Sie sind seit 2008 im Vorstand der RLB Vorarlberg, zuletzt als stellvertretender Vorsitzender und nun ganz an der Spitze. Kann man davon ausgehen, dass es eine Fortsetzung der bisherigen Geschäftspolitik gibt?
Michael Alge: Die Rahmenbedingungen verändern sich in einer Geschwindigkeit, die uns dazu zwingt, uns weiterzuentwickeln. Wir brauchen keine Revolution, aber die Weiterentwicklung sollte man nicht unterschätzen. Pandemie, Krieg und Inflation – die Veränderungen kommen sehr rasch auf uns zu und es ist nicht gut vorhersehbar, aus welcher Ecke sie kommen. Daher müssen wir als Gruppe immer daran arbeiten, agil zu sein.
Wie wollen Sie diese Agilität erreichen?
Alge: Einerseits geht es darum, sich auf die Kunden und die eigenen Dienstleistungen zu konzentrieren. Bei den Vertriebskanälen, aber auch bei den Produkten und den Bedürfnissen der Kunden verändert sich gerade sehr viel, das müssen wir im Auge behalten. Die Digitalisierung verändert zwar die ganze Welt und fast alle Branchen, aber unsere in besonderem Maße, das wird häufig ein bisschen unterschätzt. Da haben wir den größeren Teil noch vor uns. Ein zweiter großer Punkt ist, dass Banken ganz generell – zum Teil auch noch bei uns – immer wieder in fachlichen Silos denken und arbeiten. Das gilt es aufzubrechen.
Woher sollen die neuen Ideen und Gedanken kommen?
Alge: Zum einen sind wir als Raiffeisen Bankengruppe sehr heterogen. Die Geschäftsleitungen und Fachexperten haben viel Erfahrung und liefern viel Inspiration. Aber es ist auch wichtig, darüber hinaus den Kontakt mit Universitäten, Hochschulen und anderen Beratern zu halten. Es ist eine Mischung. Natürlich versuche ich auch, eigene Ideen zu generieren. Gerade wenn man neu in diese Position kommt, ist es wichtig, einen Strategieprozess zu starten. Seit April beschäftigen wir uns gemeinsam mit Vertretern der Primärbanken und mit Hilfe einer externen Beratung damit, das Projekt strukturiert aufzusetzen. Dabei geht es nicht ausschließlich um die RLB, sondern um die gesamte Raiffeisen Bankengruppe Vorarlberg. Wir wollen als Gruppe vorankommen.
Wo orten Sie in der Raiffeisenbankengruppe Vorarlberg denn noch Verbesserungsbedarf?
Alge: Klar haben wir eine starke Ausgangsposition in einem prosperierenden Marktgebiet – mit wettbewerbsfähiger Industrie, Tourismus, Handwerk und beinahe Vollbeschäftigung. Das sind für Banken gute Startvoraussetzungen. Wir sind Marktführer. Es geht für uns weniger darum, neue Märkte zu erobern, sondern uns an einigen Stellen weiterzuentwickeln und zu stärken. Das ist unser Ziel. Wir werden jetzt nicht irgendwas neu erfinden, sondern wir müssen schauen, dass wir unter diesen sich ständig ändernden Rahmenbedingungen weiterhin die Bank bleiben, wo die Kunden sagen: Da bin ich richtig. Die Digitalisierung spielt dabei eine wichtige Rolle. Nicht nur zwischen Bank und Kunde, sondern auch in der Abwicklung innerhalb der Bank. Durch verstärkte Digitalisierung der internen Prozesse können wir schneller und auch kostengünstiger werden.
Der Kostendruck hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass sich immer mehr Banken zu größeren Einheiten zusammenschließen. Jetzt gibt es noch 16 selbstständige Raiffeisenbanken in Vorarlberg und die RLB. Ist man damit gut für die Zukunft aufgestellt?
