„Wir stehen an den Grenzen bereit“

Der RBI-Konzern stellt rund sechs Millionen Euro für Soforthilfe bereit. Die Mitarbeiter unterstützen ihre ukrainischen Kollegen bei der Flucht. RBI-Vorstand Andreas Gschwenter beschreibt die aktuelle Situation.

Ukrainische Grenzsituation
Die ukrainischen Mitarbeiter und ihre Familien werden an den Grenzen von Kollegen der jeweiligen Netzwerkbank abgeholt und versorgt. (c) RBI

Der Krieg in der Ukraine hat eine Welle der Hilfsbereitschaft in der RBI und ihren Netzwerkbanken ausgelöst. Wie und wo kann die RBI im Augenblick helfen?
Andreas Gschwenter: Beim Krisenmanagement unterscheidet man generell in drei Phasen: Ich muss jetzt sofort helfen. Ich muss morgen helfen. Und ich muss in der Zukunft helfen. Beim Jetzthelfen geht es um Geschwindigkeit und nicht um die ganz große Abstimmung. Morgen geht es schon um die nächsten paar Tage und Wochen – da kann man schon mehr planen. Und dann gilt es zu schauen, dass man nachhaltig unterstützt und Strukturen schafft.

Wie sieht die Hilfe im Jetzt aus?
Gschwenter: Wir waren vom Krieg und insbesondere dessen Dimension überrascht. Es hat niemand geglaubt, dass die russische Armee über die Ostukraine hinausgehen würde. Für uns war es wichtig, sehr schnell zu reagieren. Wir haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Ukraine logistisch unterstützt, dass sie sich vom Osten in Richtung Westen bewegen können. Das hat die lokale Bank sehr gut organisiert. Wir haben zu jedem Zeitpunkt gewusst, wo jeder Mitarbeiter ist. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hat es keine Busse mehr gegeben, aber wir haben zumindest gewusst, wo unsere Leute unterwegs sind und wann sie in der Westukraine ankommen. Dort haben wir ihnen Unterstützung gegeben, bei der Unterkunft und und und.

„Die Hilfe wurde sehr schnell hochgefahren.“

Andreas Gschwenter

Es geht momentan also primär um Fluchthilfe?
Gschwenter: Es geht für uns darum, den Menschen zu helfen und gleichzeitig den Betrieb der Bank zu gewährleisten. Wir sind eine sehr wichtige Infrastruktur in der Ukraine – bis heute funktioniert der Zahlungsverkehr, und unsere Kunden können nach wie vor ihre Bankomatkarten verwenden. Am Freitag haben die Kollegen in der Ukraine es geschafft einen Bus zu organisieren, der Kiew mit 60 Leuten verlassen hat. Wir haben noch einige Mitarbeiter in Kiew sitzen, wobei nicht jeder die Stadt verlassen will. In den angrenzenden Ländern Slowakei, Ungarn, Rumänien und Polen, wo wir Tochterbanken bzw. eine Filiale in Warschau haben, wurde die Hilfe sehr schnell hochgefahren. Wir haben Kommunikation und Koordination geschaffen. Es gab ein klares Ziel: Wenn ein Mitarbeiter oder seine Familie irgendwo über die Grenze geht, dann muss er von dort abgeholt und von uns versorgt werden. Wir wollen nicht, dass unsere Mitarbeiter und deren Familien über die Grenze gehen und dann keine Unterstützung mehr haben. Durch die Organisation in der Ukraine und auf der anderen Seite der Grenze können wir unsere Mitarbeiter und ihre Familien beim Grenzübergang abholen. Sie bekommen eine Erstversorgung, kommen in ein Hotel oder Appartement und es beginnt gegebenenfalls auch die finanzielle Unterstützung. Der Bedarf ist ganz unterschiedlich. Die meisten Ukrainer gehen zu Fuß über die Grenze, bleiben ein, zwei Tage im Hotel und fahren dann weiter, weil sie Bekannte, Verwandte oder Freunde in Europa haben. Hier unterstützen wir beispielsweise bei der Logistik oder stellen den Kontakt zur jeweiligen lokalen Raiffeisenbank her, damit die Kollegen sie dort übernehmen. In Polen bleiben unsere ukrainischen Kollegen eher vor Ort -aber das kann sich alles ändern. Deshalb müssen wir sehr flexibel bleiben, wie und wo wir sie unterstützen. Parallel dazu haben wir auch in den anderen nicht direkt an die Ukraine angrenzenden Ländern begonnen Wohnungen und Hilfsstrukturen aufzubauen.

