Raunächte: Vom Loslassen und Platz schaffen

Seit jeher werden die Raunächte genutzt, um sich von den Lasten des alten Jahres zu befreien. Ob mystisch oder modern, erfreut sich der Brauch in der Alltagshektik der modernen Welt immer größerer Beliebtheit.

Räucherschale für die Raunächte
Heutzutage geht es beim Räuchern weniger um das Vertreiben böser Geister als darum, Ruhe einkehren zu lassen und in sich zu gehen. © Barbara Pacejka Fotografie

Hauptsächlich ist die Zeit zwischen den Jahren der Familie gewidmet, oft auch den Freunden und vor allem aber auch der Entschleunigung und nicht zuletzt der Magie. Alten Traditionen zufolge stehen die Tage –oder wohl eher die Nächte – zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag im Zeichen der Reinigung. Und bis heute dienen die soge­nannten Raunächte dazu, sich von den Lasten des alten Jahres zu befreien, abzuschließen und sich auf das kommende Jahr bewusst vorzubereiten. „In dieser Zeit haben viele Unternehmen geschlossen, viele Menschen haben Urlaub und auch insgesamt wird es ruhiger. Vor allem, wenn man sehr beschäftigt ist, ist das die perfekte Zeit, um wieder einmal in sich hineinzuspüren und zu schauen, was man braucht“, erklärt Expertin Karin Graf-Kaplaner, die gemeinsam mit Anja Fischer das Onlineprogramm „Meine Rauhnächte“ leitet. 

Vielerorts zählt auch die Nacht vom 21. Dezember zu den Raunächten, wird der Wintersonnenwende als längste Nacht und kürzester Tag des Jahres doch etwas Besonderes zugesprochen. „Ab dann kommt auch das Licht wieder zurück“, so Graf-Kaplaner. Und zählt man die sogenannte Thomasnacht auch nicht direkt zu den Raunächten, so wird sie dennoch von vielen dazu genutzt, das Haus sowohl mit dem Putzlappen als auch mit Rauch zu reinigen. 

Der Ursprung des Brauches liegt vermutlich in der Zeitrechnung nach einem Mondjahr, welches 354 Tage umfasst. Auf das heute gültige Sonnenjahr fehlen also elf Tage oder auch zwölf Nächte, die auch als „tote Tage“ oder Tage „außerhalb der Zeit“ bezeichnet werden. In vielen Mythologien wird diesen Nächten – den Raunächten – eine besondere Energie beigemessen, die die Gesetze der Natur außer Kraft setzt und die Grenzen zu anderen Welten verschwimmen lässt. Seit der frühen Neuzeit gilt diese Zeit daher als besonders geeignet für Geisterbeschwörungen oder wahrsagerische Praktiken. 

Die Geister der Wilden Jagd

Außerdem, so heißt es, soll genau zur Mitte der zwölf Nächte, an Silvester, die sogenannte „Wilde Jagd“ aufbrechen. Angeführt von der Percht (oder auch Berchtl) finden dabei Geister ihren Weg in die irdische Welt und preschen hier durch die Nächte. Ihren Höhepunkt findet die „Wilde Jagd“ schließlich am 5. Jänner – auch Gömmacht genannt –, wenn die Hexe Percht selbst kontrolliert, wer im vergangenen Jahr fleißig war und wer nicht. Kann man sie von der eigenen Tüchtigkeit überzeugen, so hilft sie das alte Jahr hinauszufegen und Platz für Neues zu schaffen. 

Glöcklerlauf Alpbach Raunächte
Im Salzkammergut beendet man die Raunächte mit dem traditionellen Glöcklerlauf. © Adobe Stock

Im Tiroler Ort Alpbach ziehen noch heute am 5. Jänner die Berchtln in Gruppen von drei bis vier Personen von Haus zu Haus. Auffallend ist dabei die Namensgleichheit zu den traditionellen Perchten, die in den unterschiedlichsten Formen in ganz Österreich, aber auch in Bayern, Slowenien, Südtirol und Oberitalien ihr Unwesen treiben. Fürchten muss man sich jedoch – ganz im Gegenteil zum Krampus – nicht, dienen die unheimlichen Gestalten doch vor allem dazu, die bösen Geister des Winters und des alten Jahres lautstark auszutreiben. Zu diesem Zweck findet etwa auch im Salzkammergut und den umliegenden Regionen am 5. Jänner der Glöcklerlauf statt. Die zwölf Raunächte werden dort durch sogenannten „Schönperchten“ beschlossen, die als gute Lichtgeister auftreten und die Raunachtsgeister der „Wilden Jagd“ endgültig vertreiben sollen. 

