue Joghurts entwickelt.

Was hat Sie dazu bewogen, zur Agrana zu wechseln?
Mühleisen: Zunächst freue ich mich riesig, hier zu sein – hier in Österreich, in Wien und bei der Agrana. Agrana ist ein starkes, innovatives und – wie ich meine – auch gut positioniertes österreichisches Unternehmen, aber mit globaler Reichweite. Ich sehe sehr sehr viel Potenzial, und nachdem ich Agrana von der Kundenseite aus kennengelernt habe und auch schon gesehen habe, was Agrana leisten kann, gerade was Innovationen angeht, hat es mich sehr gereizt, diese Aufgabe von Herrn Marihart zu übernehmen.

Sie haben Wirtschaftswissenschaften studiert, haben aber immer in der Nahrungsmittelindustrie gearbeitet. Lebensmittel scheinen für Sie eine wichtige Rolle zu spielen …
Mühleisen: Eine sehr wichtige Rolle. Und ich finde, es ist eigentlich ein großes Privileg, in der Lebensmittelindustrie zu arbeiten. Lebensmittel sind Teil der Kultur, sind Teil von dem, was uns ausmacht, auch als Gesellschaft. Lebensmittel sind, wie der Name auch schon sagt, notwendig zum Leben, und gerade jetzt in der Corona-Krise hat man deutlich gesehen, wie wichtig eine funktionierende Lebensmittelkette und Lebensmittelbranche für die Gesellschaft ist. Auch wenn man langfristig an eine wachsende Weltbevölkerung denkt, die ernährt werden möchte: Wie kann man sicherstellen, dass man gesunde Lebensmittel produziert, auch nachhaltig? Wie kann man es aber auch bewerkstelligen, dass sich die Menschen gute Lebensmittel auch leisten können? Da kann Agrana einen ganz großen Beitrag leisten.

Johann Marihart war fast 45 Jahre bei der Agrana. Wie schwierig ist es, in die Fußstapfen eines Langzeit-Managers zu treten?
Mühleisen: Also zunächst, Marihart ist ein Urgestein. Nicht nur für Agrana, sondern für die gesamte Raiffeisen-Familie, und nicht nur, weil er einer der am längst gedienten CEOs in der Branche ist. Es ist mir eine große Ehre, seine Nachfolge anzutreten. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass ich in seine Fußstapfen trete. Ich werde auf das aufbauen, was er die letzten drei Jahrzehnte gebaut hat, und dann zusammen mit dem Vorstand und dem gesamten Agrana-Team das nächste Kapitel in der Geschichte aufschlagen. Ich bin ihm sehr zu Dank verpflichtet, er war wirklich hilfreich in der Übergabe. Wofür Agrana heute steht, hat Marihart maßgeblich beeinflusst und aufgebaut, das ist für mich ganz klar. Und jetzt schlagen wir ein neues Kapitel auf.

Arla Foods ist genossenschaftlich organisiert -eine Rechtsform, die auch der Agrana -über den Eigentümer Raiffeisen – sehr nahe steht. Welche Erfahrungen haben Sie mit Genossenschaften bisher gemacht?
Mühleisen: Ich fand es enorm motivierend, direkt mit unseren Landwirten zusammenzuarbeiten. Moderne Landwirtschaft ist nicht einfach, ich habe die allergrößte Hochachtung vor dem, was moderne Landwirte heute leisten müssen. Auf der einen Seite die gesellschaftlichen Anforderungen, auf der anderen Seite aber auch einen wirtschaftlichen Betrieb zu führen in einem harten Wettbewerbsumfeld. Auch der genossenschaftliche Gedanke, zusammenzuarbeiten und zusammen Ziele zu erreichen, ist sehr motivierend – nicht nur für mich, sondern für alle Mitarbeiter. Man könnte das mit dem neuen Wort „purpose“ beschreiben, also mit Sinnhaftigkeit bei dem, was man tut. Das lässt sich sehr gut mit dem genossenschaftlichen Gedanken vereinbaren.

Die Agrana ist über die letzten Jahrzehnte von einem österreichischen mittelständischen Unternehmen zu einem Konzern mit 56 Standorten weltweit gewachsen und hat auf Diversifikation gesetzt. Ist die Agrana mit den drei Standbeinen Zucker, Stärke und Frucht nun optimal aufgestellt?
Mühleisen: Natürlich muss ich mich jetzt erst einmal einarbeiten, das Geschäft verstehen und vor allem auch viele Gespräche führen. Sowohl intern wie auch extern mit unseren Kunden, um zu verstehen, was läuft gut, was läuft nicht so gut. In der Tat, die Strategie, die Agrana bisher gefahren hat, mit einem diversifizierten Portfolio im Food-und auch Non-Food-Bereich, ist sehr erfolgreich gewesen, und die werden wir jetzt erstmal natürlich fortsetzen. Aber dann möchte ich auch gemeinsam mit dem Vorstand und den Führungskräften darüber nachdenken, wie wir uns weiterentwickeln wollen. Es gibt in allen Bereichen des Unternehmens spannende Ansätze dafür -so viel habe ich schon gesehen. Aber ich möchte gerade auch gemeinsam mit unseren Kunden überlegen, wo könnte Agrana noch hilfreich sein. Das ist auch das, was ich mitbringe, nämlich die Kundenperspektive. Einer der Gründe, glaube ich, den dieser Wechsel symbolisieren soll, ist, dass wir noch näher an unsere Kunden herangehen wollen, dass wir noch besser schauen wollen, wo gibt es Chancen im Markt. Das wird jetzt eine Weile dauern, bis wir das definiert haben. Aber wie gesagt, es gibt hier viel, worauf wir aufbauen können.

