Wiener Viktoria: „Das St. Pauli Österreichs“

Regionalligist Wiener Viktoria ist viel mehr als ein Fußball-Klub und will mithilfe von Sport- und Musik-Legenden soziales Engagement mit sportlichem Erfolg kombinieren. Wie das gelingen kann, verrät Obmann Roman Zeisel.

Seit er 1978 als 8-Jähriger vom Cordoba-Virus infiziert wurde, ist Roman Zeisel Mitglied bei der Wiener Viktoria. Und hat bis heute schon jeden Posten im Verein besetzt, „mit Ausnahme des Platzmeisters“, wie der 55-Jährige sagt. Seit 2013 fungiert er als hauptamtlicher Obmann des Meidlinger Vereins, der sich nicht nur über sportlichen Erfolg definiert und seit vier Jahren von „Raiffeisen Wien – Meine Stadtbank“ gesponsert wird. „Eine großartige Partnerschaft, auf die wir sehr stolz sind.“

Sie kennen die Wiener Viktoria seit 47 Jahren. Hatte der Klub immer schon den Anspruch, mehr als ein Fußballverein zu sein? 
Roman Zeisel: Ja, die Viktoria war seit jeher ein Klub, bei dem die Alten auf die Jungen geschaut haben. Dieses Engagement aller Funktionäre hat mich stark gemacht, ein ordentlicher Mensch zu werden und meinem Hobby Fußball in einem sicheren Umfeld nachgehen zu können. Das wollte ich zu einem Multiplikator für die nachfolgenden Generationen machen.

Das Motto des Vereins lautet „Mit Herz und Leidenschaft“, was sich wohl jeder Klub auf die Fahnen schreiben würde. Warum wird das bei euch noch mehr gelebt?
Zeisel: Wir sind nicht der klassische Fußballverein. Bei uns gibt es einen Leitkodex: Fußball ist das Instrument, Sozialarbeit die Melodie. Dieser Satz sagt eigentlich alles aus. 

Für dieses Engagement steht der Klub. Es wird aber Menschen geben, die sagen: Soziales Engagement kostet Geld, bringt aber keinen sportlichen Erfolg.
Zeisel: Die gibt es. Uns geht es zum Beispiel bei der Nachwuchsarbeit auch nicht um die Maximierung des Erfolgs. Unser Ansatz ist, kein Kind wegzuschicken, erst recht nicht die, die nicht so gut kicken können. Weil genau die es sind, die den Sport am meisten brauchen. Durch diesen „Zug zur Mitte“ werden die Schwächeren stärker, die Stärkeren aber schwächer. Wenn bei uns ein Kind mit zwölf oder 13 Jahren viel besser ist als der Durchschnitt, empfehlen wir ihm, zu einem großen Klub wie Rapid oder Austria zu gehen. Wir satteln das Pferd von hinten auf und versuchen die Gesellschaft, die jeden Tag mehrmals gespalten wird, zwischen 16 und 22 Uhr wieder zusammenzuführen.

Ihr bietet zum Beispiel Hilfe für obdachlose Menschen. Wie sieht das konkret aus?
Zeisel: Wir stellen ab dem 1. Dezember unsere Kabinen als Schlafplatz zur Verfügung. Abends um 22 Uhr ist für unsere Gäste Check-in, dann bekommen sie Schlafzeug, Hygiene-Artikel, etwas zu essen und zu trinken. Um acht Uhr am nächsten Morgen werden die Kabinen gereinigt und gehören wieder unseren Fußballerinnen und Fußballern. Das geht dann so bis Ende März.

Die Wiener Viktoria ist so etwas wie der Gegenentwurf zum modernen, von Kommerz geprägten Fußball. Wollt ihr für Menschen, die genau damit fremdeln, eine Anlaufstelle sein?
Zeisel: Wir kamen irgendwann darauf, dass der Fußball eine unheimliche Hebelwirkung auf die Gesellschaft hat. Mit einem Trikot, einem Logo hast du einen anderen Zugang zu Kindern oder Migrantinnen und Migranten. Wir holen diese Menschen über diese Emotionen ab und sagen ihnen: Geh bitte zur Schule! Mach bitte eine Ausbildung! Lass deinen Glauben bitte zu Hause! Bei uns spielen 45 Nationen, alle großen Religionen und jede Hautfarbe unter einem Dach – und zwar für dasselbe Thema: die Viktoria.

Porträt von Wiener-Viktoria-Obmann Roman zeisel
Obmann Roman Zeisel © Privat

Soll heißen: Wirklich jeder ist willkommen.
Zeisel: Jeder, der sich unserem Kodex und den Vereinswerten anpasst: Ehrlichkeit, Gewaltfreiheit, Loyalität, Pünktlichkeit, Respekt, in dem man sich immer grüßt. Ich gebe sicher jeden Tag 400 Menschen die Hand.

