Seit Gründung der CEE Charity durch den ehemaligen CEO der Raffeisen Bank International, Herbert Stepic, im Jahr 2006 wurden in Osteuropa mehr als 9 Mio. Euro für 160 Hilfsprogramme zur Verfügung gestellt. Schwerpunktregion ist aktuell die Ukraine.
Erst vor kurzem gab es den bisher größten russischen Luftangriff auf die Ukraine. Wie arbeitet die Stepic CEE Charity vor Ort trotz dieser gefährlichen Bedingungen?
Andreas Gschwenter: Als der Krieg ausgebrochen ist, sind sehr viele Menschen geflüchtet. Eigentlich nur Frauen und Kinder, denn Männer durften ja das Land nicht verlassen. Damals haben wir uns vorgenommen, dass keine Familie eines Mitarbeiters der Raiffeisenbank Ukraine ungeschützt über die Grenze geht. Also haben wir organisiert, dass auf der anderen Seite, in Polen oder einem anderen Nachbarland, jemand von Raiffeisen steht und die Frauen und Kinder abholt. Das war ein großer Schritt, den wir als Raiffeisen-Familie gemacht haben: Circa 1.000 Familien sicher über die Grenze zu bringen. Dann haben wir als Charity gesagt, wir müssen rasch dort helfen, wo es notwendig ist. In sehr guter Zusammenarbeit mit der Raiffeisenbank Ukraine haben wir eine Infrastruktur aufgestellt, mit der dieses Geld vor Ort ankommt.
Olga Mitsura: Raiffeisen hat ein sehr starkes Netz in der Ukraine. Unsere Kollegen in den Regionen haben den Überblick, wo die größte Not herrscht und wer Hilfe braucht. So hatten wir die Idee, unser Netzwerk einzubeziehen und schnell und unbürokratisch mit kleineren Beträgen bis 5.000 Euro zu helfen.
Warum gerade 5.000 Euro?
Gschwenter: Seit 2022 hat die Stepic CEE Charity bereits zehn Hilfsprogramme mit einer Vielzahl an Einzelprojekten in der Ukraine unterstützt, unser umfangreichstes ist „Kids Safe Haven“. Wir wollen in den kleinen Gemeinden etwas bewirken und haben das Feedback bekommen, dass man bereits mit geringeren Beträgen relativ viel bewegen kann. Da geht es beispielsweise darum, dass ein Kindergarten wieder hergestellt wird oder dass Kinder mit Dingen – von der Schultasche bis zum Notebook – ausgestattet werden, die sie für die Schule benötigen.
Mitsura: Allein heuer haben wir mit „Kids Save Haven“ schon 31 Einzelprojekte unterstützt. Ein weiteres Beispiel für unsere Hilfe: Durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms wurde die Wasserversorgung in Mykolajiw gestört. Wir haben ein Projekt für eine Trinkwasseraufbereitungsanlage unterstützt, so haben Kinder aus zwölf Schulen wieder Zugang zu Trinkwasser.
Wie läuft die Unterstützung konkret ab?
Gschwenter: Wir haben einerseits klare Richtlinien, welche Projekte – etwa ausschließlich zivile Projekte – für uns infrage kommen. Das macht es uns leicht, rasch geeignete auszuwählen. Gibt es eine Anfrage, wird sie von Freiwilligen in der Raiffeisenbank Ukraine, die uns vor Ort unterstützen, entsprechend den Richtlinien geprüft. Die Unterlagen werden der Charity in Wien zur Verfügung gestellt und basierend darauf geben wir Gelder frei. So sind wir uns sicher, dass das Geld tatsächlich bei den Projekten ankommt. Wir haben als Charity von Anfang bis Ende die Kontrolle, wo und wie viel Geld eingesetzt wird. Die Spendengelder fließen direkt in die Projekte, weil wir so gut wie keine Overheadkosten haben.
Welche größeren Projekte wurden unterstützt?
Gschwenter: Zwei Tage nach Kriegsausbruch haben wir die Evakuierung von Waisenkindern aus Mariupol und LKWs mit Hilfslieferungen organisiert. Diese Kinder wurden dann in den Westen der Ukraine gebracht und in Czernowitz in einem Kinderheim betreut. Dasselbe ist auch in Odessa geschehen.
Mitsura: Ein weiteres schönes Projekt ist ein Daycare-Zentrum für Waisenkinder und Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen, wo die Eltern oft keine Möglichkeit haben, sich mit den Kindern zu beschäftigen. Jeden Tag außer Sonntag gehen die Kinder daher nach der Schule direkt dorthin. Sie bekommen Essen und Unterstützung bei ihren Hausaufgaben, besuchen Computerklassen, schauen Filme zusammen und tauschen sich aus.
Gschwenter: Dieses Konzept setzen wir auch in anderen Ländern um, zum Beispiel in Rumänien: Das Hercules-Day-Center betreue ich persönlich. Das ist südlich von Bukarest, da sind ungefähr 50 Kinder aus einer sehr armen Region. Ich habe Familien zu Hause besucht: Vor dem Haus stand statt einem Auto ein Pferd und es gab weder Strom noch fließendes Wasser. Der Vater war zu Mittag schon betrunken. Man kann sich kaum vorstellen, wie ein Kind dort aufwächst. Was wir dort geschafft haben: 96 Prozent dieser Kinder haben die Schule mittlerweile abgeschlossen. Und ich bin fest überzeugt, ohne die Unterstützung der Charity wären es weniger als 10 Prozent gewesen. Unsere Hilfe geht auf das Prinzip von Friedrich Wilhelm Raiffeisen zurück – Hilfe zur Selbsthilfe, nach diesem Grundsatz arbeiten wir auch in der Charity.
