„Hier ist die Action“

Die Steirerin Michelle Diepold gehört zu den stärksten Naturbahn-Rodlerinnen der Welt, die selbst ein Knöchelbruch nicht stoppen kann.

Michelle Diepold beim FIL World Cup ­in Obdach
Michelle Diepold beim FIL World Cup ­in Obdach © GEPA Pictures/Hans Oberlaender

Unbändiger Ehrgeiz lässt einen manchmal Dinge tun, über die man selbst im Nachhinein den Kopf schüttelt. Bei Michelle Diepold war das im Jänner vor einem Jahr der Fall. Beim Training vor dem Weltcup-Rennen im rumänischen Vatra Dornei unterlief ihr ein klassischer Fahrfehler, der allerdings schmerzhafte Folgen nach sich zog. „Ich bin zu spät in die Kurve eingefahren, hab einen Schlag erwischt und bin von der rechten auf die linke Seite der Bahn geschossen“, erzählt die 26-Jährige. „Leider wurde dabei mein Fuß zwischen Bande und Rodel eingequetscht.“ 

Doch ihre Gedanken drehten sich weniger um die körperlichen Malaisen als vielmehr darum, wie sie im Rennen am nächsten Tag doch noch die nötigen Punkte einheimsen kann, um ihre Platzierung im Weltcup nicht zu verlieren. „Ich wollte erst meinen Schuh nicht ausziehen, weil ich wusste, dass dann mein ganzer Fuß anschwillt. Irgendwie habe ich es doch geschafft, an den Start zu gehen und bin sogar Sechste geworden. Mit dem Wissen von heute würde ich das allerdings bestimmt nicht nochmal machen.“

Das Wissen von heute besagt, dass sie damals einen Knöchelbruch erlitt, der später in Innsbruck operiert und zweimal verschraubt werden musste. Gips, Reha, es waren harte Wochen, die dem Unfall folgten. Doch diesmal war der Ehrgeiz ein hilfreicher Genosse. „Knöchelbrüche sind in unserem Sport eine ganz klassische Verletzung. Viele Athleten, die einmal einen erlitten haben, kamen nachher noch besser auf die Bahn zurück. Das wollte ich auch schaffen.“

Der Weg zurück

Allein der Kopf spielte nicht so ganz mit. Denn vor der aktuellen Saison, die Ende Februar mit dem Weltcup-Finale in Umhausen endete, beschlich sie das Gefühl, sich erst einmal wieder an die rasanten Fahrverhältnisse gewöhnen zu müssen. „Ich habe am Anfang gemerkt, wie sehr der Sturz an mir genagt hat und dass ich in einen Panik-Modus verfallen bin, sobald auf der Strecke etwas Unplanmäßiges passiert ist.“ 

Wer schon mal ein Rodel-Rennen auf einer Naturbahn gesehen hat, weiß, wie wild so ein Ritt sein kann und dass Unwägbarkeiten zum Geschäft dazugehören. Trotzdem gelangen ihr zum Auftakt die Plätze acht und vier. Für die Umstände okay, aber eben nicht das, was Michelle Diepold aus den Jahren davor gewohnt war. „Da bin ich schon immer um die Stockerl-Plätze mitgefahren, so wie es mir zum Ende dieser Saison dann auch wieder gelungen ist.“

Eine halbwegs zufriedene Bilanz also, was auch für das Jahres-Highlight gilt, die Weltmeisterschaften Mitte Februar. Ursprünglich hätten diese genau auf der Bahn in Rumänien ausgetragen werden sollen, auf der Diepold sich den Fuß verletzte. Weil dort das Wetter aber nicht mitspielte, wurde der Event nach Südtirol verlegt, sehr zum Gefallen der Hobby-Fotografin. „Am Ende wurde ich Sechste und war mit meiner Leistung auf der Bahn sehr zufrieden. Auch wenn es mein großes Ziel ist, auch bei einer Weltmeisterschaft im Elite-Bereich mal eine Medaille zu gewinnen.“

