Welternährung im neuen Licht

Der Krieg in der Ukraine bringt massive Verwerfungen auf den Agrarmärkten. Die Versorgung der Europäischen Union ist zwar gesichert. Mittelfristig könnten aber Länder, die von Getreideimporten abhängig sind, in Bedrängnis kommen.

Weizen Symbolbild
(c) Pixabay

Die weltweiten Getreidemärkte spielen nach dem Überfall von Wladimir Putins Russland auf die Ukraine geradezu verrückt. An den Warenterminbörsen erreichten die Kurse für Weizen nie dagewesene Notierungen. Die Preise für Getreide kletterten auf Allzeithochs. Immerhin stellen Russland und die Ukraine zusammen 29 Prozent des Welthandelsvolumens für Weizen, 20 Prozent beim Mais und gar 79 Prozent bei Sonnenblumenöl. Daneben galoppieren auch die Energiepreise weiter davon. Betriebsmittel werden damit zu einer noch drückenderen Kostenbelastung für die Landwirtschaft. Auch für die Produktion von Stickstoffdüngern wird Erdgas benötigt, das nach der Preisrallye im Vorjahr nochmals angezogen hat. Andere Mineralstoffe, wie zum Beispiel Kali, werden zu einem guten Teil in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion abgebaut. Ihre künftige Verfügbarkeit ist damit ebenso unklar.

„Wir haben kurzfristig genug Getreide auf Lager.“ 

Reinhard Wolf
RWA-Chef Reinhard Wolf im Gespräch
RWA-Generaldirektor Reinhard Wolf erklärt die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die internationalen Agrarmärkte. (c) RZ/Suchanek

Dementsprechend nervös reagiert das agrarische Umfeld. Zumindest für die nächste Zeit gibt der Generaldirektor der Raiffeisen Ware Austria, RWA, Reinhard Wolf, aber Entwarnung. „Wir haben kurzfristig genug Getreide auf Lager, um die Versorgungssicherheit der Mühlen gewährleisten zu können. Auch bei Futtermitteln, Pflanzenschutz und Dünger haben die Lagerhausgenossenschaften und die Landwirte vorgesorgt.“ Generell könne sich die Europäische Union grundsätzlich selbst mit Getreide versorgen. Bei Sonnenblumen und Raps ist die Bedeutung der Ukraine höher. Österreich wird sich Wolf zufolge jedenfalls in allen Szenarien selbst ernähren können, die Konsumenten müssen sich aber auf höhere Preise für Lebensmittel einstellen.

Kornkammer Ukraine

Dass die Ad-hoc-Auswirkungen in der Alpenrepublik zunächst sehr überschaubar bleiben werden, bestätigt auch der Direktor der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen, Thomas Resl: „Der Handel mit Russland war schon aufgrund der bisherigen Sanktionen sehr eingeschränkt. Mengenmäßig brauchen wir uns auch wegen der Ukraine nicht zu sorgen.“ Die Kurse für Agrargüter würden aber jedenfalls parallel zu den Energiepreisen hinaufgehen. Richtig dramatisch kann die Lage jedoch für jene Länder werden, die ihre stark wachsende Bevölkerung nicht von eigenen Feldern ernähren können. Immerhin zehn Prozent des globalen Weizenhandels gehen über die Ukraine. Alleine Ägypten muss für seine 100 Mio. Bürger jährlich zehn bis 11 Mio. Tonnen Weizen importieren. Eine Verknappung auf Basis derzeit ohnehin geringer Lagerbestände kann fatale Folgen haben. „Welche politischen Auswirkungen ein Engpass bei Lebensmitteln haben kann, haben wir im Arabischen Frühling gesehen“, so Resl.

Reinhard Wolf weist darauf hin, dass rund die Hälfte des Getreides der Welthungerhilfe aus Beständen der Ukraine kommt. Würde diese als Lieferant komplett ausfallen, stände die Welt vor einem massiven Problem. Noch ist aber vieles unklar, weswegen der RWA-Manager dazu aufruft, kühlen Kopf zu bewahren. „Exportstopps, wie sie Viktor Orban am Wochenende erlassen hat, sind eine reine inner-ungarische Wahlkampfstrategie. Sie widersprechen den Prinzipen des Binnenmarktes und müssen unterbunden werden.“ Noch stehen auf den ukrainischen Äckern zumindest keine unaufschiebbaren Arbeiten an. Gelingt es, die Krise weltpolitisch zu lösen, könnte sich die Lage also wieder entspannen. Gekämpft wird aktuell vor allem rund um die Städte und nicht in den endlosen Getreideanbaugebieten. Viele Landarbeiter rüsten sich aber für den Einsatz in den Milizen. „Wenn es so weitergeht, ist es unklar, wer dann mit den Traktoren und Mähdreschern fahren soll“, warnt Wolf. Selbst wenn wieder Frieden herrscht, könnte ein Export aus der Ukraine sogar dann schwierig werden, wenn Infrastruktur wie die Häfen zerstört ist.

Fruchtbare Schwarzerde

Russland wird sich in seinen Wirtschaftsbeziehungen stärker Richtung China und Südostasien orientieren. In welche Richtung sich die Ukraine wendet, wird vom Ausgang des Krieges und seinen Folgen abhängen. Je nachdem, welches Weltbild in Kiew regiert, wird sich die Ukraine noch mehr den europäischen Märkten zuwenden oder von diesen abgeschnitten sein. „Die fruchtbaren Schwarzerdeböden kann aber auch Herr Putin nicht wegtragen“, meint Reinhard Wolf, „und irgendwo wird das Getreide ja wachsen müssen, um künftig zehn Milliarden Menschen zu ernähren.“ 

Der mögliche Ausfall der Kornkammer Europas bereitet auch der Politik Kopfzerbrechen. In der Europäischen Union werden deshalb jedenfalls schon Gedanken gewälzt, die Brachflächen zur Absicherung der Versorgung für den Anbau von Körnerleguminosen und Soja freizugeben. „Jetzt wertvolle Ackerflächen stillzulegen, wie es der Green Deal vorsieht, gefährdet die Versorgungssicherheit und würde eine humanitäre Krise verschärfen“, fordert etwa Bauernbundpräsident Georg Strasser eine Kurskorrektur. Europa könne sich jetzt keine Ertragsreduktion leisten. RWA-Generaldirektor Reinhard Wolf möchte mit grundsätzlichen Diskussionen noch warten, „solange ein paar hundert Kilometer entfernt auf Menschen geschossen wird. Irgendwann wird man aber die wirtschaftliche Landesverteidigung und den Aspekt der Versorgungssicherheit neu diskutieren müssen.“   

Noch liegen die nächsten Wochen aber völlig im Nebel. Sollte die Ukraine als Resultat stärker an die EU gebunden werden, hat das jedenfalls Auswirkungen auf den Binnenmarkt. Immerhin verfügt das Land über ein Drittel der Anbauflächen wie die Summe aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. „Würde man diese Mengen zollfrei in die Union lassen, wäre der wirtschaftliche Druck gewaltig“, sagt Thomas Resl. Andererseits sei eine stärker integrierte Ukraine eine Chance, sich bei der Eiweißversorgung unabhängiger von Südamerika zu machen. Die aktuelle Situation wird die Zukunft der Landwirtschaft jedenfalls langfristig prägen: „Die Preise werden schon allein wegen der Energiekosten hoch bleiben. Derart billiges Fleisch wie bisher wird es nicht mehr spielen. Und auch die Kurzfristigkeit der Verträge im Getreidehandel wird in Frage zu stellen sein.“

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