Sogar der Begriff der Raunächte geht wohl auf das mittelhochdeutsche Wort „rûch“ zurück, was so viel bedeutet wie haarig oder auch wild und spielt demnach vermutlich auf die mit Fell bekleideten Dämonen oder Perchten an, die in Tiermasken lärmend durch die Dörfer ziehen. 

Rückkehr zur Ruhe

Traditionell wird in dieser Zeit zwischen den Jahren zudem an zwölf Tagen geräuchert, wobei jeder Tag für ein Monat des kommenden Jahres steht. Ebenso wie die Berchtln und Perchten sollte auch der Rauch Unheil und böse Geister vertreiben. Vielerorts wurde dieser Brauch jedoch modernisiert und in die Jetztzeit geholt. Mit der Vertreibung böser Geister habe das Räuchern dann wenig zu tun, wie Graf-Kaplaner erklärt: „Wir haben eine sehr alltagstaugliche Interpretation der Raunächte und holen diese alte Tradition in unsere neue Zeit, die geprägt ist von Digitalisierung, Hektik und Stress.“ Im Zentrum stünde dabei vor allem die Rückkehr zur Ruhe und zu sich selbst. Verbote oder Verpflichtungen gebe es keine. 

Der Aberglaube, man dürfe in den Raunächten keine Wäsche aufhängen, hält sich aber dennoch hartnäckig. Während man sich heutzutage wohl hauptsächlich vor Unglück im nächsten Jahr fürchtet, geht dieses Verbot tatsächlich auf den Glauben zurück, dass sich einerseits die bösen Geister der „Wilden Jagd“ in den Wäscheleinen verfangen könnten und andererseits die Geister und Dämonen, die in diesen Nächten ihr Unwesen treiben, die Wäsche stehlen und sie im Laufe des nächsten Jahres als Leichentuch für ihren Besitzer wiederverwenden würden. Aber: „Das kommt alles aus einer Zeit, in der es noch keinen Wäschetrockner und keine Waschmaschine gegeben hat. Daher war es wichtig, die Wäsche früher zu waschen, um in der eigentlich ruhigen Zeit nicht ständig als Mutter und Hausfrau beschäftigt zu sein“, gibt die Expertin zu bedenken und ergänzt: „Gleichzeitig macht es aber auch Sinn zu schauen, welche bösen Geister es in meinem eigenen Leben gibt, wo es Menschen gibt, die mir nicht guttun und was ich im Hinblick auf das nächste Jahr gerne loslassen würde.“ 

Abseits von Stress

Vor allem am 24. und am 31. Dezember ist es Tradition, das gesamte Haus mit Kohle und viel Rauch auszuräuchern, um schlechte Energien zu vertreiben. Ansonsten stehen die einzelnen Raunächte oft im Zeichen eines bestimmten Themas. So widmet sich der erste Tag der Raunachtbegleitung von Karin Graf-Kaplaner und Anja Fischer etwa dem Loslassen des vergangenen Jahres, der sechste dem Willkommen heißen von Gefühlen und der zwölfte dem gestärkten Durchstarten. Besonders sei das Räuchern dabei dazu da, sich zu erinnern, denn „Düfte wecken Erinnerungen“, wie Graf-Kaplaner betont. Vor allem, wenn die Räuchermischungen – wie im Fall dieser Raunachtbegleitung – mit Zutaten aus der eigenen Küche hergestellt werden können. 

Dass sich die verschiedensten alten Bräuche der Raunächte – und allen voran auch das Räuchern – bis heute gehalten haben, ist für die Expertin kaum verwunderlich. Aktuell sehe sie sogar einen regelrechten Raunächte-Hype. „Die Herausforderungen unserer Gesellschaft werden immer größer. Es herrscht sehr viel Unsicherheit, Druck und Stress in unserer Leistungsgesellschaft, sodass sich viele Menschen nach ursprünglichen Dingen sehnen. Sie wollen wieder mehr in Verbindung mit der Natur und mit sich selbst treten“, resümiert sie.