Trotz des deutlichen Rückgangs der Inflation wird der weitere Kampf gegen den Preisauftrieb schwieriger, warnen Raiffeisen-Research-Experten. In diesem schwierigen Umfeld verläuft die Konjunktur bisher zweigeteilt.
„Wir müssen den volkswirtschaftlichen Rucksack der vergangenen zwei, drei Jahre abarbeiten“, erläutert Gunter Deuber, Leiter und Chefökonom von Raiffeisen Research. Im Fokus steht vor allem die weiterhin hohe Inflation. Laut Schnellschätzung lag diese im Juli bei 7,0 Prozent. Zum Vergleich: Anfang des Jahres hatte die Inflation noch 11,2 Prozent betragen – der höchste Stand seit 1952. Deuber warnt angesichts des deutlichen Abklingens der Inflationsrate aber vor einer zu optimistischen Haltung. „Wir sehen jetzt den ersten langsamen Rückgang der Inflation. Der war aber auch erwartbar und hat sehr viel mit dem Basiseffekt bei der Gesamtinflation zu tun, der vor allem aus dem Energiebereich kommt“, analysiert der Ökonom. Bis zum Jahresende hält er eine Inflationsrate um die 4 Prozent für möglich.
Eine klare Sicht werde man aber erst im ersten Quartal 2024 bekommen, denn dann sollte der Basiseffekt ausgelaufen sein. Erst dann werde man sehen, ob auch die Kerninflation nachhaltig zurückgehe und ob Inflationsraten zwischen 2 und 3 Prozent realistisch seien. „Der nächste Schritt wird der schwierigere“, sagt der Raiffeisen-Experte mit Blick auf den Preisauftrieb.
Trotz sinkender Inflationsraten falle der Inflationsaufschlag Österreichs gegenüber der Eurozone nahezu rekordhoch aus, geht aus einer Analyse von Raiffeisen-Research-Ökonom Matthias Reith hervor. „Das bleibt nicht folgenlos für die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Unternehmen, allen voran der im internationalen Wettbewerb stehenden Industrie“, so Reith. Schon jetzt steigen auch die Stundenlöhne hierzulande stärker als in der Eurozone oder in Deutschland. Im ersten Quartal 2023 belief sich das Lohnwachstum in der Industrie in Österreich auf 7,3 Prozent p.a. – fast doppelt so viel wie in der Eurozone (3,8 Prozent p.a.) und deutlich mehr als in Deutschland (4,1 Prozent p.a.). Auch die Lohnstückkosten – ein Maß für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit – seien zu Jahresbeginn hierzulande stärker angestiegen. Das dürfte erst der Anfang gewesen sein, meint Reith. Die nächsten Jahre werden zweifelsohne schwierige Jahre für die österreichische Industrie. Kurz- und mittelfristig werde Österreich gegenüber der europäischen Konkurrenz an preislicher Wettbewerbsfähigkeit einbüßen.
Der Österreich-Aufschlag bei der Inflation bleibt nicht folgenlos für die Konkurrenzfähigkeit.
Matthias Reith
„Auch wenn der Inflationsrückgang hierzulande weitaus zäher verläuft als in der gesamten Eurozone: Der Beginn einer neuen Ära, in der die heimischen Verbraucherpreise über viele Jahre hinweg spürbar schneller steigen, zeichnet sich nicht ab“, so der Raiffeisen-Experte. Langfristig dürfte sich der „Österreich-Aufschlag“ auf einem Niveau einpendeln, wie es bereits in den Jahren nach der Finanzkrise zu beobachten war. Denn dass Inflation und Lohnwachstum hierzulande höher sind als im Rest der Währungsunion, ist keine neue Erfahrung. Im Durchschnitt der Jahre 2011 und 2022 lag die heimische Inflation Jahr für Jahr um 0,6 Prozentpunkte über der Teuerung in der Währungsunion. Die Wettbewerbsposition der Industriebetriebe habe sich in dieser Zeit trotzdem nicht nennenswert verschlechtert, erläuterte der Raiffeisen-Experte. Denn die Unternehmen seien nicht nur teurer, sondern auch besser geworden: Den Lohnanstiegen standen signifikante Produktivitätszuwächse gegenüber.
Dennoch wäre Untätigkeit fehl am Platze, so Reith weiter. Denn selbst wenn die Lohnstückkosten nur für kurze Zeit (deutlich) stärker steigen als in anderen Ländern: Ein dauerhafter Wettbewerbsnachteil bleibt. Folglich gelte es einerseits, den derzeitigen Kostenanstieg so gering wie möglich zu halten. Und andererseits muss es das Ziel sein, das zuletzt auch in Österreich abflachende Produktivitätswachstum wieder zu beleben, um die derzeitigen Kostenanstiege im Nachhinein zumindest teilweise wieder „einzufangen“ und um auch längerfristig moderat höheren Inflationsraten sowie Lohnzuwächsen etwas entgegensetzen zu können, so der Raiffeisen-Experte.