Wie viele Mitarbeiter haben den Sprung über die Grenze bereits geschafft?
Gschwenter: Allein in Polen wurden in den vergangenen Tagen 70 Kollegen und ihre Familien unterstützt, wobei Männer zwischen 18 und 60 die Ukraine ja nicht verlassen dürfen. Da spielen sich herzzerreißende Situationen ab. Die Leute aus den Netzwerkbanken sind unglaublich hilfsbereit, stehen an der Grenze und unterstützen mit voller Kraft.

Auch in Rumänien, in der Slowakei und Ungarn stehen Kollegen an der Grenze bereit. Hätten Sie mit so viel Solidarität unter den RBI-Mitarbeitern gerechnet?
Gschwenter: Es geht weiter, als ich gedacht habe. Ich bin positiv überrascht und es ist unglaublich, wie viel Engagement und Selbstinitiative passiert. Das Engagement unserer Mitarbeiter macht meine Kollegen im Vorstand und mich unglaublich stolz.

„Das Engagement unserer Mitarbeiter macht unglaublich stolz.“

Andreas Gschwenter

Wie kann die Bank ihre Mitarbeiter bei der Hilfe unterstützen?
Gschwenter: Wenn Mitarbeiter an die Grenze fahren und Leute abholen, dann ist das organisiert. Da stehen Strukturen, das Management und Budgets dahinter. Es werden Appartements angemietet und so weiter. Es ist natürlich von Land zu Land unterschiedlich. Wir haben große Banken in Rumänien, der Slowakei und Ungarn -die schaffen die Hilfe aus ihrer Struktur heraus. Hier geht es darum, die Flüchtenden mit der Hilfe auf der anderen Seite der Grenze zu „verbinden“. Die meisten Grenzübertritte sehen wir aber in Polen, dort ist unsere kleinste Einheit mit ein paar Hundert Mitarbeitern. Da müssen wir noch eine Parallelstruktur aufbauen, damit sie diese Mengen bewältigen können. Wir stellen hier zusätzliches Personal auf, um unsere Kollegen aus der Ukraine zu unterstützen.

Die RBI hat in der Ukraine mehr als 6.000 Mitarbeiter. Wie viele sind auf der Flucht?
Gschwenter: Wir haben 6.000 Kolleginnen und Kollegen, das stimmt, mit ihren Familien sind es rund 20.000. Die Ukraine hat mehr als 40 Millionen Einwohner und es gibt Schätzungen, dass 4 Millionen das Land verlassen werden. Wenn ich diesen Anteil auf unsere Raiffeisen-Familie umrechne, dann wären das 2.000 Personen. Es ist natürlich davon abhängig, wie sich der Krieg weiterentwickelt. Wenn er sich Richtung Westukraine bewegt, dann werden die Zahlen steigen. Wir müssen hier sehr flexibel sein und sind jetzt wirklich noch beim Jetzt und beim Morgen.

Wie schwierig gestaltet sich die Hilfe direkt in der Ukraine?
Gschwenter: Die Raiffeisen Bank in der Ukraine hat ein Budget von 5 Mio. Euro genehmigt bekommen, um damit das Rote Kreuz bei der Hilfeleistung zu unterstützen. Mit dem Roten Kreuz haben wir einen sehr verlässlichen Partner in der Ukraine, der in Zusammenarbeit mit unserer Bank sehr schnell reagieren kann.

