„Alle Zeiten haben ihre positiven Aspekte“

Peter Lennkh, Firmenkundenvorstand der Raiffeisen Bank International, verabschiedet sich mit Anfang September vom Berufsleben bei Raiffeisen. Über seine Karriere bei Raiffeisen, das laufende Kundengeschäft und seine Motive für den vorzeitigen Ausstieg spricht er im Interview.

Peter Lennkh im Interview
© RZ/Gerry Mayer-Rohrmoser

35 Raiffeisenjahre, davon knapp 20 Jahre im Vorstand der Raiffeisen Bank International, sind eine lange Zeit. Was hat Ihre Begeisterung für den Job hochgehalten?
Peter Lennkh: Es waren mehrere Dinge: So viele interessante Menschen kennenzulernen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, war immer eine Freude. Damit verbunden war es schön zu sehen, was wir als Bank tun können, damit unsere Firmenkunden erfolgreich sind. Und es war auch die Raiff­eisen-Idee „Was einer nicht kann, das schaffen viele“, die für mich beim Aufbau unserer Tochterbanken und unseres internationalen Netzwerks in Osteuropa sehr erlebbar war. Wir können alle sehr stolz darauf sein, was hier entstanden ist. 

Auf welche Phase blicken Sie besonders gern zurück? Und warum?
Lennkh: Alle Zeiten haben ihre positiven und spannenden Aspekte. Für mich waren sicher die frühen Jahre prägend. Ich durfte 1992 nach Prag gehen, um dort unsere Tochterbank aufzubauen und die ersten vier Jahre zu begleiten. Unmittelbar danach habe ich unsere Tochterbanken in Russland und in der Ukraine aufgebaut und die Weiterentwicklung unserer Netzwerkbanken begleitet. Ein weiteres Highlight war der Erfolg des Börseganges der Raiffeisen International 2005. Es hatten aber auch andere Zeiten ihre Höhepunkte, wie z.B. die RBI zur führenden Bank für Firmenkunden in Österreich und CEE zu machen. 

Seit dem Börsegang waren Sie für das Firmenkundengeschäft außerhalb Österreichs verantwortlich, ab 2014 zusätzlich auch für die österreichischen Kommerzkunden. Wie hat sich das Firmenkundengeschäft in Ihrer Zeit verändert? 
Lennkh: Eine große Umstellung war ab 2016, als wir die Kundenbetreuung nicht mehr nach Regionen, sondern nach Branchen gegliedert haben – Energie, Telekom, Automotive, Immobilien und andere Industrien. Das hat sich sehr bewährt, weil unsere Betreuer die Kunden viel besser verstehen und beraten können. Hinzu kommt der technologische Fortschritt, um es dem Kunden möglichst einfach zu machen, sich wiederholende Tätigkeiten zu automatisieren und idealerweise mit einem Klick zu erledigen.

Können Sie die Entwicklung in Ihrer Laufzeit auch in Zahlen gießen? 
Lennkh: Als RBI-Konzern betreuen wir heute über 100.000 Firmenkunden. Das Wachstum ist sehr beeindruckend: 2014 lag das Kreditvolumen im Firmenkundengeschäft bei 39 Milliarden Euro, Ende 2022 bei 54 Milliarden Euro. Der Gewinn vor Steuern war damals 260 Millionen Euro und liegt jetzt bei 1,7 Milliarden Euro. Wenn man die Erträge aus Russland und Belarus abzieht, sind es für 2022 noch immer über 800 Millionen Euro. Also ein sehr starkes Wachstum und eine absolute Erfolgsstory.

Peter Lennkh im Interview
© RZ/Gerry Mayer-Rohrmoser

Was macht diesen Erfolg aus?
Lennkh: Aus den Kundenfeedbacks wissen wir, dass es im Wesentlichen vier Gründe sind: Erstens ist das unser Betreuungsansatz. Wir sind eine Relationship Bank und wollen eine langfristige Beziehung zu unseren Kunden. Das Zweite ist unsere Leistungsfähigkeit in Österreich und Zentral- und Osteuropa. Das Dritte ist unsere Fachkompetenz für komplexe Finanzlösungen über das gesamte Spektrum – von Kredit, Handelsfinanzierung, Kapitalmarkt bis zum Zahlungsverkehr. Und der vierte Punkt ist die Annehmlichkeit im digitalen Bereich mit möglichst einfachen Prozessen und Schnittstellen. 

Der Umfang der Kundenbetreuung erweitert sich laufend – etwa ESG-Beratung. Wo sehen Sie derzeit den größten Handlungsbedarf?
Lennkh: Im Gegensatz zu Westeuropa ist das Thema ESG in Zentral- und Osteuropa noch nicht ganz angekommen. Wir wollen Pionier sein und das Thema ESG in unsere Kundenbasis nach CEE bringen. Also unsere Kunden bei der Transformation mit viel Beratung und maßgeschneiderten Produkten begleiten. 

