Die Wiener Börse feiert heuer ihren 250. Geburtstag. Was ist Ihr persönliches Highlight?
Christoph Boschan: Ein 250-jähriges Bestehen ist erstaunlich und zeigt die Stabilität und Notwendigkeit eines zentralen Handelsplatzes in Form der Nationalbörse. Diese lange Geschichte ist von der Unterstützung und Partnerschaft unterschiedlichster Marktteilnehmer geprägt und auch erst möglich gemacht worden. Die tiefe Verbundenheit mit der Wiener Börse sowie die positive Resonanz des Kapitalmarkts, die sich auf viele unterschiedliche Arten äußern, sind in diesem Jubiläumsjahr aus meiner Sicht besonders stark erkennbar.
Gegründet wurde die Börse, um den leeren Staatshaushalt des Habsburgerreiches zu sanieren. Auch nach der Covid-Pandemie steht man vor ähnlichen Herausforderungen. Was kann bzw. was leistet die Börse zur Bewältigung der aktuellen Krise?
Boschan: Sowohl während der Krise 2008 als auch im Zuge der Covid-Pandemie hat sich die Stabilität der Börsen bewiesen, denn trotz schwierigem Marktumfeld und erschwerten Bedingungen stand der Handel nie still. Der Weg aus der Krise führt langfristig nur über Rekapitalisierung. Die Wiener Börse unterstützt die heimischen Unternehmen bei der Aufbringung von notwendigem Eigenkapital. Wir stellen die bestmögliche Infrastruktur für globale Investoren und regionale Partner bereit. Die Stärken und Vorzüge österreichischer Unternehmen liegen in ihrer stabilen Planung und Dividendenpolitik, ihrem vorbildlichen Krisenmanagement sowie ihrer internationalen Marktchancen und Forschungsaktivitäten. Finanzierung über die Börse ist besonders wichtig, um auch nach dem Bewältigen der Krise kompetitiv zu bleiben.
Was haben die Anleger aus der letzten großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 gelernt?
Boschan: Das derzeitige Interesse ist ungebrochen, was zeigt, dass die Anleger auch in Krisenzeiten sich nicht scheuen in den Kapitalmarkt einzusteigen. Die junge Generation der Privatanleger scheint die Notwendigkeit des selbstbewussten In-Die-Hand-Nehmens der eigenen Finanzen und die Notwendigkeit des Kapitalmarkts für Innovationen zu erkennen.
Wie hat sich der Börsehandel heuer entwickelt?
Boschan: Es ist eine sehr positive Entwicklung zu beobachten. Die Aktienumsätze befinden sich im Jahresverlauf mit 44,5 Mrd. Euro, im Vorjahr waren es 43,6 Mrd. Euro, solide auf hohem Niveau. In diesem Jahr trägt sicher das Comeback der zyklischen ATX-Werte zu diesem Aufschwung bei. Dies lässt sich auch am Allzeithoch erkennen, welches der ATX-TR, der die Dividenden in die Berechnung miteinbezieht, in diesem Jahr wiederholt knacken konnte. Ein besonderes Timing, da der ATX in diesem Jahr 30 wird.
Trotz der langen Börse-Geschichte ist die Skepsis der Österreicher gegenüber Wertpapieren nach wie vor groß. Wieso?
Boschan: Hier kommen einige Faktoren zusammen. Wenn man etwa den häufig genannten Vergleich zu den USA ziehen will, so zeigen sich dort mehrere Generationen von erfolgreichen Anlegern, wohingegen in Österreich eine große Tradition des Sparens vorherrscht. Dadurch ist das Bewusstsein für Risiko-Ertrags-Verhältnisse weniger ausgeprägt. Genau darin liegt aber großes Potenzial – durch ein Umdenken und mehr Bildung in dem Bereich könnte nicht mehr nur eine kleine gut ausgebildete Finanzelite, sondern eine breite Anlegerschicht von den Vorteilen des Kapitalmarkts profitieren.
Ist die Skepsis in Zeiten von Null- und Negativzinsen bzw. einer zunehmenden Inflation zeitgemäß?
Boschan: Für die persönliche Vermögensbildung aber auch für die gesamtgesellschaftliche ist eine Hinwendung zum Aktienmarkt sinnvoll. Durch die alternde Gesellschaft und zunehmend kürzere Arbeitszeiten ist für wirtschaftliches Wachstum Innovation unumgänglich. Für diese Innovationen muss die notwendige Finanzierung aufgestellt werden. Volkswirtschaften mit ausgereiften Kapitalmärkten wachsen schneller und nachhaltiger und dieses Wirtschaftswachstum ist für den Erhalt der europäischen Sozialstaaten unumgänglich.