Kommt es vor, dass ihr Menschen wieder wegschicken müsst?
Zeisel: Ja, wöchentlich. Wenn etwas nicht passt, gibt es erst eine Ermahnung, dann eine Gelbe Karte. Und als letzte Konsequenz die Gelb-Rote Karte, die zum Ausschluss führt. Alles einfach und transparent. Und am Ende einer Saison werden alle Karten gelöscht.

Seit 2011 ist Fußball-Legende und ÖFB-Rekordschütze Toni Polster – mit einer Unterbrechung – Trainer eurer Kampfmannschaft. Er gehört mittlerweile zur Viktoria, wie der Stephansdom zum 1. Bezirk. Gäbe es einen denkbaren Grund, ihn zu entlassen, wie es im Fußball so häufig vorkommt?
Zeisel: Toni Polster zu feuern, maße ich mir nicht an. Ich habe mit ihm vor vielen Jahren vereinbart: Solange ich Obmann bin, ist er mein Trainer. Der Toni ist der Sonnenschein in diesem Verein! Sich von ihm zu trennen, brächte keinen Gewinner. An einer Partnerschaft arbeiten, gut kommunizieren, Respekt zeigen – das ist das Wichtigste für eine gedeihliche Zusammenarbeit. 

Nicht nur eure Trainerbank ist prominent besetzt, als Präsident fungiert Ex-Nationalspieler und Europa-League-Gewinner Martin Hinteregger. Wie konntet ihr ihn für die Wiener Viktoria gewinnen?
Zeisel: Martin hat seine Profi-Karriere ja zwischendurch beendet, weil er den Stress und die Begleitumstände des Profisports nicht mehr ertragen hat. Danach hat er mit seiner Stiftung mit „Coach 13“ ein wunderbares Projekt ins Leben gerufen, eine Art Akademie auf menschlicher Ebene, die ohne Druck geführt wird. Da gab es viele Anknüpfungspunkte mit unserer Nachwuchsarbeit. So ist eine Partnerschaft und seine Präsidentschaft entstanden. Seit er wieder als Profi in Klagenfurt kickt, hat er natürlich weniger Zeit für die Viktoria, vielleicht endet seine Präsidentschaft auch irgendwann. Aber wir sind und bleiben in gutem Austausch.

Ende September 2024 traf der SC Wiener Viktoria in der 2. Runde des Uniqa ÖFB Cups auf Red Bull Salzburg.
Ende September 2024 traf der SC Wiener Viktoria in der 2. Runde des Uniqa ÖFB Cups auf Red Bull Salzburg. © GEPA pictures/Kevin Hackner

Als Markenbotschafter fungiert bei euch Christopher Seiler vom Duo „Seiler und Speer“.
Zeisel: Er wohnt in Meidling, hat die gleiche Denkweise wie wir und unterstützt uns, wo er kann. Er macht das mit richtig viel Stolz. Oft trägt er bei seinen Konzerten ein Viktoria-Trikot. (lacht) Er hat ja versprochen, eine Hymne für uns zu schreiben, darauf warte ich praktisch täglich. 

Ihr wurdet mit der Kampfmannschaft in der abgelaufenen Saison Zwölfter der Regional­liga Ost (dritthöchste Leistungsstufe), das ist die schlechteste Platzierung seit dem Wiederaufstieg 2019. Woran lag es?
Zeisel: Das wissen wir selbst noch nicht genau. Abgesehen von Philipp Schobesberger, den wir nicht adäquat ersetzen konnten, war es ja die gleiche Mannschaft, die im Jahr zuvor Fünfter wurde. Die letzten vier Monate waren eine sehr schwierige Zeit, weil permanent das Damoklesschwert des Abstiegs über uns schwebte. Das hätte dem Verein einen großen Schaden zugefügt. Wir sind aber positiv geblieben, haben nie groß vom Abstieg gesprochen und wurden letzten Endes belohnt.

Ist das langfristige Ziel der Wiener Viktoria der Aufstieg in die 2. Liga?
Zeisel: Wir waren bei den Lizenzierungsgesprächen mit der Bundesliga ja schon dabei. Letzten Endes steht und fällt alles mit dem neuen Sportplatz. Unsere Anlage in Meidling, auf der wir seit 36 Jahren sind, ist einfach zu klein für die etwa 600 Spielerinnen und Spieler. Außerdem sind nur 200 Zuschauer möglich, ohne Sitzplätze. Es steht ein Umzug auf eine Anlage im 10. Bezirk im Raum, der soll demnächst beschlossen und am Ende des Jahres vollzogen werden. (lacht) Wir würden dann Favoriten ersuchen, uns als Meidlinger Traditionsklub als Migrant aufzunehmen. Und wenn wir es dann sportlich schaffen, Meister zu werden, dann möchten wir auch aufsteigen. Am Ende des Tages wollen wir das kleine St. Pauli Österreichs werden – wenn wir es nicht schon sind.

AusgabeRZ25-2025

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