Ein Produkt in dieser Transformation sind Green Bonds. Wie entwickelt sich die Nachfrage?
Lennkh: In der derzeitigen Situation übersteigt die Nachfrage das Angebot deutlich, weil die technologische Transformation der Industrie nicht so schnell erfolgt. Unsere Kunden können gar nicht so viele grüne Anleihen und ähnliche Produkte emittieren, wie Investoren zeichnen wollen. Der RBI-Konzern hat seit 2019 für mehr als 20 Unternehmen grüne oder nachhaltige Anleihen im Wert von fast 10 Milliarden Euro in führender Rolle arrangiert. Zusätzlich war die RBI für ein Volumen von rund 950 Millionen Euro dieser Anleihen auch Nachhaltigkeitsberater.

Peter Lennkh im Interview
© RZ/Gerry Mayer-Rohrmoser

Gibt es sonst noch Bereiche, in denen man die Kundenbetreuung verbessern oder ausbauen könnte?
Lennkh: Eine große Veränderung wird über die Technologie kommen, die eine weitere Optimierung des Informationsaustauschs und der Zusammenarbeit ermöglicht. Über ein noch besseres Datenmanagement – durch den Einsatz von Artificial Intelligence – werden sich die Prozesse in den nächsten Jahren noch wesentlich verbessern.

Wie wichtig ist für eine Bank in einer zunehmend digitalisierten Welt die Präsenz vor Ort?
Lennkh: Es war immer sehr wichtig und es wird auch in Zukunft wichtig sein. Gerade wenn es darauf ankommt, dass der Kunde verschiedene Lösungsalternativen für sein Problem erfahren möchte, dann ist das persönliche Gespräch mit einem Experten unersetzbar.

Die Zeiten sind momentan alles andere als einfach. Suchen die Firmenkunden derzeit mehr persönliche Beratung?
Lennkh: Der Wirtschaftsausblick ist im Gegensatz zu den vergangenen Jahren eher negativ, das führt zu einer Erhöhung der Unsicherheit und auch der Risiken. Wir haben wesentlich höhere Volatilitäten, was Währungen betrifft, aber auch ein höheres Risiko, also bezüglich Abnehmer und Lieferanten. Kunden suchen deshalb verstärkt Beratung in der Absicherung. 

Peter Lennkh im Interview
© RZ/Gerry Mayer-Rohrmoser

Die Zahl der Insolvenzen steigt. Wie geht es Ihren Firmen­kunden?
Lennkh: Viele Unternehmen erfahren eine Abschwächung der Nachfrage und einige haben auch nicht mehr eine Vollauslastung ihrer Kapazitäten. Die Auftragsbücher werden derzeit eher kürzer als länger, und das führt dazu, dass Investitionsvorhaben eher verschoben werden. Bis zum Halbjahr war das Kreditvolumen der RBI allerdings stabil. Die vergangenen sehr guten Jahre haben viele unserer Kunden genutzt, um Eigenkapital aufzubauen und ihre Verschuldung zu reduzieren. Viele haben auch durch die Pandemie gelernt, ihr Geschäftsmodell und ihr Unternehmen wesentlich schneller an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen. Die österreichischen Unternehmen gehen also vielfach aus einer Position der Stärke in diese Phase der Stagnation, und daher haben wir bis jetzt kaum Anfragen nach Kreditstundungen und noch keine nennenswerten Kreditausfälle. Wir haben ein sehr gesundes Kundenportfolio.

Die heimische Industrie stellt sich auf eine Rezession ein. Auch der Handel hat es im Moment schwer. Wie könnte man entgegensteuern? Was braucht es für eine Kehrtwende? 
Lennkh: Die Situation in Österreich ist nicht hausgemacht, sondern ist die Konsequenz einer globalen Wirtschaftsschwäche. Ich glaube deshalb, dass nationale Maßnahmen nur bedingt helfen können. Man muss schauen, dass man – von politischer Seite – Zusatzbelastungen für die Wirtschaft vermeidet und den Wirtschaftsstandort Österreich weiter attraktiv hält. Nicht zuletzt ist hier die Frage der qualifizierten Fachkräfte und deren Verfügbarkeit für den Wirtschaftsstandort sehr wichtig.

Sie gehen vorzeitig in den Ruhestand. Gerade das letzte Jahr war für die RBI durch den Krieg in der Ukraine nicht einfach. Ist das mit ein Grund, warum Sie sich zurückziehen?
Lennkh: Nein, das hat damit nichts zu tun. Ich habe mein Leben lang die großen Entscheidungen mit Vorausschau geplant. Ich habe das gut überlegt und meinen sechzigsten Geburtstag zum Anlass genommen, als Vorstand zurückzutreten, um mehr Raum für all die Dinge zu haben, die jahrelang warten mussten: Familie, Freunde und Interessen. Die einzige Möglichkeit, deutlich mehr Zeit dafür zu schaffen, war, die Arbeit als Vorstand zu beenden, was ich jetzt mache.

Worauf freuen Sie sich jetzt am meisten?
Lennkh: Auf ein mehr selbstbestimmtes Leben.