Der Ausbau der nationalen Investorenbasis ist auch wirtschaftlich wichtig. Was unternimmt die Wiener Börse dafür?
Boschan: Die internationalen Investoren haben die Vorzüge des österreichischen Kapitalmarktes längst erkannt. Österreich hat eine starke Wirtschaft sowie vergleichsweise hohe Dividendenrenditen. Damit mehr Österreicher davon profitieren, braucht es finanzielle Bildung, organisiert durch das staatliche Bildungssystem, um breite Bevölkerungsschichten zu erreichen. Wir bieten als Nationalbörse einen State-of-the-Art-Handelsplatz an und heimische Anleger profitieren etwa von Inlandskonditionen. Mit unseren Financial-Literacy-Angeboten bieten wir außerdem Aus- und Weiterbildung vom Einsteiger bis zum Profi.
Welche politischen Initiativen wünschen Sie sich für die Wiener Börse – Behaltefrist, Senkung der KeSt, steuerliche Förderung …?
Boschan: Es gilt das Primat der Politik. Zahlreiche hilfreiche Vorschläge liegen am Tisch. Damit es für Österreichs Wirtschaft schneller bergauf geht, braucht es eine rasche Fortsetzung des von der Regierung vor Corona eingeschlagenen Weges. Das Regierungsprogramm beinhaltet wichtige Bausteine, um privates Kapital zu aktivieren und das Unternehmertum in Österreich zu stärken. Dazu zählen die Wiedereinführung der Behaltefrist, Stärkung von Finanz- und Wirtschaftsbildung sowie Erleichterungen für Firmen bei der Kapitalbeschaffung. Außerdem ist eine Harmonisierung mit dem europäischen Markt von hoher Bedeutung, da vor allem für internationale Anleger nationale Sonderregelungen ein Ausschlusskriterium für den österreichischen Markt darstellen könnten.
Eine der Gründungsideen für Börsen war es, den Wertpapierhandel zu regulieren. Das ist in Zeiten von Kryptoassets wieder ein Thema. Wie sehen Sie den Krypto-Hype?
Boschan: Wer in Kryptowährungen einsteigt, muss sich der hohen Schwankungen und des spekulativen Elements bewusst sein. Natürlich kann Spekulation auch aktivierenden Charakter haben. Wichtig ist die Frage, ob danach der Schritt hin zu langfristigen und nachhaltig erfolgreichen Investitionen gelingt. Es gibt auch an der Wiener Börse die Möglichkeit zum Handel mit Produkten im Krypto-Bereich. Anleger profitieren dabei vom überwachten und transparenten Handel sowie der sicheren Abwicklung über ihr Wertpapierdepot.
Sie sind seit fünf Jahren CEO der Wiener Börse, vor kurzem wurde Ihr Vertrag um fünf weitere Jahre verlängert. Wie lautete Ihr Resümee über Ihre erste Funktionsperiode?
Boschan: Ich bin mit einem klaren strategischen Plan als Vorstandsvorsitzender der Wiener Börse angetreten, den wir, trotz eines nicht immer sehr vorteilhaften Umfelds, umgesetzt und ein deutliches Wachstum erzielt haben. Eine starke Internationalisierung sowie Modernisierung konnten erreicht werden. So wurde etwa der Auslandsanteil des Börsenumsatzes auf über 80 Prozent gesteigert und die Einnahmequellen auf breite Beine gestellt. Auch das Angebot für Anleger wurde ausgeweitet, etwa mit neuen Marktsegmenten.
Was wollen Sie in den nächsten fünf Jahren erreichen? Wo soll die Marktkapitalisierung dann stehen?
Boschan: Wir werden den Wachstumskurs fortsetzen. Wir planen verstärkt im Datengeschäft, bei allen Arten von Notierungsservices und hierbei besonders im in letzter Zeit sehr starken Anleihenbereich, weiterhin zu wachsen. Die Marktführerschaft beim Handel österreichischer Unternehmen werden wir natürlich verteidigen. Durch die bisherige Entwicklung und der hohen Profitabilität ist mir um die Zukunft der Wiener Börse nicht bange. Die Anleger würden sich sicher auch über neue Investitionsmöglichkeiten freuen. Die derzeitige Marktkapitalisierung von etwa 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zeigt das Potenzial, das der österreichische Markt noch nach oben hin hat.