Idylle, Rückzugsort, Beschaulichkeit sagen die einen. Ausgestorbene Ortskerne, Talentabwanderung, unternehmerisches Brachland die anderen. Der ländlich-periphere Raum in Österreich hat ein Problem, „und zwar eines der pauschalen Zuschreibungen“, sagt Martin Heintel, Professor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Provinz ist nicht gleich perspektivlose Pampa. Selbst wenn in Zukunft da und dort ländliche Gemeinden schrumpfen und Städte weiter wachsen werden, gelte es vor allem eines nicht aus den Augen zu verlieren. Heintel: „Österreich ist nach wie vor ein reiches Land mit relativ hohem sozialen Wohlstand.“ Flächendeckend, über alle Regionen hinweg. „Und im internationalen Vergleich eines mit geringen Distanzen zwischen Zentren und Peripherien“, sagt Heintel. Wenn hierzulande also von Peripherie gesprochen wird, wäre meistens (städtische) Randlage zutreffender.
Pauschal zugeschrieben wird heimischen Abwanderungsregionen zudem ein Mangel an Arbeitsplätzen. Das Gegenteil ist oft der Fall: „In vielen ländlichen Regionen herrscht ein akuter Fachkräftemangel. Etwa im Waldviertel“, berichtet Heintel von den dortigen Projekten zur Regionalentwicklung. Auffällig sei in solchen Regionen, dass Frauen im Durchschnitt eine höhere berufliche Qualifikation aufweisen als Männer, aber nicht berufstägig sind. Einige von ihnen gehören auf dem Arbeitsmarkt der sogenannten stillen Reserve an: Jene Frauen etwa, die lange bei ihren Kindern zu Hause waren und gern arbeiten würden, wenn es ein passendes Angebot gäbe. Um unter anderem dieser Gruppe von Menschen adäquate Berufsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe zu ermöglichen, muss der ländliche Raum mit dem gesellschaftlichen Wandel Schritt halten. Mit flächendeckendem Ausbau von leistungsfähigem Breitband-Internet hat es sich damit nicht getan.
Kooperation ist „en vogue“
„Raumsensibler Wandel erfordert mehr als das“, bestätigt Yvonne Franz. Gemeinsam mit Martin Heintel leitet die Stadtgeografin das Weiterbildungsprogramm Kooperative Stadt- und Regionalentwicklung an der Uni Wien. Das Gelingen einer auf lokale Bedürfnislagen antwortenden und gleichzeitig transparenten wie inkludierenden Weiterentwicklung von Räumen für viele Menschen steht dabei im Fokus. Der universitäre Lehrgang betritt dabei neues raumrelevantes Terrain. In vier Semestern gilt es jeweils die „soziale, smarte, unternehmerische bzw. nachhaltige Region“ zu identifizieren, zu verstehen und zu gestalten. Kein einfaches Unterfangen, befinden sich auch ländliche Regionen als Lebens- und Wirkungsraum doch seit jeher im stetigen Wandel. „Verursacht wird dieser regionale Wandel vor allem durch gesellschaftliche Lebensstile und gesellschaftspolitische Entwicklungen. Um eine unternehmerische Region zu etablieren, scheint die Idee von kooperativem Wirtschaften in Form von Solidargemeinschaften oder Genossenschaften wieder en vogue“, sagt Franz.
Wie klimafreundlich ist Regionalität?
Wirtschaften im ländlichen Raum wird oft mit Regionalität gleichgesetzt, Regionalität wiederum mit Umwelt- und Klimaschutz. Sprich, wer zu heimischen Produkten greift, schützt die Umwelt, weil lange Transportwege gespart werden. Kann sein, muss es aber nicht, sagt der Umweltexperte Raphael Fink vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) kürzlich im Ö1-Konsumentenmagazin „Help“. Wenn ein heimischer Landwirt beispielsweise Schweinefleisch produziert und dabei für die Aufzucht der Tiere Soja aus Südamerika einsetzt, müsse dies als Greenwashing angesehen werden. Selbst wenn ausschließlich heimische Rohstoffe zum Einsatz kommen, sei regional nicht zwangsläufig die klimafreundliche Lösung, ist Fink der Ansicht. „Im Winter können aus Spanien oder Italien importierte Tomaten etwa eine bessere Klimabilanz aufweisen als heimische Produkte, weil der Energieaufwand für die Aufzucht von Glashaustomaten beträchtlich ist“, sagt Fink. Die Treibhausemissionen, die beim Warentransport entstehen, seien im Vergleich dazu gering.
„Es ist schon interessant, wenn von Umweltexperten in diesem Zusammenhang mit den niedrigen Transportkosten argumentiert wird“, entgegnet Josef Plank, Leiter der Abteilung Wirtschafts-, Agrar- und Europafragen im ÖRV, in einer schriftlichen Stellungnahme. „Vergessen wird dabei, dass diese Gemüseproduktionen im Winter alle auch in Folientunnels stattfinden, oft unter Einsatz von billigsten Arbeitskräften und sehr hohem Wasserverbrauch in den trockensten Regionen Europas.“ Plank ist überzeugt: „Der Kauf von heimischen Produkten ist da immer die bessere Lösung – da die Alternative der Kauf von Importfleisch ist und noch zusätzliche Fragen der Produktion und Verarbeitung aufwirft. Daher sind die Überlegungen, die europäische Eiweißproduktion massiv (Soja) zu steigern, richtig und notwendig.“ Nicht zu vergessen sei zudem, dass für die menschliche Eiweißversorgung die Grünlandwirtschaft mit Wiederkäuern enorm wichtig bleibe, „da wir diese Flächen (mehr als zwei Drittel der weltweiten Agrarfläche) nur so über hochwertige Milchprodukte und Fleisch für die Menschen nutzen können“, sagt Plank.
Im Beitrag auf Ö1 sagt VKI-Experte Fink weiter, es sei beispielsweise zwar besser, zu Biofleisch zu greifen, als die Massentierhaltung zu unterstützen. Das ändere letztlich aber nichts daran, dass die Fleischproduktion einen beträchtlichen Einfluss auf den Klimawandel hat und der Fleischkonsum in Österreich generell zu hoch sei, so Fink.
„Da macht wieder der Kauf eines heimischen Produktes sicher“, sagt dazu ÖRV-Agrarexperte Plank. „Schließlich sind die österreichischen bäuerlichen Betriebe – sowohl Bio wie auch konventionell – im internationalen Vergleich deutlich kleiner. Von Massentierhaltung ist da nicht zu reden.“ Dennoch ist Plank bewusst: „Die ideale Welt gibt es leider nicht. In der Rohstoffbeschaffung (Düngemittel, teilweise Futtermittel) kann die heimische Produktion nicht alles bereitstellen. Perspektivisch wird es aus Klimaschutzgründen und auch zur Sicherung der Lieferketten sicher notwendig sein, noch sorgsamer mit der Beschaffung umzugehen.“