Bei der mit großer Spannung erwarteten Hauptversammlung der Raiffeisen Bank International (RBI) über das vom Ukraine-Krieg geprägte Geschäftsjahr 2022 stand erwartungsgemäß vor allem das Russlandgeschäft im Vordergrund. „Europa blickt auf das dramatischste Jahr der letzten Jahrzehnte zurück“, erklärte Aufsichtsratspräsident Erwin Hameseder. Die RBI habe trotz dieser außergewöhnlichen Herausforderungen „ein beachtliches Ergebnis“ erzielt. Höchsten Respekt zollte Hameseder den rund 6.000 RBI-Mitarbeiter in der Ukraine, die unter unvorstellbaren Rahmenbedingungen „einen unermüdlichen Einsatz“ für die Bank erbringen. Im Vorjahr habe die Bank mehr als 250 Mio. Euro an Kredite für den ukrainischen Agrarsektor vergeben und „damit maßgeblich die Getreidesaat finanziert“.
Zu der seit dem Vorjahr laufenden Prüfung aller Optionen für das Russlandgeschäft – von einem Verkauf über eine Abspaltung bis hin zu einer Endkonsolidierung –, erklärte Hameseder, dass die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit einer Entscheidung sorgfältig zu prüfen sei. Dabei sei auch zu bedenken, dass es bei einem Verkauf der russischen RBI-Bank auch die russische Staatskasse gefüllt werden würde. Man sei sich der Verantwortung bewusst, keine der Alternativen sei ideal. Eine Schadensminimierung habe aber oberste Priorität. „Eine Schwarz-Weiß-Moral ist das Privileg jener, die keine Verantwortung tragen“, so Hameseder. Er erinnert daran, dass laut einer Studie gerade 8 Prozent der westlichen Unternehmen Russland verlassen hätten, in vielen Fällen, weil ein Rückzug nicht einfach sei. Insgesamt habe man die RBI „durch den Sturm navigiert und den Kurs beibehalten“, fasste Hameseder zusammen.
RBI-CEO Johann Strobl betonte bei der Hauptversammlung, das man das Geschäft in Russland seit dem Kriegsausbruch im Vorjahr zurückfahre. So sei das Kreditneugeschäft um 30 Prozent in lokaler Währung reduziert worden. Die RBI arbeitet weiter intensiv an möglichen Lösungen für die Situation in Russland. Dabei seien folgende Prinzipien zu beachten: Konzernweite Governance und Compliance, der finanzielle und nicht-finanzielle Wert für die RBI, das Management von Spill-over-Effekten für das gesamte Netzwerk sowie die Fähigkeit zu einer geordneten Durchführung der Prozesse. Bis eine solche Entscheidung getroffen werde, werde man die Geschäftsaktivitäten in Russland weiter reduzieren, versicherte Strobl. Allerdings werde die russische RBI-Tochter weiter Bankgeschäfte tätigen, um ihre Banklizenz behalten zu können. Strobl räumte auch ein, dass man im Zuge der Abwicklung der ehemaligen Sberbank Europe eine Einladung angenommen habe, theoretisch über einen Asset-Tausch nachzudenken.
Die RBI bereite sich auf eine Zeit vor, in der die Raiffeisenbank Russland „gewollt oder erzwungen nicht Mitglied der RBI-Gruppe“ sein könnte. Das Jahresergebnis von knapp über 3,6 Mrd. Euro im Vorjahr, ein Plus von fast 27 Prozent, sei „ein sehr, sehr gutes“. Aber auch ohne die RBI-Töchter Russland und Belarus hätte die RBI bereinigt um den Erlös aus dem Verkauf des Bulgariengeschäfts ein Konzernergebnis von 982 Mio. Euro, ein Plus von 8,7 Prozent erwirtschaftet. Die harte Kernkapitalquote würde um 2 Prozentpunkte auf 14 Prozent absinken.
Über die Dividende wolle man angesichts der Entwicklungen im zweiten Halbjahr entscheiden. „Wir haben in Rahmen dieser Schwierigkeiten unsere Absicht mit 80 Cent je Aktie definiert bzw. in gewissen Maßen vorgemerkt“, so Strobl. Aufsichtsratspräsident Hameseder betonte im Rahmen der Hauptversammlung, dass das Ziel, eine Dividende auszuzahlen, zu den Top-Prioritäten zähle. Daher sei es nicht leicht gefallen, eine mögliche Dividendenausschüttung auf das zweite Halbjahr 2023 zu verschieben.