Alge: Wir haben relativ früh mit Fusionen begonnen und haben inzwischen auch relativ große Banken. Die richtige Größe einer Bank hängt von ihrem Marktgebiet und der Struktur ihrer Kunden ab. Wichtig ist, dass die Zusammenarbeit zwischen Primärbanken und RLB passt und man auch gut abgestimmt ist, um als Landesbank nicht Dienstleistungen zu erzeugen, welche die Primärbanken gar nicht brauchen. Wir dürfen neue Erfordernisse etwa im regulatorischen Bereich nicht versäumen und auch Themen rund um die Digitalisierung müssen wir neu besetzen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, effizient zusammenzuarbeiten, die internen Prozesse zwischen den Banken zu harmonisieren sowie durch Digitalisierung zu optimieren. Dabei gilt es Einzelinteressen zurückzuhalten. Die Gruppe ist das Entscheidende.
Wo wollen Sie beim Thema Digitalisierung ansetzen?
Alge: Mobile first. Für einen Großteil der Privatkunden ist die App die Bank und dort müssen wir perfekt sein. Wir müssen etwas anbieten, was einfach ist in der Handhabung und auch Spaß macht, wenn man täglich auf das Konto oder das Wertpapier-Depot schaut. Entscheidend ist aber, dass wir das sehr gut mit der persönlichen Beratung verbinden. Wenn der Kunde den berühmten Kredit für die Wohnungsfinanzierung braucht oder ein Problem mit der Debitkarte im Ausland hat, dann gibt nicht die App die Antwort, sondern jetzt braucht es persönliche Beratung. In dieser Verbindung muss Raiffeisen besser sein als alle anderen. Wir werden nicht die beste Digitalbank Europas sein, aber in der Verbindung zwischen persönlicher Beratung und einem starken digitalen Auftritt müssen wir die Besten sein. Unser Slogan in Vorarlberg lautet deshalb: „Digital nehmen wir persönlich.“
Die Digitalisierung ist ja etwas, was nicht in Vorarlberg an der Grenze aufhört. Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit dem Raiffeisensektor auf Bundesebene?
Alge: Auf Bundesebene halte ich es für wichtig, gerade die Digitalisierung als Chance zu nutzen, möglichst viel gemeinsam zu machen, um Kosten zu sparen. Um gemeinsame Produkte zu erzeugen, welche die Kunden begeistern und die wettbewerbsfähig sind, müssen wir als Raiffeisen Österreich alle Ressourcen vereinen, die Budgets zusammenlegen und wirklich an einem Strang ziehen. Gerade im IT-Bereich ist es wichtig, das möglichst wenig zu fragmentieren.
Das Ergebnis der RLB Vorarlberg ist im ersten Halbjahr 2022 unter jenem des Vorjahres gelegen. Womit rechnen Sie im Gesamtjahr?
Alge: Wir haben 2021 das beste Ergebnis in der Geschichte geschrieben, das wird auf viele Jahre nicht erreichbar sein. 2021 kann man nicht als Benchmark heranziehen, weil sich die positiven Einmaleffekte logischerweise nicht wiederholen lassen. Ertragsseitig und beim Wachstum liegen wir aber auch heuer über Budget und die Kosten sind im Plan. Schwer zu prognostizieren ist allerdings das Risikoergebnis. Zum Halbjahr hatten wir bei den Einzelwertberichtigungen netto betrachtet ein positives Ergebnis, also mehr Auflösungen als Zuführung. Die offene Frage lautet, wie sich die Themen rund um Rohstoffe, Lieferketten und Inflation auf unsere Kunden und damit auch auf unser Risikoergebnis auswirken. Ein genaues Auge haben wir auch auf die Kernkapitalquote, die mindestens 15,5 Prozent betragen wird. Wir sind also stark kapitalisiert und werden 2022 ein solides Ergebnis ausweisen.
Registrieren Sie schon einen Anstieg von Privatkonkursen oder Firmeninsolvenzen?
Alge: Derzeit nicht. Wir sehen auch seit Jahren historisch niedrige Risikokosten. Selbst in der Pandemie hatten wir de facto keine Ausfälle. In der jetzigen Situation kann sich das aber ändern. Wir haben auch den Budgetwert für Einzelwertberichtigungen angehoben, weil es sein kann, dass eben doch mehr Risiko auftritt.
Der Kreditbedarf ist im ersten Halbjahr gestiegen. Woher kommt die Nachfrage?
