Friedensfürst und Unterdrücker

Lange Zeit als machthungriger Reaktionär verdammt, bemühte sich Metternich, dessen Geburtstag sich am 15. Mai 2023 zum 250. Mal jährt, zeitlebens ebenso um ein friedliches Europa.

Es soll ein besonders glanzvolles Fest gewesen sein, das Metternich im Zuge des Jahrestages der Völkerschlacht von Leipzig in seinem Gartenpalais am Rennweg veranstaltet hatte. Unter seiner Leitung tanzte nicht nur Europas illustre Gesellschaft – darunter mehrere Monarchen – vielmehr wurde vom 18. September 1814 bis zum 9. Juni 1815 eine europäische Sicherheitsordnung erarbeitet, die das Kräfteverhältnis nach den Napoleonischen Kriegen in Balance halten und Frieden gewährleisten sollte. Rund 33 Jahre nach dem für Metternich so erfolgreich verlaufenen Wiener Kongress, sollte der Pöbel Metternichs Anwesen stürmen und dessen, sich gerade in Bau befindlichen, Palais beschädigen. 

Der einstige „Kutscher Europas“, der als Österreichs Außenminister von Wien aus Europa neu ordnete, war den Menschen zum verhassten Unterdrücker geworden. Gerne wurde jedoch bei aller Kritik am sogenannten „Metternichschen System“ vergessen, dass Metternich als Staatskanzler nicht immer so frei walten und schalten konnte, wie es seiner Überzeugung entsprochen hätte. So fand er beispielsweise in dem seit 1826 für Finanzen und Inneres zuständigen Minister Franz Anton Graf von Kolowrat-Liebsteinsky einen Kontrahenten, der nicht nur massiv gegen ihn Stimmung machte, sondern dessen Konkurrenz letztendlich zur totalen Stagnation im Reich führte. Nicht vergessen sollte man auch, dass es letztendlich der zum guten (Biedermeier-)Kaiser Franz stilisierte Franz I. war, der bis zu seinem Tod 1835 das letzte Wort hatte. So waren Metternichs Bemühungen für eine föderative Neustrukturierung im Reich nach dem Wiener Kongress an seinem Widerstand gescheitert. 

Das Reformprogramm, das unter anderem die vermehrte Errichtung und Stärkung der Hofkanzleien vorsah, verfolgte laut dem Metternich-Biografen Wolfram Siemann das Konzept der „Einheit in der Vielheit“. Metternich erscheint damit als „wichtiger Reformpolitiker, der das Jahrhundertproblem zu lösen suchte, verschiedene Nationalitäten in einen Staat einzubinden“. 

Vereintes Europa

Metternich als Vorreiter eines vereinigten Europas? Das mag manchen zu weit führen – Tatsache ist allerdings, dass Metternich das größte Problem für den Erhalt des Friedens im aufkommenden Nationalismus sah. Fest steht allerdings auch, dass seine Vorstellung eines friedlichen Europas, eine aus altehrwürdigen Dynastien an der Spitze, mit dem Adel als Vermittler zwischen Volk und Monarchen war. Damit teilte Metternich die Ansichten des irisch-britischen Politikers und Staatsphilosophen Edmund Burke, den er während seiner ersten Englandreise im Parlament erleben durfte und dessen Bestseller „Reflections on the Revolution in France“ einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen hatte. 

Laut Siemann hatte Metternich in Burkes Schrift als angehender Politiker „den ‚Weg der Mitte‘ zwischen dem Radikalismus der Royalisten, die er für Absolutisten hielt, und dem der Jakobiner, die er als Demagogen begriff“, entdeckt. Bereits an der Seite seines Vaters hatte Metternich in jungen Jahren in den Österreichischen Niederlanden die Gelegenheit bekommen, sich mit den Ansichten der Revolutionäre ebenso wie mit jenen der geflüchteten französischen Royalisten vertraut zu machen und in Folge erste Schritte auf dem Parkett der internationalen Diplomatie zu beschreiten. Den Karriere-Höhepunkt erlebte er als Leiter des Wiener Kongresses. 

Metternich selbst sah seine Rolle nüchtern: „Heute bringe ich mein Leben zu, die morschen Gebäude zu stützen“ und wünschte sich in einem Brief an seine Geliebte Dorothea von Lieven, im Jahre 1900 geboren worden zu sein und das 20. Jahrhundert vor sich zu haben. Im 20. Jahrhundert sah man ihn vor allem als eitlen, selbstgefälligen Machtmenschen. Mit der Biografie „Metternich. Stratege und Visionär“ legt Wolfram Siemann ein differenziertes Bild vor. Und auch Stefan Müllers 2023 erschienener „der kleine metternich“ lädt zu einer humorvollen Beschäftigung mit dem „Bad-Guy-Image“ des einstigen Staatsmanns ein. 

AusgabeRZ19-2023

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