Neustart mit langem Anlauf

Nach vielen Jahren einer negativen Grundstimmung blickt die Biogasbranche wieder optimistischer in die Zukunft – mit einem klaren Fokus auf Forschung und Vernetzung.

Foto einer Biogasanlage
Biogas – aufbereitet und chemisch betrachtet reines Methan – kann sehr viel. Es birgt eine „biotechnologische und umwelttechnische Schatzkiste“, ist sich die Branche sicher. Als hochenergetischer Treibstoff können auch leistungsfähige Kraftwerksmotoren zur Stabilisierung des Stromnetzes betrieben werden. (c) KBVÖ

„Biogas hat eine ganz große Chance und Zukunftsperspektive“, sagte Leonore Gewessler, Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, beim Auftakt zum Kongress Biogas 2021: „Etwa als Energiespeicher, im Schwerlastverkehr, im industriellen Hochtemperaturbereich und zur Abdeckung von Lastspitzen.“ Ganz wichtig sei dabei der Fokus auf eine gezielte Verwendung. Der Bereich der Raumwärme, wo es unzählige Alternativen gibt, zähle nicht dazu. 

Gewessler zeigte sich überzeugt, dass mit den gesetzten Maßnahmen wie der Nachfolgeprämie, Investitionsförderungen, einheitlichen Branchenstandards und der noch zu beschließenden Netzregulierung das – ambitionierte – Einspeiseziel bis 2030 von 5 TWh zu schaffen ist. Derzeit wird nur ein Bruchteil als Biomethan direkt ins Gasnetz eingespeist. Rechnet man jenen Anteil dazu, der aktuell verstromt wird, stünden schon jetzt um die 1,5 TWh als Potenzial bereit. 

Franz Titschenbacher, Präsident des Österreichischen Biomasse-Verbandes und der Landwirtschaftskammer Steiermark, fordert Stärke in der volkswirtschaftlichen Positionierung ein: „Bioenergie ist das Rückgrat und die Grundlage einer nachhaltigen Energiewende. Man muss raus aus den Randbereichen und Kohle, Öl und Erdgas durch erneuerbare Energieträger ersetzen.“

Neue Chancen der Biogastechnologie nutzen

An den beiden Onlinekongress-Tagen schien es, als ob der pessimistische Grundton der vergangenen Jahre immer mehr verblasst und die Branche Anlauf für einen Neustart nehmen will. Heuer waren keine Klagen über Preise zu hören, vielmehr zogen sich die Chancen der verstärkten Nutzung der Biogastechnologie wie ein roter Faden durchs Programm – statt wie früher fast ausschließlich auf die Verstromung zu setzen. Ganz gleich, ob es um Landwirtschaft, Obst- und Weinbau, Entsorgungsbetriebe, die Lebensmittelindustrie geht: Es wird künftig keine alleinstehenden Insellösungen in der Biogasbranche mehr geben (können). 

Gefordert ist hingegen die Einbettung in einer kaskadischen Nutzung – mit kalkulierbaren Stoffströmen und verbindlichen Verträgen – der erzeugten Energie und den dabei entstehenden Rohstoffen für die Industrie. Selbstverständlich gibt es nach wie vor Anlagenbetreiber, die Strom produzieren, auch sie fordern eine gesicherte ökonomische Zukunftsperspektive ein. Im Vergleich zu früher ist dieser Strom als stabilisierender Faktor für das Netz (Stichwort Blackout-Prophylaxe) sowie während der Wintermonate besser aufgehoben.

Wie so etwas aussehen könnte, skizzierte Günther Bochmann, Senior Scientist am Institut für Umweltbiotechnologie der Universität für Bodenkultur. Er stellte die Stärken der Biogastechnologie auf vier Säulen dar. Diese sind die Nutzung von Energie, die Reduzierung der Verschmutzung durch den Gärprozess, die Nährstoffrückgewinnung aus dem Substrat sowie die Grundlage für neue – vielfach noch unbekannte – Prozesse. „Nebenprodukte“ von Biogas sind unter anderem Ethanol, Butanol, Aceton, Schwefelsäure, Ammonium, Enzyme und vor allem Kohlendioxid. Das CO2-Potenzial in Österreich bemaß Bochmann mit 1,5 Mio. Tonnen. Darüber hinaus können durch den Gärprozess Schadstoffe wie Phenole abgetrennt und Mycotoxine abgebaut werden. Der Wissenschaftler Bochmann bringt seine Position so auf den Punkt: „Biogas ist eine biotechnologische und umwelttechnische Schatzkiste.“