Starker Start

Wie sich das anfühlt, zumindest im Junioren-Bereich, hat Michelle Diepold 2015 erfahren, „das war meine coolste Saison überhaupt“, wie sie selbst sagt. Tatsächlich war es eine beeindruckende Sammlung an Erfolgen, die ihr in diesem Jahr zuteilwurden. „Ich wurde Nachwuchs-Weltmeisterin, österreichische Staatsmeisterin und steirische Nachwuchssportlerin des Jahres, was für die gesamte Sportart ein schöner Boost war“, sagt sie. Dass sie, praktisch nebenbei, noch ihre Matura in jedem Frühjahr absolvierte, war das Tüpfelchen auf dem i. Seit diesem Jahr gehört sie nicht nur zur nationalen, sondern auch zur internationalen Spitze des Sports, der immer auch ein bisschen im Schatten seiner großen Schwester, dem Kunstbahn-Rodeln, steht.

Michelle Diepold
Für Michelle Diepold ist Olympia kein Karriereziel, da das Rodeln dort nur in der Kunstbahn stattfindet. © GEPA Pictures/Hans Oberlaender

Angefangen hat Diepolds Karriere im Alter von 14 Jahren. „Also ziemlich spät“, wie sie die Gepflogenheiten im Profisport einordnet. „Gefühlt saßen meine italienischen Altersgenossinnen da schon zehn Jahre auf der Rodel. Dementsprechend hart waren die ersten Jahre.“ Strecken kennenlernen, ein Gefühl für das technisch anspruchsvolle Sportgerät entwickeln, das alles musste sich erst einmal einspielen. Dementsprechend groß war die Überraschung, als der gerade einmal 18-jährigen Michelle der große Coup gelang. Bei der Junioren-WM in Rumänien gewann sie Bronze. Und die Erkenntnis, es weit bringen zu können, wenn man vieles dem Sport unterordnet.

Kunstbahn? Langweilig

Dabei wagte sie durchaus auch mal einen Abstecher auf die Kunstbahn, um zu sehen, ob ihr die deutlich medienwirksamere Disziplin nicht auch taugt. „Ich habe aber gemerkt, dass mir da die Action fehlt. Auf der Naturbahn ist man viel aktiver, muss sich aufsetzen, bremsen, in die Kurve legen. Man kann auf der Strecke viel mehr rausholen. Deswegen habe ich den Gedanken an einen Wechsel schnell über Bord geworfen.“

Und damit wohl auch die Möglichkeit, jemals an Olympischen Spielen teilzunehmen, für viele Athleten der große Karriere-Traum. Dabei gab es tatsächlich die Bestrebung, Naturbahn-Rodeln in den Kalender für 2026, wenn die Spiele in Mailand und Cortina d’Ampezzo stattfinden, aufzunehmen. 

Doch der Weltverband machte einen Rückzieher, die Bemühungen wurden mit einem Schlag zunichte gemacht. „Um das zu realisieren, hätten die Kunstbahn-Rodler auf Startplätze verzichten müssen, das war anscheinend nicht durchzusetzen. Auf der einen Seite bitter, auf der anderen Seite möchte ich mich nicht über Dinge ärgern, die ich nicht beeinflussen kann.“

Wohl die richtige Einstellung für eine Sportlerin, die seit knapp zehn Jahren dabei ist und auch bereits genauso lange von der Raiffeisenbank Turnau-Aflenz-Etmißl gesponsert wird. „Gerade wenn es darum geht, das Material zu optimieren oder neue Anschaffungen zu tätigen, sind gute Partnerschaften essenziell“, sagt Michelle Diepold, die vor allem die benötigte Flexibilität in ihrer Sportart schätzt. „Du musst wendig sein, brauchst eine sehr gute Grundfitness und die Bereitschaft, ans Limit und ins Risiko zu gehen. Und du musst dich schnell auf veränderte Bedingungen einstellen können. Zwei Grad mehr oder weniger sorgen für komplett andere Verhältnisse auf der Bahn.“ 

Nur wer all das mitbringt und sich auch von einem gebrochenen Knöchel nicht langfristig aus der Bahn werfen lässt, kann sich seine Ziele und Träume erfüllen.