„Wir sind nicht mehr der Underdog“

Die ÖFB-Frauen sind mit zwei Kantersiegen in die WM-Qualifikation gestartet und treffen nun auf Luxemburg und Nordirland. Interims-Kapitänin und FC-Bayern-Legionärin Carina Wenninger über das neue Selbstbewusstsein, die bevorstehende EURO-Auslosung und ihren Erfolgslauf in München.

Carina Wenninger (in Rot) im Spiel gegen Frankreich
(c) GEPA Pictures/Michael Meindl

Das ÖFB-Team ist mit zwei klaren Erfolgen in die WM-Qualifikation gestartet, einem 8:1 in Lettland folgte ein 6:0 über Nord-Mazedonien. War es so leicht, wie es sich anhört?
Carina Wenninger: Es klingt vielleicht blöd, aber mit der ersten Halbzeit gegen Lettland waren wir nicht zufrieden. Wir fanden nicht ins Spiel, kassierten ein unnötiges Tor. Dann haben wir uns gefangen und zwei souveräne Siege eingefahren, die nie in Gefahr waren. Ich bin mir sicher, dass wir vor drei, vier Jahren noch nicht so stabil die Aufgaben gemeistert hätten. Das ist auch ein Zeichen für die Entwicklung und die Reife unserer Mannschaft.

Am 22. Oktober wartet mit Luxemburg im von Raiffeisen präsentierten Heimspiel in Wr. Neustadt eine weitere Pflichtaufgabe, ehe es vier Tage später gegen Nordirland und somit ein anderes Kaliber geht. 
Wenninger: Kann man genau so sagen. Gegen Luxemburg müssen wir gewinnen und auch viele Tore machen. Das ist unser Anspruch. Nordirland ist schwer einzuschätzen, die haben sich erstmals und durchaus überraschend für die EURO qualifiziert, eine körperlich starke Mannschaft. Trotzdem fliegen wir dorthin, um drei Punkte zu holen, diese Überzeugung haben wir. Nordirland ist das Team, mit dem wir um Platz zwei in der Gruppe (Anm.: der zum Play-off berechtigt) kämpfen.

Sie meinen hinter den auf dem Papier übermächtig scheinenden Engländerinnen, auf die das Team im November trifft.
Wenninger: Genau. Ich bin ganz froh, dass wir die Engländerinnen bekommen haben, die sind mir lieber als die Französinnen, die wir in der EURO-Quali hatten. Ein Punkt gegen solch ein Top-Team ist immer möglich, aber wir müssen definitiv einen sehr guten Tag erwischen. Die Engländerinnen haben 2022 die EURO im eigenen Land, sind gut drauf, wollen sich stark präsentieren. 

Vor einigen Jahren war das ÖFB-Team oft in der Underdog-Rolle, jetzt ist es eher die Ausnahme. Mittlerweile seid ihr die Mannschaft, die es zu schlagen gilt.
Wenninger: Das ist doch eine tolle Entwicklung. Man spielt Fußball, um Spaß zu haben, und Spaß macht es, wenn man selbst den Ball hat. Wir wollen den Fans etwas bieten und haben einen Stil entwickelt, den die Leute gerne sehen. Ich sehe das extrem positiv. 

Im Sommer vor einem Jahr gab es einen Trainerwechsel, Irene Fuhrmann folgte Erfolgscoach Dominik Thalhammer nach. Warum ist der Switch so gut gelungen?
Wenninger: Ich war selbst gespannt, wie Irene Fuhrmann den Wechsel von der Assistentin zur Chefin schafft. Das ist ihr extrem gut gelungen. Als Co-Trainerin war sie sehr nah an der Mannschaft dran, jetzt agiert sie zwar in manchen Punkten etwas distanzierter, nimmt aber jede Spielerin mit vielen Einzelgesprächen und einer guten Kommunikation mit. Ihre große Stärke ist die Mischung aus hoher Sozialkompetenz und fachlichem Know-how. Die Kunst ist ja, dass wir unsere defensive Stabilität behalten haben und parallel dazu an unseren kreativen Lösungen in der Offensive gearbeitet haben. Kein einfacher Spagat. 

Ihr spielt aktuell die WM-Quali für 2023, seid aber auch für die auf 2022 verschobene EURO in England qualifiziert. Ist es schwer für den Kopf, sich auf zwei Events zu konzentrieren?
Wenninger: Für mich nicht. Ich bin in einem sehr eng getakteten Rhythmus: Bundesliga, Champions League, Nationalmannschaft. Da kann man nur von Spiel zu Spiel schauen und immer nur an die nächste Aufgabe denken. Wenn aber demnächst die EURO-Auslosung stattfindet, wird das Turnier sicher wieder etwas mehr in den Fokus rücken.