Michael Harasek vom Institut für Verfahrenstechnik an der TU Wien bezeichnete „Power to Gas“ als Schlüsseltechnologie für die Energiewende, die auch für Biogasanlagenbetreiber interessant werde. Gründe dafür sind „Sektorkopplung“ (Verknüpfung der Bereiche Industrie und Verkehr sowie Elektrizität und Wärmeversorgung) und das „riesige Energiespeicherpotenzial“. Um vorhandene Potenziale aber auch zu einem wirtschaftlichen Erfolg bringen zu können, „braucht es einen klaren politischen Willen und ebensolche gesetzliche Rahmenbedingungen“.

Pioniere in Südtirol

Manfred Gius berichtete als Geschäftsführer von einer seit Jahren erfolgreichen überbetrieblichen Biogasanlage. 2008 wurde die Südtiroler Biogas Wipptal GmbH von 47 Gesellschaftern gegründet, heute sind es 62. Pro Jahr werden rund 150.000 Tonnen Festmist und Gülle eingesammelt. In der Vergangenheit führte die intensive Tierhaltung immer wieder zu Konflikten mit der lokalen Bevölkerung, dem Tourismus sowie zur Belastung des Grundwassers. Gius bezifferte die Reduktion von Ammoniak mit minus 60 Prozent, die CO2-Reduktion betrage 95 Prozent. Aktuell gibt es rund 90 Verträge mit bäuerlichen Betrieben, die knapp die Hälfte des Wipptaler Milchkuhbestandes abdecken. Der Gärrest ist nahezu geruchlos und wird als Dünger verkauft.

Die Biogasanlage selbst produziert pro Jahr rund 4.200 Tonnen verflüssigtes Biogas „BioLNG“, das entspricht dem Tankvolumen von rund 30 LKWs pro Tag. Wissenschaftlich betreut wurde die Biogas Wipptal GmbH vom Grazer Beratungsunternehmen für Umwelttechnik Strateco und der Universität Turin. Das aufbereitete CO2 geht in flüssiger Form und als Trockeneis in die lokale Lebensmittelindustrie.

Biogas schließt Kreislauf

Franz Kirchmeyr, Projektleiter Biogas Arge Kompost & Biogas, und Obmann Norbert Hummel haben unisono ein Anliegen: „Wir müssen die Überschüsse im Sommer in Reserven für den Winter umwandeln. Weiters gewinnt die Einbettung in den vor- und nachgelagerten Bereich immer stärker an Bedeutung. Die Verflechtung mit Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft sowie einer intensiven Forschungstätigkeit ist wichtiger denn je.“

Für Josef Plank, Leiter der Abteilung für Wirtschafts-, Agrar- und Europafragen im Österreichischen Raiffeisenverband (ÖRV), ist die rasche Umsetzung des Pakets „Grünes Gas“ höchst notwendig, nur so kann das Vorhaben „Raus aus Öl und Gas konsequent umgesetzt werden. Dazu braucht es sehr zeitnahe eine politische Einigung.“ Plank spricht sich etwa für den Einsatz von überbetrieblichen Biogasanlagen aus.

Mit Biogasanlagen können gut regionale Nährstoffkreisläufe geschlossen werden, ein großes Plus im Licht hoher Düngemittelpreise, weiters kommt es zu einer Reduktion von Emissionen aus der Tierhaltung. Darüber hinaus kann eine lokale Energieversorgung unterstützt werden. Der Perspektive von energieautarken Bauernhöfen (oder Gemeinschaften/Genossenschaften) wird steigende Bedeutung zukommen. Der entscheidende Schlüssel dazu ist die Bepreisung von Treibhausgasemissionen. „Für den langfristigen Erfolg von grünem Gas ist eine langfristige, verbindliche Zusammenarbeit zwischen Agrarsektor, Industrie und anderer Sektoren entscheidend. Der Finanzwirtschaft kommt dabei ebenfalls eine Schlüsselrolle zu.“