Alternativen in der Pipeline

Europa und Österreich wollen sich möglichst bald aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien. Experten rechnen mit einem Turbo für Projekte in erneuerbare Energien.

Der Krieg in der Ukraine und die daraus resultierenden Sanktionen gegen Russland lassen die Energiepreise auf Rekordniveau klettern. Bereits Diskussionen über einen Importstopp für Öl aus Russland haben die Preise auf den höchsten Stand seit dem Sommer 2008 getrieben. Ein Barrel der Sorte Brent kostet knapp 140 Dollar, damit hat der Preis seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine um rund ein Drittel zugelegt. Der Preis ist das eine, die Verfügbarkeit das andere. Ein Embargo sowohl von russischer als auch von europäischer Seite kann aktuell nicht ausgeschlossen werden. „Der Ölmarkt ist so global vernetzt, da kann man sehr schnell das Anbieterland wechseln“, beruhigt Hannes Loacker, Energieexperte und Fondsmanager bei der Raiffeisen KAG. Österreich bezieht 10 Prozent seines Öl-Verbrauchs aus Russland, hier gäbe es also wenig Schwierigkeit, Ersatz zu finden.

Anders ist die Lage bei russischem Gas. In diesem Bereich ist die Abhängigkeit Österreichs und Europas deutlich höher. Die EU bezieht gegenwärtig etwa 45 Prozent ihres importierten Erdgases aus Russland. In Österreich liegt der Anteil sogar bei 80 Prozent, in Deutschland sind es bis zu 60 Prozent, in Italien 45 Prozent. Die osteuropäischen Länder sind noch stärker von russischem Gas abhängig: Tschechien zu 100 Prozent, die Slowakei zu 85 Prozent und Ungarn zu 95 Prozent. Die EU-Staats-und Regierungschef diskutieren gerade darüber, wie man die Abhängigkeit von russischer Energie bewerkstelligen kann, ohne dass es zu Kompromissen bei der EU-Klimapolitik kommt. „Ich gehe davon aus, dass sowohl Kohlekraft und bestehende Atomanlagen etwas länger an den Netzen bleiben, da der Ersatz nicht so schnell vorhanden sein wird. Längerfristig erwarte ich aber keine große Renaissance“, analysiert Josef Plank, im Österreichischen Raiffeisenverband für Wirtschafts-, Agrar-und Europafragen zuständig.

„Man muss wohl alle optionen ziehen.“

Hannes Loacker Porträt
Energieexperte und Fondsmanager Hannes Loacker (c) Raiffeisen KAG/Roland Rudolph

Auch in Österreich versucht die Politik, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen, kurzfristig auf andere fossile Quellen umzustellen – etwa auf Flüssigerdgas aus den Golfemiraten. Auch Flüssiggas aus Algerien bzw. Nordafrika über Portugal und Spanien oder LNG (Flüssiggas) aus den USA wären nennenswerte Optionen, so Loacker. Auch der norwegische Öl-und Gaskonzern Equinor sei ein zuverlässiger Partner, der in der Lage und bei den aktuellen Preisen auch willig wäre, die Produktion im Frühling und Sommer hochzuhalten. „Man muss wohl alle Optionen ziehen, damit man sich nennenswert unabhängiger von russischem Gas machen und dabei immer noch die Nachfrage decken kann“, betont Loacker.

Die Gasreserven in Österreich sind momentan nämlich niedrig und liegen nur bei 16,5 Prozent. „Wenn es jetzt zu einem kompletten Ausfall russischer Gasexporte kommen würde, wäre das für die privaten Haushalte bis zum Ende der Heizsaison kein Problem. Die Industrie hätte allerdings ein Problem, ihre Produktion aufrecht zu halten. Da müssten wir dann bis Mai Alternativen haben“, erklärt Loacker. Für den kommenden Winter werde es jedenfalls wichtig sein, die Gasspeicher wieder zu füllen, das werde anspruchsvoll und teuer, so die Experten.

Nachhaltiger Schub für erneuerbare Energie

Losgelöst von kurzfristigen Kompensationsstrategien rechnen die Energieexperten bei Raiffeisen durch den Russland-Konflikt mit einer deutlichen Beschleunigung hin zu grünen Energiequellen. „Es wird jedenfalls einen Schub zu mehr und einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien geben“, ist Plank überzeugt.

„Wenn man rasch Unabhängigkeit von russischem Gas erlangen will, muss man an vielen Stellschrauben drehen. Der Vorteil bei erneuerbarer Energie ist allerdings, dass man Projekte sehr schnell umsetzen kann“, betont Loacker. Er sieht das größte Potenzial für eine rasche Ablöse von russischem Gas im Solarbereich: „Österreich möchte bis 2030 die Kapazitäten von Solarenergie verzehnfachen -von 1,4 Terrawattstunden (TWh) auf 12,4 TWh. Bei Windkraft würde es vom Volumen her mehr ausmachen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass in einem Land wie Österreich die Genehmigungsverfahren deutlich rascher laufen.“ Ein Solarpark kann generell innerhalb von vier bis acht Monaten realisiert werden und auch eine Windparkanlage wäre – ohne das Warten auf Genehmigungen -innerhalb von einem Jahr umsetzbar. Bei Wasserkraft ist ein weiterer Ausbau in Österreich kaum möglich und wäre nur über ein „Re-Powering“ der bestehenden Anlagen möglich.

