Das Bild der Gegenwart für die Zukunft

Was als Sammelstelle für Schallplatten begann, entwickelte sich zur Bewahrung des audiovisuellen Kulturerbes. Die Österreichische Mediathek digitalisiert seit der Jahrtausendwende unser kulturelles Gedächtnis.

Lange Gänge mit meterhohen Regalen – vollgespickt mit Schellacks und Vinyl-Schallplatten – bekommt man zu sehen, wenn man Zutritt zum Innersten der Österreichischen Mediathek erhält, dem analogen Archiv für Tonaufnahmen und Videos aus Kultur- und Zeitgeschichte. 1960 wurde es unter dem Namen „Österreichische Phonothek“ als Sammelstelle für Schallplatten gegründet. Bereits fünf Jahre später wurde die Aufgabenstellung mit dem Vorhaben erweitert, wichtige Ereignisse aus Politik und Kultur auf Tonband festzuhalten, was übrigens zum damaligen Zeitpunkt international ein Novum darstellte. „Man hat begonnen Veranstaltungen mitzuschneiden, Diskussionen, Vorträge, Pressekonferenzen und Ähnliches, mit dem Fokus, dass die Kultur-, Kunst- und Wissenschaftsereignisse dokumentiert werden sollten. Da gibt es einige tausend Aufnahmen, die von der damaligen Phonothek hergestellt wurden“, weiß Gabriele Fröschl, die Leiterin der Österreichischen Mediathek.

Porträt von Gabriele Fröschl, Leiterin der Österreichischen Mediathek
Gabriele Fröschl, die Leiterin der Österreichischen Mediathek (c) Österreichische Mediathek

1966 erfolgte der Umzug von der Albertina in die Webgasse 2a im 6. Wiener Gemeindebezirk, wo die Österreichische Mediathek auch heute noch ihren Sitz hat. Dort befinden sich nicht nur die Archiv- und Büroräumlichkeiten, sondern auch ein Studiensaal mit sieben Medienarbeitsplätzen – davon vier zum Sichten und Anhören digitaler Aufnahmen sowie mit Abspielmöglichkeiten für analoge Audio- und Videoträger. „Wenn das Material nicht digital vorliegt“, so Fröschl, „dann gewähren wir auch den Zugang zum Originalmaterial mit der Assistenz unserer Mitarbeiter. Das gesamte Archiv ist im Prinzip zugänglich. Digital und analog.“ Zu hören gibt es unglaublich viel, alleine im Bereich der Musik, die man sonst wohl nirgends anders mehr hören kann, wie die „Schellack-Sammlung Teuchtler“ mit rund 70.000 Tonträgern von der Jahrhundertwende bis in die 1950er-Jahre oder das Online-Archiv „Österreich am Wort“ mit über 7.500 Ton- und Videoaufnahmen. Insgesamt gibt es ungefähr zwei Millionen Tonaufnahmen im Mediathek-Archiv.

Verlustfreie Migration

Nutzen kann man die Österreichische Mediathek mittlerweile aber freilich längst auch von zuhause aus, denn vor gut 20 Jahren wurde mit der Audio-Digitalisierung begonnen und eine moderne Katalogdatenbank erstellt. Zu entdecken gibt es dermaßen viel, dass die Mediathek laufend thematisch konzipierte Online-Ausstellungen vornimmt. Aktuell werden Archivaufnahmen von, mit und über den Lyriker, Essayisten, Journalisten und Übersetzer Erich Fried zu dessen 100. Geburtstag ins digitale Rampenlicht gestellt. Eine weitere Online-Ausstellung widmet sich Ludwig van Beethoven. Im „Audiovisuellen Atlas“ können historische Aufnahmen gehört werden und man kann sich auf eine sehr unterhaltsame virtuelle Entdeckungsreise zu Beethovens Wohn-, Arbeits- und Aufführungsorten begeben. Da erfährt man unter anderem, wo man seinen neuesten Werken lauschen konnte und wie sie hundert Jahre später auf Schellack klangen. Wie solcherart Schwerpunkte ausgesucht werden, erklärt Gabriele Fröschl folgendermaßen: „Das hängt einerseits von wissenschaftlichen Forschungsmöglichkeiten ab, die gegeben sind, und andererseits richtet man sich gerne an Jubiläen und Gedenktage. Heuer werden wir auch eine Ausstellung zum 70. Todestag von Arnold Schönberg machen, wo wir gemeinsam mit dem Schönberg-Center seinen privaten Nachlass an Audio-Aufnahmen aufarbeiten und digitalisieren.“

Was von der Österreichischen Mediathek alles gesammelt werden soll, ist übrigens im Museumsgesetz definiert und ist relativ breit, da es keinen thematischen Schwerpunkt per Gesetz gibt, wie Fröschl erzählt: „Es gibt fixe Schienen, wie Mitschnitte von Rundfunk- und Fernsehprogrammen, und wir bemühen uns sehr um Kooperationen mit anderen Einrichtungen, wo wir wissen, dass aufgenommen wird.“ Gemeint sind damit zum Beispiele Audio-Mitschnitte von Burgtheaterpremieren ab 1955, die Salzburger Festspiele und das Forum Alpach, um nur drei große Kooperationen zu nennen. Eingegliedert werden aber durchaus auch private Sammlungen mit großem Österreich-Bezug.

Ganz prominent und immer wieder hörenswert ist die Sammlung Rot-Weiß-Rot mit Radiomitschnitten der Nachkriegszeit und vor allem die Sammlung Günther Schifter mit Schellacks der Zwischenkriegszeit. Seine legendären Radiosendungen können online ebenso gehört werden wie auch die Stimme von Bertha von Suttner. Unter den Tausenden Tondokumenten, die die Mediathek 2009 aus der privaten Sammlung Günther Schifters übernommen hat, befand sich nämlich auch unter anderem dieser eine historische Tonzylinder mit der einzigen und als echt erwiesenen Tonaufnahme der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin. Am 23. Mai 1904 sprach sie 1 Minute und 17 Sekunden ins Grammophon. Was genau sie sagte, weiß man bis heute nicht. „Man versteht sie unglaublich schlecht“, so Fröschl.

Die Langzeitarchivierung, das Bewahren und die Digitalisierung beziehungsweise Sicherstellung derartiger Aufnahmen stellt naturgemäß die größte Herausforderung dar, vor allem wenn es darum geht, dass unser kulturelles Erbe auch in ferner Zukunft – etwa in 10.000 Jahren – gehört werden kann. „Selbst wenn ich nur mittelfristig denke“, so Fröschl, „muss ich digitalisieren, weil oftmals die alten Geräte nicht mehr vorhanden sind. Und was die langfristige Verfügbarkeit betrifft, so ist die Idee die der verlustfreien Migration.“ Was bedeutet, dass rund alle sieben Jahre die komplette Hardware getauscht werden muss, um zukünftige Überlieferungen sicherzustellen. Fröschl: „Was die Nationalbibliothek für Bücher ist, sind wir für audiovisuelle Medien. Unser Auftrag ist, weitestgehend das kulturelle, das gesellschaftliche und das politische Leben von Österreich abzubilden, zu sammeln, zu archivieren und zugänglich zu machen. Das ist ungefähr das Pendant zu dem, was die NASA in den Weltraum geschossen hat. Welches Bild der Gegenwart für die Zukunft im Archiv bewahrt wird.“