Die langfristige Entwicklung der Wirtschaft und der Kapitalmärkte – mit besonderem Blick auf Nachhaltigkeit – wurde heuer beim traditionellen „Talk im Schloss“ der Raiffeisenbank Kleinmünchen/Linz beleuchtet. Gerade in Zeiten dramatischer Entwicklungen wie dem russischen Krieg gegen die Ukraine, aber auch der angespannten Energieversorgung und der hohen Inflation sei es wichtig, die großen Wirtschaftstrends nicht aus dem Auge zu verlieren, betonte Vorstandsvorsitzender Bernhard Sommerauer in seiner Begrüßung. Dazu zählen vor allem die Nachhaltigkeit, EU-Taxonomie und ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). „Raiffeisen war und ist von Nachhaltigkeit geprägt“, betonte Sommerauer. Ein Mitgrund, dass die Bank heuer ihren 120. Geburtstag feiert. „Wir haben in unseren 120 Jahren viele dramatische geschichtliche Ereignisse miterlebt und sind dennoch aus heutiger Sicht stärker denn je. Und wir bieten Sicherheit und Stabilität – auch in Krisenzeiten“, versicherte Sommerauer.
Um nachhaltig wirtschaften zu können, muss in Unternehmen an vielen Stellschrauben gedreht werden. Wie das gehen kann, erklärte der Schweizer Manager Hansueli Loosli eindrucksvoll am Beispiel der Schweizer Coop Genossenschaft, eines der größten Handelsunternehmen des Landes mit einem Jahresumsatz von knapp 32 Mrd. Franken und über 95.000 Mitarbeitern. Coop habe es als eines der ersten Schweizer Unternehmen geschafft, Nachhaltigkeit als Differenzierungsmerkmal zu etablieren. Seit über 30 Jahren arbeite das Unternehmen mit wachsendem Erfolg daran, umweltschonender und sozialer zu wirtschaften. 2001 habe man die erste Umsatz-Milliarde mit nachhaltigen Produkten erzielt – heuer werden es knapp 6 Mrd. Franken werden. „Von der ersten Minute an haben uns die Kunden unterstützt – das war das Entscheidende“, so Loosli.
Eine Genossenschaft strategisch zu führen sei etwas anderes als eine börsenotierte Aktiengesellschaft. „Wir haben das langfristig machen können, auch weil wir keine Dividenden verteilen mussten“, so der Manager. Wenn man Erfolg beim Thema Nachhaltigkeit haben möchte, dann müsse es zur Chefsache werden. So habe Coop heute einen Bio-Marktanteil von 60 Prozent, ansonsten habe die Unternehmensgruppe einen Marktanteil von 20 bis 30 Prozent in der Schweiz. Dass im Dienste der Nachhaltigkeit manchmal auch ungewöhnliche Wege beschritten werden müssen, zeigt der Entschluss, eine eigene Bahn zu kaufen. „Unsere Staatsbahnen waren nicht in der Lage, Lebensmittel über Nacht zu transportieren. Wir wollten Straßenkilometer zu Bahnkilometern machen. Mit der eigenen Railcare haben wir das nun geschafft. Wir beliefern heute große Städte mit der Bahn, die letzte Meile wird mit dem Lkw gefahren“, so Loosli.
Zeitenwende vorbereitet
„Ökologie und Ökonomie sind kein Widerspruch“, postulierte Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek in seinem Vortrag. Im Kern gehe es darum, mit möglichst wenig Aufwand maximalen Output zu erzielen. So habe etwa der Energieeinsatz in der Wertschöpfung in Europa in den letzten 20 Jahren extrem abgenommen. „Wir verbrauchen jetzt um 35 Prozent weniger Energie pro Wertschöpfungseinheit als vor 20 Jahren“, berichtete der Finanzexperte. Dabei habe sich der technologische Fortschritt als Schlüssel für ein nachhaltigeres Wirtschaften erwiesen. Bei der Rohstoffversorgung warnt Brezinschek vor zu großen Abhängigkeiten, wie es aufgrund „des verhängnisvollen und naiven Wegs“ in der Energieversorgung erfolgt ist. Das müssen man auch bei anderen Rohstoffen vermeiden, etwa bei den Seltenen Erden, die bei vielen Schlüsseltechnologien wie E-Motoren oder Brennstoffzellen eine Rolle spielen. Da sei man im hohen Maße von China abhängig.