In den vergangenen Tagen gab es eine Vielzahl an Ideen und Forderungen, wie die Energiewende rasch gelingen kann. Der österreichische Biomasse-Verband hat etwa ein Zehn-Punkte-Programm vorgestellt, um Holzressourcen zur Überwindung der Energiekrise zu nutzen. Innerhalb weniger Monate könnten so Erdgas-Lücken in wichtigen Teilbereichen gefüllt werden, rechnet der Präsident des Biomasse-Verbandes Franz Titschenbacher vor: „Insgesamt sehen unsere Szenarien ein nachhaltig verfügbares Potenzial von 450 Petajoul Bioenergie pro Jahr vor, das entspricht 12,5 Mrd. Kubikmeter Erdgas-Äquivalent pro Jahr.“ Der jährliche Gasverbrauch in Österreich liegt um die 8 Mrd. Kubikmeter Gas. Die in den vergangenen Jahrzehnten aufgebauten Nutzungsrückstände im Wald -von 250 Mio. Festmetern – könnten darüber hinaus noch zusätzlich eingesetzt werden.

Keine Zeit verlieren will auch die IG Windkraft. „Wir müssen in den kommenden Jahren jedes Jahr 120 Windräder neu errichten. Die Bundesländer müssen dafür den Weg ebnen und die Änderungen der Rahmenbedingungen sofort in Angriff nehmen“, fordert Geschäftsführer Stefan Moidl.

Christian Helmenstein vom Institut für Wirtschaftsforschung Economica plädiert für den Bau großer Biogas-Anlagen in landwirtschaftlich stark genutzten Gebieten. Dadurch könnten 22 Prozent der russischen Gasimporte kompensiert werden. „Die vorgestellten Ideen sind alle wichtig und sollten rasch auf den Weg gebracht werden. Biomasse und Biogas können einen wichtigen Beitrag leisten. Riesenpotenziale gibt es bei Hochleistungswärmepumpen auch in industriellen Prozessen“, fasst Plank kurz zusammen. Die Industrie sei in ihren Konzepten jedenfalls schon sehr weit. Viele haben Pläne für den Ausstieg aus fossilen Energiequellen. „Dort ist besonders wichtig, dass die Entwicklung in einem europaweiten und weitgehenden globalen Kontext passiert, damit die Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt“, so Plank.

Chance für Energie-Genossenschaften

Wärmepumpen, Biomasse-Nahwärme, Solarenergie, solare Großanlagen, Fernwärme, Prozessabwärme aus der Wirtschaft, hocheffiziente Wärmepumpen und wo möglich Geothermie. „Die unheimlich dynamische Entwicklung ist eine große Aufgabe und Chance für die Wirtschaft“, so Plank. Als Partner in der Finanzierung von Projekten stehen dabei nicht nur die Raiffeisenbanken zur Seite, sondern auch Genossenschaften eignen sich als Rechtsform für Energiegemeinschaften, wo die Mitglieder regional erzeugten Strom tauschen und sich dadurch Kosten ersparen können. „Für die dringend notwendige Entlastung des Stromnetzes sind gemeinsame Investitionen in Speicher oder Produktionsanlagen und ein gemeinsam optimiertes Produktions-und Verbrauchsmanagement notwendig. Genossenschaften sind hier eine gute und verlässliche Basis“, betont Plank.

Bei Strom gelte es den durch das EAG (Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz) vorgegebenen Pfad zu beschleunigen. Plank: „Strom aus erneuerbaren Quellen wird eine weitaus wichtigere Bedeutung bekommen. Ausreichend grüner Strom ist dann die Grundlage für den wichtigen und breiteren Einsatz von grünem Wasserstoff in der Industrie und im Transportsektor.“

Die Finanzierung neuer Projekte dürfte laut Experten nicht das Problem sein. Staaten, der Trend zu Green Bonds und nachhaltiger Geldanlage stützen die Investitionspläne. Die Vorhaben bremsen könnten jedoch lange Genehmigungsverfahren, fehlende Fachkräfte und allfällige Verwerfungen bei den internationalen Lieferketten.

„Besser leben mit drastisch reduziertem Energieverbrauch ist möglich.“

Porträt von Josef Plank, Leiter der Abteilung Wirtschafts-, Agrar- und Europafragen im Österreichischen Raiff­eisenverband
Josef Plank, Leiter der Abteilung Wirtschafts-, Agrar- und Europafragen im Österreichischen Raiff­eisenverband (c) ÖRV/Sabine Klimpt

Energieeffizienz steigern

Grundsätzlich gilt: „Die Umstellung auf erneuerbare Energien kann nur erfolgreich funktionieren, wenn der Gesamtenergieverbrauch massiv reduziert wird – und vor allem müssen der Mobilitäts-und Wärmesektor aus fossilen Energiequellen aussteigen“, so Plank. Der Wärmebedarf der österreichischen Haushalte wird aktuell zu einem überwiegenden Teil mit Erdgas gedeckt. Besser gedämmte Wohnungen und etwas niedrigere Raumtemperaturen könnten rasch Entlastung bringen. Die Umrüstung der Heizsysteme in den Haushalten werde jedoch an die 20 Jahre dauern und nur mit einer Förderoffensive gelingen. „Es ist auch Zeit für E10 bei Benzin, wo sofort ein entlastender Effekt möglich ist. Besser leben mit drastisch reduziertem Energieverbrauch ist möglich und eine große Chance“, ist Plank überzeugt.

Auch Hannes Loacker erkennt ein Riesenpotenzial bei der Energieeffizienz, denn: „Die günstigste und umweltfreundlichste Energie ist die, die man nicht verbraucht. Diese Lösung sollte man nicht unterschätzen.“ Trotz aller Bemühungen sowohl in der Energieerzeugung als auch im Energieverbrauch ist den Experten allerdings klar: „Eine Energieautarkie bis zum kommenden Winter ist für Österreich völlig unrealistisch.“

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AusgabeRZ11-2022

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