RBI-Vorstand Andreas Gschwenter spielt mit Waisenkind
RBI-Vorstand Andreas Gschwenter besucht regelmäßig die Einrichtungen der Stepic CEE Charity, wie hier das Hercules Center in Rumänien. (c) Stepic CEE Charity

Die H. Stepic CEE Charity hat in den letzten 16 Jahren verschiedene Projekte in der Ukraine umgesetzt -unter anderem für Waisenkinder, Frauen und Menschen mit Behinderung. Wie sind dort die aktuellen Entwicklungen?
Gschwenter: In Mariupol haben wir es gerade noch geschafft – mit einer Spende von 25.000 Euro – die Kinder unseres Heims sicher in die Westukraine zu bringen. In einer anderen Stadt haben wir die Kinder nicht mehr herausgebracht. Die Logistik in einem Krieg ist nicht einfach, da gibt es keine Busse mehr, keinen Diesel und manchmal ist es auch einfach zu gefährlich. Wir haben in der Stepic Charity schon über 110.000 Euro für konkrete Maßnahmen in der Ukraine ausgegeben. Da hilft es uns natürlich, dass wir die Projekte vor Ort haben, Personen und Hilfsorganisationen kennen.

Sie sitzen auch in der Stepic CEE Charity im Vorstand. Wie viele Spenden konnten seit Kriegsausbruch gesammelt werden und wofür werden die Gelder verwendet?
Gschwenter: Seit Beginn haben wir mehr als 70.000 Euro gesammelt, wobei der Großteil davon von den RBI-Mitarbeitern selbst kommt. Es geht vor allem darum, die Leute, die über die Grenze kommen, gut zu unterstützen und Strukturen aufzubauen, um ihnen auch zukünftig nachhaltig helfen zu können. Das beginnt bei Essenspaketen und geht bis hin zu Wohnungen und Taschengeld. Das Geld kommt ohne Abzüge direkt bei den Leuten an. Wir machen kein einziges Projekt, wo nicht auch unsere Mitarbeiter mitarbeiten.

Erste Flüchtlinge sind auch in Wien angekommen. Wie will die RBI in Österreich helfen?
Gschwenter: In Wien haben wir bereits 50 Appartements für 3 Monate angemietet, dafür stellen wir gut 75.000 Euro bereit. Mit Stand Anfang dieser Woche waren mehr als 30 Familien mit insgesamt mehr als 100 Personen in von RBI-Kolleginnen und -Kollegen zur Verfügung gestellten Quartieren untergebracht. Es gibt in der RBI ein ganzes Bündel an Maßnahmen, auch mit starker Unterstützung unseres Betriebsrats. Die Initiativen unserer Mitarbeiter bilden die Basis, wir koordinieren diese und verbinden sie zu einem großen Ganzen. Uns ist wichtig, dass die Raiffeisen-Familie hier sehr rasch reagiert und der Zusammenhalt zwischen den ukrainischen Mitarbeitern, deren Familien und uns passt. Wir evaluieren auch gerade, wie wir Kinder und Jugendliche bei Sprachkursen, Integration und Ausbildung unterstützen können.

Alle Entwicklungsfortschritte der vergangenen Jahre werden in der Ukraine im Moment zerstört. Was gibt Kraft, nicht zu resignieren?
Gschwenter: Wir kennen die Menschen. Wir kennen unsere 6.000 Kollegen und wir glauben, dass das ein wichtiger Moment ist zu zeigen, was wir als Raiffeisen für unsere Gemeinschaft sehr schnell machen können. Die Frage nach dem Resignieren stellt sich gar nicht. Ich fürchte, dass mehr als vier Millionen Ukrainer flüchten werden -aber ich bin mir sicher, dass Raiffeisen hier einen großen Beitrag leisten wird.

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