„Die geopolitische Zeitenwende, die Machtansprüche klar vor wirtschaftlichen Erfolg und Umweltanliegen stellt, hat nicht erst am 24. Februar 2022 (Angriff Russlands auf die Ukraine Anm.) eingesetzt, wie sie der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz vermeldet hat, sie hat sich schon viel länger angekündigt und wurde sehr präzise und strategisch vorbereitet“, analysierte Brezinschek unter Verweis auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping. Und diese Zeitenwende befeure die Teuerung, die ebenfalls schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine zugenommen hatte. Zudem dürfte der strukturelle Wirtschaftswandel, vor dem man stehe, die Inflation in den kommenden zehn Jahren höher steigen lassen als in den vergangenen zehn Jahren.
Zu den Treibern dieser Entwicklung zählt der Chefanalyst unter anderem den demografischen Wandel am Arbeitsmarkt – die Babyboomer-Generation gehe aus dem Markt und hinterlasse einen Arbeitskräftebedarf von fast 300.000 Menschen. Das werde die Arbeitskräfteknappheit weiter verschärfen und die Position der Gewerkschaften in den Lohnverhandlungen stärken. Zudem zielen Klimaschutzmaßnahmen darauf ab, über Preissignale klimafreundlichere Verhaltensänderungen sowohl bei Unternehmen als auch den Menschen zu bewirken. Alles in allem führe das zu einem strukturellen Preisauftrieb, den die Europäische Zentralbank (EZB) verschlafen habe. „Die EZB hat lange Zeit auf das falsche Pferd gesetzt und eine vollkommen verkehrte Politik gemacht“, kritisierte Brezinschek.
Höhere Zinsen
Derzeit würden Konjunkturumfragen einen Wetterumschwung sowohl in den USA als auch in Europa andeuten. In den nächsten zwei Quartalen sei mit einer schrumpfenden Wirtschaft in der Eurozone, aber auch in Deutschland und Österreich zu rechnen. Das werde die EZB aber nicht von ihrem restriktiven geldpolitischen Kurs abhalten, ist Brezinschek überzeugt, auch weil der Arbeitsmarkt in Europa mit 6,6 Prozent die niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit Jahrzehnten aufweise. „Wir werden mit höheren Kredit- und Kapitalmarktsätzen leben müssen“, sagt der Finanzexperte. Diese Entwicklung mache ein nachhaltiges Wirtschaften und eine nachhaltige Budgetpolitik erforderlich. Denn die Einstellung „Koste-es-was-es-wolle“, die man noch von der Corona-Pandemie kenne, könne es in diesem Umfeld nicht mehr geben, „das Schuldenmachen zum Nulltarif ist vorbei“.
Das neue Umfeld habe auch die goldenen Zeiten am Aktienmarkt beendet. Jährliche Renditen von rund 6 bis 7 Prozent plus Dividenden werde es künftig nach seiner Einschätzung nicht mehr geben, auch weil das Gewinnwachstum nicht gehalten werden dürfte. Solange die Konjunktur im Rückwärtsgang sei, erwarte er sich auch keine Erholung am Aktienmarkt. „Es ist ein Schlechtwetter aufgezogen und wenn wir schlechte Sicht haben, dann ist Vorsicht geboten“, so Brezinschek. Für den langfristigen Vermögensaufbau werden vor allem nachhaltige Aktien ein wesentlicher Baustein bleiben, ist der Chefanalyst überzeugt.