Alge: Wir haben in den letzten Jahren und auch noch im ersten Halbjahr 2022 viel Nachfrage rund um Wohnbau gehabt, sowohl auf der Bauträgerseite als auch bei den Privatkunden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die neuen Regeln für die Immobilienkreditvergabe und die gestiegenen Zinsen auswirken. Das kann jetzt noch nicht vorausgesagt werden. Wir sehen aber, dass der Betriebsmittelbedarf bei Unternehmen aufgrund von gestiegenen Rohstoffpreisen steigt.
Generell dürfte die Leistbarkeit von Eigentum weiter sinken. Die RLB Vorarlberg ist heuer wieder für ihre „exzellente Kundenorientierung“ ausgezeichnet worden. Wie kann die RLB ihre Kunden jetzt unterstützen?
Alge: Wir können Beratung bieten. Das ist eben der Moment, wo der Kunde nicht die App aufmacht, sondern mit seinem Betreuer die Situation bespricht. Es ist ja nicht die Aufgabe der Kunden, sich mit den Kennzahlen der neuen Verordnung zur Immobilienkreditvergabe auseinanderzusetzen. Die Vorausplanung wird bestimmt wichtiger. Die Rolle von Raiffeisen ist dann eben nicht nur, einmalig als Berater zur Verfügung zu stehen, sondern als Coach für finanzielle Themen. Wir wollen die Kunden frühzeitig begleiten und ansprechen, ob jemand in fünf oder zehn Jahren eine Immobilie erwerben will, um dann darauf hinzuarbeiten.
Die EZB hat eine kräftige Zinswende eingeleitet. Wie geht die RLB damit um?
Alge: Wir bewegen uns wieder in ein normales Zinsgefüge, darüber sind wir sehr froh. Diese Sondersituation der letzten zehn Jahre, mit einer starken Benachteiligung der Sparer und Bevorzugung der Kreditnehmer, hat relativ lange angehalten. Es ist wichtig, dass wir uns in eine Normalisierung hineinbewegen und das bedeutet, dass wir auf der Sparseite wieder attraktivere Produkte anbieten können.
Wie groß ist momentan die Lust der Vorarlberger, ihr Geld zu veranlagen? Bleibt noch genug Geld, dass man überhaupt einen Vermögensaufbauplan verfolgen kann?
Alge: In der ersten Phase der Pandemie hatten die Menschen weniger Möglichkeiten, Geld auszugeben, und die Sparquote ist gestiegen. Jetzt normalisiert sich das wieder. Die Menschen wollen auch wieder auf Urlaub fahren. Die gestiegenen Preise schlagen sich nieder, aber in Summe ist das Durchschnittseinkommen in Vorarlberg doch deutlich über jenem des österreichischen Schnitts, sodass viele Menschen weiterhin ansparen können. Die Situation der steigenden Preise hat natürlich Auswirkungen auf unsere Privat- und Firmenkunden sowie auf uns als Bank. Aber das Thema ist jetzt erst am Anfang.
Haben Sie Ihre Budgetpläne in puncto Kosten schon angepasst?
Alge: Für 2022 sind wir voll im Plan. Für das Budget 2023 werden wir sicher Anstiege sehen, die wir auch verdienen müssen.
Das Thema Übergewinne wird derzeit heiß diskutiert. Die Zinssteigerungen werden sich positiv auf die Bankbilanzen auswirken. Wie erklären Sie das den Kunden? Ist die Profitorientierung für ein genossenschaftliches Banksystem in der jetzigen Zeit vertretbar?
Alge: Wir müssen Kostensteigerungen jedenfalls zum Teil über Wachstum verdienen. Wir können nicht einfach hergehen und die Preise, Provisionen und Margen über Nacht drastisch erhöhen, das wird nicht funktionieren. Gesundes Wachstum bedeutet gleichzeitig auch höheren Eigenkapitalbedarf, deshalb braucht auch eine Genossenschaftsbank Gewinne, um diese dem Eigenkapital zuzuführen. Dieses Wachstum federt einerseits Kostensteigerungen ab, aber noch viel wichtiger, dieses Wachstum ist notwendig, um weiterhin Kredite in der Region vergeben zu können.