Am 28. Oktober wird in Manchester gelost. Wunschgegner?
Wenninger: Nein. Wir sind in Topf 3 und wissen, dass wir zwei sehr starke Mannschaften bekommen. Klar ist: Durch unsere starken Leistungen bei der letzten EURO werden wir von niemandem mehr unterschätzt. Keiner sagt mehr: Jetzt kommt Österreich, da werden wir schon gewinnen. Diesen Vorteil haben wir verloren.

Porträt von Carina Wenninger
(c) GEPA Pictures/Walter Luger

„Man spielt Fußball, um Spaß zu haben, und Spaß macht es, wenn man selbst den Ball hat.“

Carina Wenninger

Nervt es eigentlich, dass die Leute ein neues Sommermärchen von euch erwarten?
Wenninger: Gar nicht. Mit diesem Druck musst du als Sportler leben können. Die hohe Erwartungshaltung haben wir uns mit unseren Leistungen ja selbst erarbeitet. Schön, dass wir in dieser Rolle sind.

Sie selbst liefern sich mit Sarah Puntigam ein Rennen um den Titel der Rekordspielerin. Puntigam steht bei 111 Einsätzen, Sie bei fünf Spielen weniger.
Wenninger: Ganz ehrlich: Ich habe solche Zahlen nicht im Kopf. Solange mein Köper funktioniert und ich dem Team helfen kann, spiele ich gerne für Österreich. Ob ich dann die meisten Spiele habe, ist mir nicht wichtig. Auch wenn mich die Zahl an sich schon stolz macht.

Sie haben Ihre hohe Belastung mit Spielen im Drei-Tages-Rhythmus und vielen Reisen angesprochen. Spüren Sie die Anstrengung?
Wenninger: Klar! Wir bei Bayern sind es allerdings schon gewohnt, da tun sich andere Mannschaften, die aufgrund ihres kleineren Kaders auch weniger rotieren können, schwerer. Ich selbst bin ein Wettkampf-Typ, liebe es, so viele Spiele zu machen. (lacht) Das ist mir jedenfalls lieber als zu trainieren.

Für die beiden kommenden Spiele kehrt Kapitänin Viktoria Schnaderbeck nach langer Verletzungszeit zurück. Wie wichtig ist sie für das Gesamtkonstrukt im Nationalteam?
Wenninger: Sehr wichtig. Sportlich sowieso, aber auch als Mensch. Sie bringt als England-Legionärin viel Erfahrung mit, ist eine tolle Persönlichkeit, kümmert sich viel um das Drumherum.

Sie haben sie als Kapitänin ersetzt. Taugt Ihnen diese Rolle?
Wenninger: Schon, aber ich brauche die Schleife nicht. Ich bin ohnehin kommunikativ, manchmal laut, muss in der Abwehr die Kommandos geben. Das ist meine natürliche Art. An meiner Herangehensweise ändert das Kapitänsamt nichts.

Sie spielen seit 2007 beim FC Bayern, der Klub ist mittlerweile auch bei den Frauen das Maß der Dinge. Die ersten fünf Bundesligaspiele wurden alle gewonnen und dabei nur ein Gegentor kassiert.
Wenninger: Wir waren eine Mittelfeld-Mannschaft, die sich nach oben gearbeitet hat … (Anm.: 2015, 16 und 21 Deutscher Meister, dazwischen immer Vizemeister). Das ist die Identität des FC Bayern: Wenn sie etwas machen, dann konsequent und meistens erfolgreich. Uns zeichnet nicht nur unser starker Zusammenhalt aus, sondern auch die Qualitätsdichte. Wir könnten in der Bundesliga zwei Teams stellen, die beide um den Titel mitspielen würden. Das bedeutet, dass jede Spielerin gleichwertig ersetzbar ist. Und: Wir haben nicht, wie andere europäische Top-Teams, einen großen Star, von dem alles abhängt. Das macht uns schwer berechenbar.

National ist die Titelverteidigung das klare Ziel. Und in der Champions League?
Wenninger: Wir haben erstmals eine Gruppenphase mit vier Mannschaften, genau wie bei den Männern. Die wollen wir natürlich überstehen. Danach ist alles möglich. Ich war jetzt zweimal im Halbfinale, danach kommt ja nicht mehr so viel. Ich denke, es ist möglich, die Champions League zu gewinnen, wobei es auch vom Losglück abhängt.

Sie sind mittlerweile 30 Jahre alt. Planen Sie bis zum Karriereende beim FCB zu bleiben?
Wenninger: Gute Frage! Ich hatte immer in meiner Planung, noch etwas anderes zu machen. Mein Vertrag läuft bis 2024, und ich weiß sehr zu schätzen, was ich an München habe. Man sollte aber nie aufhören, offen für andere Dinge zu sein.