„Kleine Pausen sind am effektivsten“

HNO-Arzt Uso Walter thematisiert in seinem Buch, wie Stress den Gehörsinn beeinträchtigt.

HNO-Arzt Uso Walter
HNO-Arzt Uso Walter erläutert, welche Auswirkungen Stress auf den Gehörsinn haben kann und wie dies zu bekämpfen ist. (c) Jacqueline Wardeski

Herr Doktor, warum sind Tinnitus und Schwerhörigkeit zunehmende Probleme?
Uso Walter: Schwerhörigkeit hat natürlich damit zu tun, dass die Leute immer älter werden und Sinneshärchen im Laufe des Lebens kaputt gehen. Irgendwann wird jeder schwerhörig. Das Hauptproblem ist aber, dass junge Leute heutzutage häufig eine Mehrfachbelastung haben, da die Anforderungen steigen. Das führt dazu, dass Geräusche im Kopf stärker wahrgenommen werden und Geräuschempfindlichkeiten entstehen.

Ab wann sollte man bei „Ohrengeräuschen“ zum Arzt gehen?
Walter: Wenn es akut aufkommt, dann möglichst bald. Am besten in den ersten Tagen, damit abgeklärt werden kann, was dahinter steckt und eine Akuttherapie gemacht werden kann. Wenn es sich langsam einschleicht, ist es nicht entscheidend, wann man einen Arzt konsultiert. Aber auch hier sollte man die Ursachen auf jeden Fall abklären lassen, weil oft Stressfaktoren dahinterstecken, die man mittelfristig beeinflussen kann.

Wann spricht man aus ärztlicher Sicht von einem Tinnitus? Ab welchem Zeitpunkt wird es schlimm?
Walter: Schlimm wird es nie. Man sollte nicht beunruhigt sein. Von einem Tinnitus spricht man bei jedem Geräusch, das nicht in der Außenwelt vorhanden ist. Wenn ich ein leises Piepsen oder Rauschen höre, dann können das Blutgefäße sein oder gealterte Sinneshärchen im Ohr. Von einem chronischen Tinnitus spricht man ab drei Monaten, das hat für die Therapie aber keine Relevanz, weil man einen Tinnitus auch nach dreißig Jahren behandeln kann.

Wie entsteht ein Tinnitus?
Walter: Grundsätzlich kann man zwei Arten von Tinnitus unterscheiden, das eine ist ein Tinnitus, der durch Ohrerkrankungen entsteht, wenn plötzlich was am Ohr „kaputt“ geht, zum Beispiel bei einem Gehörsturz. Das kennt man nach einem lauten Konzert, wo Sinneshärchen im Innenohr geschädigt werden und anfangen, solche Ohrgeräusche in den Kopf zu schicken. Es kommt zu bestimmten Erregungsmustern im Bereich der Gehörbahn und diese entsprechen diesen Geräuschen. Und die zweite Art von Tinnitus, die mittlerweile häufiger ist, hat im Ohr nichts verändert, die Geräusche sind schon davor da. Diese werden vom Kopf normalerweise weggefiltert. Wenn es aber zu Stress kommt, wird dieser Filter durchlässig.

Wie kann man rechtzeitig Stress erkennen?
Walter: Stress ist eine ganz natürliche Reaktion des Körpers auf eine Gefahr, um diese abzuwehren. Und ähnlich fühlt sich das bei Dauerstress an. Es kommt unter anderem vermehrt zu Verspannungen. Das sind Symptome, die zu Beginn noch keinen Krankheitswert haben, man sich aber nicht mehr so recht wohl in seiner Haut fühlt. Manchmal bekommt man auch Beklemmungsgefühle. Wenn das dann anhält, gibt es Beschwerden, die einen Krankheitswert haben, zum Beispiel Infektanfälligkeit. Dann sollte man schleunigst zum Arzt gehen.

Und welche Methoden würden Sie den Betroffenen raten, um gegenzusteuern?
Walter: Entscheidend ist, dass man ein Gefühl dafür bekommt, wo die Belastungsgrenze bei einem selber liegt und man versucht, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. man muss rechtzeitig für Entspannung sorgen und sich selbst Gutes tun. Wenn man selber ruhiger wird, wird auch der Tinnitus ruhiger. Außerdem kann man auch seine eigene Stressreaktion verändern, indem man sich nicht mehr über jede Kleinigkeit aufregt. Und nicht zuletzt muss man auch für Ausgleich sorgen, denn Stress kann man ja nicht gänzlich vermeiden. Das „Zeit für sich nehmen“ ist dabei von enorm hoher Bedeutung.

Welchen Effekt können schon kurze Pausen bewirken?
Walter: Das ist eigentlich die effektivste Art der Stressbekämpfung, wenn man viele kleine Entspannungseinheiten im Alltag einbaut. Es ist wie bei einem Raucher, der 20 Zigaretten am Tag raucht und immer für diese Zigarettenpause tief Luft holt, weil er möglichst viel Nikotin einsaugen will. Dabei kann er kurz abschalten. Besser ist es natürlich ohne Zigaretten, aber das Prinzip ist genau das gleiche. Wenn man immer wieder kleine Einheiten am Tag verteilt, können diese verhindern, dass sich die Spannung bis zum Abend so stark aufbaut, dass man auf längere Zeit gesehen dadurch krank werden kann.

Wie ist es bei Jobs, die zeitmäßig keine Pausen zulassen?
Walter: Da muss man ein bisschen kreativer sein. man muss auf jeden Fall schauen, inwieweit trotzdem kleine Muskelübungen möglich sind. Es muss nicht immer eine größere Zeiteinheit sein, wo man etwas Aktives macht, aber man kann durchaus auch ganz einfach mal die Muskulatur oder das Kiefer lockern. Dadurch baut man Spannung ab. Und das ist in jedem Job möglich, zum Beispiel zwischen zwei Telefonaten, aber auch in einer Fabrikshalle. Das sind zwar Kleinigkeiten, machen aber auf lange Sicht sehr viel aus.