Welche Rolle spielt die RBI für die Charity?
Gschwenter: Wir sind als Organisation nahe an der Bank und wir werden großartig unterstützt. Übrigens auch von der Raiffeisen Bankengruppe in Österreich, aus der wir Spenden bekommen. Freiwillige aus der RBI übernehmen zum Beispiel die Compliance-Verantwortung der Stepic CEE Charity. Derzeit sind mit Valerie Brunner, Andrii Stepanenko und mir drei RBI-Vorstände im Vorstand des Vereins engagiert. Unser Ziel: Wir sind mit der Charity überall dort in CEE tätig, wo auch die RBI tätig ist. Wir versuchen bei Projekten immer, die lokale Netzwerkbank und ihre Mitarbeiter zu involvieren. Ich glaube, das macht es auch so einzigartig, weil es sinnstiftend für die Mitarbeiter ist und zu einer Bindung führt.
Mitsura: Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um die Zeit, die wir für und mit diesen Kindern zusammen verbringen. Das können wir nur machen, weil wir als Raiffeisen in diesen Ländern vertreten sind und die RBI uns die Möglichkeit zum Corporate Volunteering gibt.
Welchen Stellenwert hat die Ukraine im Vergleich zu den anderen Ländern?
Gschwenter: Im Jahr 2023 haben wir in Osteuropa 43 Projekte mit insgesamt 782.984 Euro unterstützt und damit 10.112 Frauen und Kindern geholfen. In die Ukraine flossen rund 38 Prozent der Hilfsmittel. Das war mit Abstand der größte Anteil für ein einzelnes Land.
Wie viel von den Spenden kommt von der RBI?
Gschwenter: Rund ein Viertel bis ein Drittel kommt von der Bank.
Wie groß ist das Engagement der RBI-Mitarbeiter?
Gschwenter: Wir haben rund 50 Personen in Wien, die in der CEE Charity mitarbeiten. Aber man muss natürlich auch alle Kolleginnen und Kollegen in den Ländern dazuzählen, die bei den Projekten vor Ort mitarbeiten. Das passiert alles ehrenamtlich über die Arbeitszeit hinaus und wird vom Top-Management unterstützt. Es ist auch für das Unternehmen ein großer Mehrwert, wenn sich die Mitarbeiter gemeinsam sozial engagieren.
Wie gehen Sie persönlich mit solchem Leid wie etwa in der Ukraine um?
Gschwenter: Das geht sehr nahe. Ich habe selbst vier Jahre mit meiner Familie in der Ukraine gelebt. Da kriegt man auch heute noch die Einzelschicksale mit. Viele Leute haben über Nacht alles verloren – das geht unter die Haut.
Mitsura: Natürlich ist das immer traurig. Gleichzeitig muss ich mir sagen: Denk nicht nur darüber nach, sondern fokussiere dich darauf, was du machen kannst.
Beim Ukraine-Krieg ist kein Ende in Sicht, entsprechend auch nicht beim Bedarf an Hilfe. Wie schaffen Sie es, nicht zu resignieren?
Gschwenter: Wir sehen ja nicht nur die Probleme – wir sehen auch, wo wir helfen konnten. 2.000 bis 3.000 Euro sind in Österreich heutzutage nicht ganz so viel, aber wenn in einem kleinen Ort in der Ukraine mit diesem Geld ein Kindergarten wieder aufsperrt, ist das schon motivierend.
Was war ausschlaggebend für Sie, sich bei der Charity zu engagieren?
Gschwenter: Ich habe 15 Jahre in Osteuropa gearbeitet. Da wird man sensibilisiert. Ich habe auch in der Ukraine gesehen, wie gut die Charity funktioniert und Hilfe dort angekommen ist, wo es notwendig war. Man sieht, man bewegt was da draußen. 10.000 Kinder, die eine Zukunft haben, sind ein super Motivator.
Mitsura: Der Hauptgrund ist wahrscheinlich meine persönliche Geschichte. 1989, die Ukraine war noch in der Sowjetunion, war ich acht oder neun Jahre alt. Wir waren sehr arm, wir hatten gar nichts. Um zum Beispiel 200 Gramm Sauerrahm zu kaufen, musste man schon um 5 Uhr morgens auf der Straße Schlange stehen. Damals gab es ein Programm, in dem ukrainische Kinder für zwei Sommerwochen bei österreichischen Familien aufgenommen wurden. Ich war eines dieser Kinder. So kam ich zum ersten Mal ins Ausland und zu einer tollen Familie, die mir viel gezeigt hat. Das Belvedere, Schönbrunn, den Prater oder einen Supermarkt – ich war ganz schockiert, ich hatte noch nie so etwas gesehen. Ich habe hier zum ersten Mal Nutella probiert. Nach Hause haben sie mir dann eine Schultasche mit Schulmaterial mitgegeben. All das hatten wir nicht in der Ukraine und die halbe Stadt ist zu uns nach Hause gekommen, nur um zu schauen, was das ist. Ich denke, ich bin ein gutes Beispiel, wie diese Hilfe wirklich ein Leben beeinflussen kann.
Was war Ihre schönste Erfahrung im Rahmen der wohltätigen Arbeit?
Gschwenter: Diese 1.000 Familien, das war schon ein toller Moment. Oder zu sehen, wie die Kinder in Armut leben, die man sich bei uns nicht vorstellen kann – und dann diese Kinder im Tageszentrum zu sehen, wie sie lachen und sich freuen, das ist schon ein bewegender Moment.