Heterogene Konjunktur
Deuber wies darauf hin, dass aktuell die Konjunktur eine zweigeteilte sei. Während im Dienstleistungsbereich etwa der Tourismus nach wie vor von der Post-Corona-Erholung profitiere, verzeichne die Industrie einen merkbaren Einbruch der Konjunktur. „Diese gegenläufigen Faktoren haben dazu geführt, dass wir in keine tiefe Rezession schlittern“, so Deuber. Allerdings dürfte Europa aus diesem Inflationsumfeld nicht schmerzlos bzw. ohne Wohlstandsverluste herauskommen. So zeichne sich in Deutschland eine technische Rezession ab – hier müsse man die endgültigen Konjunkturzahlen noch abwarten. Und auch Österreich schramme derzeit nahe an einer Rezession vorbei. So schrumpfte die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal um 0,4 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Dieses trübe Bild wird auch vom Einkaufsmanagerindex bestätigt, der sich auf dem tiefsten Wert seit April 2020, also der Corona-Zeit, befindet. „Die Neuaufträge in der österreichischen Industrie sind derzeit eingebrochen wie im Jahr 2009“, so Deuber. Für heuer rechnet Raiffeisen Research im besten Fall mit einem geringen BIP-Wachstum unter 1 Prozent, 2024 soll es dann zwar auf 1,4 Prozent hinaufgehen, allerdings werde man unter dem Potenzialwachstum bleiben.
Ein Grund für die schwächelnde Konjunktur sei auch der reale Rückgang bzw. die Stagnation des privaten Konsums in Österreich. „Diesen Rückgang der Wirtschaftsdynamik wird die breite Bevölkerung spüren“, so Deuber. Es passiere in Österreich sehr selten, dass der private Konsum zurückgehe. Eine Stabilisierung dürfte die nächste Lohnrunde ab Herbst bringen. Die Bruttotariflöhne könnten dann erneut um 7 bis 8 Prozent zulegen „Da steht uns einiges bevor“, so Deuber mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit vor allem der Industrie. Er rät den Interessenvertretern und der Politik genau zu schauen, was die Nachbarländer in Bezug auf Lohnverhandlungen und Arbeitszeitregelungen vorhaben, um sich nicht zu schnell aus der Deckung zu wagen. „Es wird nicht einfach, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit beizubehalten. Jeder zusätzliche Ballast und Eingriff ist aber sehr, sehr kritisch. Wir sehen die aktuelle Situation als insgesamt noch managebar, aber wenn jetzt noch mehr dazukommt, dann könnten wir einen ‚Tipping-Point‘ erreichen“, sagt der Chefökonom.
Der Ertragshöhepunkt im Bankensektor ist sicher heuer.
Gunter Deuber
Banken mit Ertrags-Peak
Wesentlich rosiger sieht es derzeit in der Finanzbranche aus, die den zinslichen Rückwind deutlich spürt. „Der Ertragshöhepunkt im europäischen und österreichischen Bankensektor ist sicher heuer. Das heißt aber nicht, dass es im kommenden Jahr deutlich schlechter werden muss, aber die Dynamik ist nicht mehr so nach oben gerichtet“, sagt der Raiffeisen-Analyst. Die heimischen Banken konnte heuer ihre Zinsergebnisse deutlich im zweistelligen Bereich steigern. Darüber hinaus hatte die österreichische Volkswirtschaft Ende 2022 einen Finanzpolster von rund 7 Mrd. Euro an Überschussliquidität aus der Corona-Pandemie in Form von Bargeld und Bankeinlagen. Jetzt gehe das langsam zurück. Das bedeute aber, dass die Banken mehr auf der Zinsseite tun müssen. Darüber hinaus könnte langsam das eine oder andere Thema auf der Kostenseite dazukommen, ohne dass es dramatisch werde, meint Deuber und nennt etwa die begonnene Anpassungsphase im Immobilienbereich, die mehrere Jahre dauern dürfe. „Das wird im Bankensektor zu spüren sein“, ist der Ökonom überzeugt.
Aber auch von der EZB-Seite kommen schärfere Töne. Nach der Rückführung der langfristigen EZB-Kredite (TLTROs) bekommen die Banken auf ihre Mindestreserven ab September keine Zinsen mehr. Damit entgehen den europäischen Kreditinstituten jährliche Zinszahlungen von 6 Mrd. Euro. Deuber will nicht ausschließen, dass die EZB weitere Maßnahmen setzen könnte, die das Zinsgeschäft der Banken begrenzt.
In der Geldpolitik sieht Deuber zwar den Zinsgipfel beinahe erreicht. Für die nächste Zinssitzung im September werde es kaum neue Daten geben. Ob die EZB einen weiteren Zinsschritt setzen werde, dürfte nach seiner Einschätzung vor allem von den Inflationserwartungen abhängen. Mittelfristig liegen diese immer noch bei 2,5 Prozent, also dort, wo die EZB die Zinswende eingeleitet hatte. Allerdings sollte man sich nicht zu sehr auf den Leitzins konzentrieren, denn die Notenbanken haben in den vergangenen Jahren alternative Instrumente entwickelt, um die Finanzierungskonditionen zu beeinflussen. Daher dürften diese weiterhin lange restriktiv bleiben.