Generaldirektor Marihart hat in seinem Abschiedsinterview mit uns gesagt, er sieht noch viel Entwicklungspotenzial bei der Agrana. Wo sehen Sie dieses Potenzial?
Mühleisen: Es ist noch ein bisschen früh, hier konkret etwas sagen zu können -ich bin ja jetzt gerade zwei Wochen hier. Ich habe aber schon mit vielen Mitarbeitern gesprochen und weiß, dass es viele fundierte Überlegungen und Ideen gibt. Die möchte ich mir erst anhören und auch verstehen. Gerade heute morgen hatte ich ein Gespräch mit einem unserer wichtigsten Kunden, um eben in der Tat zu hören, was wollen die Kunden. Es ist ja das Eine, was wir machen wollen, das Andere ist, was wollen die Kunden haben.

Die Agrana hat in ihre jüngste Bilanz erstmals eine Klimastrategie integriert und will den Weg in Richtung Klimaneutralität in den nächsten Jahren gehen. – Ein Erbe, das Sie belastet?
Mühleisen: Überhaupt nicht. Für mich ist völlig klar: Nachhaltigkeit und insbesondere, wie wir den Klimawechsel meistern, ist eine der ganz großen Aufgaben, die wir alle momentan haben. Agrana -so wie ich das einschätze -hat hier bereits viel Vorarbeit geleistet, wo andere uns nachfolgen werden. Für mich ist das ein sehr wichtiges Thema. Und ich weiß, dass das auch für unsere Kunden und für die Gesellschaft insgesamt ein sehr wichtiges Thema ist. Daher könnte ich mir gut vorstellen, dass wir in der Zukunft sogar noch mehr Fokus darauf legen. Das ist natürlich immer auch mit Kosten verbunden. Daher müssen wir überlegen, wie man das wirtschaftlich darstellen kann. Es gibt viele gute Ansätze, gute Strategien -und eigentlich könnte man noch viel mehr machen. Am Ende muss es sich aber auch rechnen. Wir werden an diesem Thema dranbleiben, auch, weil es auf Seiten des Aufsichtsrates großes Interesse gibt, das weiter voranzutreiben – wie ich aus einem Gespräch mit unserem Aufsichtsratsvorsitzenden Hameseder weiß.

Apropos Aufsichtsrat: Raiffeisen ist bekanntlich ein Eigentümer mit starken Führungspersönlichkeiten. Wie sehen Sie das Verhältnis Management -Aufsicht?
Mühleisen: Ich finde es immer gut, wenn es starke Persönlichkeiten gibt. Aus dem eher offenen und ehrlichen Austausch ergeben sich dann oft die besten Positionen. Wir haben unterschiedliche Aufgaben. Der Aufsichtsrat hat seine Aufgaben, der Vorstand hat seine Aufgaben, und aus einer guten Zusammenarbeit wird man das beste Ergebnis erzielen.

Wie würden Sie sich als Führungskraft beschreiben?
Mühleisen: Das ist immer eine schwierige Frage. Vielleicht kann ich es so beantworten: Von anderen wurde mein Führungsstil beschrieben als modern, partizipativ und auf die Menschen bezogen. Aber auch im Team gemeinsam zum Erfolg zu kommen. Das weckt großes Interesse, das habe ich aus den ersten Gesprächen hier bei Agrana schon gemerkt. Agrana ist inzwischen ein globales Unternehmen und dazu gehört ein moderner, globaler Führungsstil.

Wo holen Sie sich Kraft und Ausgleich für einen so anspruchsvollen Job?
Mühleisen: Also zunächst natürlich von der Familie. Ich bin verheiratet, wir haben drei erwachsene Söhne. Familie ist natürlich eine große Stütze. Ich versuche ein bisschen Sport zu machen, leider nicht genügend. Ich fahre gerne Rad, auch Ski und ich freue mich tatsächlich schon sehr, hier ein paar Tage mehr auf Skiern zu stehen als das vielleicht in der Vergangenheit möglich war. Ich reise sehr gerne -das ist auch hilfreich in meiner Tätigkeit, weil man natürlich auch immer neue Menschen trifft, neue Eindrücke gewinnt. Und ich lese gerne Bücher. Meine Frau und ich wollen natürlich auch das kulturelle Leben hier in Österreich und speziell in Wien genießen und erkunden.

AusgabeRZ25-2021

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