Kunst fürs Ei

Beim Eierkratzen werden mit scharfen Messern Muster auf ausgeblasene Eier geritzt – eine fragile Ostertradition, die hierzulande nur mehr von wenigen Frauen beherrscht wird.

Jede Menge Ostereier, die durchs Eierkratzen verziert wurden.
© Wilma Zieserl

Bemalt, gebatikt, mit Dekoelementen versehen – die Möglichkeiten, Ostereier zu verzieren, sind vielfältig. Einen besonderen Platz im Bereich Osterschmuck nimmt das Eierkratzen ein. Die ursprünglich aus dem slawischen Raum stammende Handwerkstechnik gelangte vor rund 100 Jahren über Kroatien auch ins Burgenland. Als Zentrum der heimisch gewordenen Tradition fungiert die südburgenländische Gemeinde Stinatz. 

Bekannt sind die Stinatzer Ostereier mittlerweile nicht nur in Österreich: Bis in den Vatikan und nach Washington ins Weiße Haus sollen es die kleinen, fragilen Kunstwerke schon geschafft haben. Einziger Wermutstropfen: Nur mehr wenige Frauen beherrschen heute diese, zumeist innerhalb der Familie weitergegebene, spezielle Technik. Zu den bekanntesten Vertreterinnen, die das Eierkratzen nach wie vor aktiv ausüben, zählt Erika Stipsits. Die Stinatzerin hat bereits in ihrer Kindheit begonnen, Eier auf diese Weise zu verzieren. Gelernt hat sie die Kunst von ihrer Mutter. 

Bunte Leichtgewichte 

Waren es in Stinatz früher vor allem schwarz gefärbte Eier mit kunstvoll geritzten Mustern, die im Trauerfall den Angehörigen gebracht wurden, so kamen mit der Zeit auch Rot als Symbol für die Auferstehung und Violett für die Fastenzeit hinzu. Mittlerweile gibt es die Stinatzer Ostereier in allerlei erdenklichen Farben – von Pink über dreifarbige Varianten bis hin zum mit Acryl überzogenen, goldenen Ei. 

Während ursprünglich allerdings auch harte Eier verziert wurden, so werden diese heute aufgrund längerer Haltbarkeit in der Regel ausgeblasen. Als Leichtgewichtler können sie gut auf den Osterbaum gehängt werden und erweisen sich dabei zudem als erstaunlich haltbar. 

Bevor der Osterschmuck jedoch seine volle Wirkung erzielen kann, sind mehrere Arbeitsschritte nötig: Wurden die Eier zunächst einmal ihres Inhaltes entleert (mit einer speziellen im Handel erhältlichen Pumpe geht dies heutzutage wesentlich schneller, als die Eier mit dem Mund auszublasen), werden sie traditionell im Wasserbad eingefärbt. Die Farbe wird dann im Anschluss mit einem speziellen Messer durch Ritzen an jenen den Mustern entsprechenden Stellen wieder entfernt. 

Vom Wachtel- bis zum Straußenei

Bei den gekratzten Mustern greifen die Frauen zumeist auf eigene Kreationen zurück, aber auch auf solche, die in der Familie über die Jahre weitergegeben wurden. Die Blumenmuster und Ornamente haben die professionellen Osterschmuckherstellerinnen in Musterbüchern gesammelt. Obwohl es oftmals die gleichen Formen sind, die auf das Ei gezaubert werden, gleicht keines dem anderen. Gerne nehmen die Stinatzer Eierkratzkünstlerinnen auch Sonderwünsche entgegen. So hat auch Frau Stipsits im Laufe ihrer Karriere schon einiges aufs Ei gebracht: von Zeichentrickfiguren über Firmenlogos bis hin zum Logo für einen bekannten Wiener Fußballverein. 

Großer Beliebtheit erfreuen sich auch Eier mit Sprüchen wie „Alles Gute“ bis hin zum Wunsch „Gute Fahrt“ fürs Auto. Ins Auto gehängt, bleichen die Eier allerdings aufgrund des Sonnenlichts rasch aus. Zu Hause halten die verzierten Eier hingegen x Jahre, versichert Wilma Zieserl. Die Stinatzer Eierkratz-Expertin verwendet wie ihre Kollegin Frau Stipsits in der Mehrheit Hühnereier, aber auch Wachtel-, Enten- oder Straußeneier können in kleinere oder größere Kunstwerke verwandelt werden. Besonders die großen Straußeneier erfreuen sich als Geburtstagsgeschenk großer Beliebtheit, verrät Frau Zieserl. 

Gerne kratzt die vor allem um Ostern herum hochbeschäftigte Burgenländerin auch in die Schale der Bio-Eier ihrer hauseigenen Maranshühner. Gearbeitet wird hier direkt in die dunkelbraune, besonders widerstandsfähige Schale.

Eierkratzen erlernen

Dass sich generell Bio-Eier aufgrund ihrer dickeren Schale besser zum Kratzen eignen, lässt sich leicht nachvollziehen. Es liegt auf der Hand, dass vor allem bei Anfängerinnen so manches Ei noch vor seiner Vollendung in die Brüche geht. Ungeübten hilft Frau Zieserl jedes Jahr bei ihren vor Ostern stattfindenden Workshops im Landesmuseum Burgenland. Mit im Gepäck hat sie dabei nicht nur ihr Wissen, sondern auch ihre Messer. 

Haben die Stinatzer Frauen früher noch mit den Rasiermessern ihrer Männer gekratzt, so sind diese heute kaum mehr erhältlich – fündig wird man unter Umständen auf Flohmärkten. Bei den Messern von Frau Zieserl handelt es sich um Eigenanfertigungen ihres Mannes, die regelmäßig geschliffen werden. 

Ausgestattet mit dem richtigen Werkzeug und unter Anleitung der Expertin, schaffen es die meisten Kursteilnehmerinnen in der Regel zwei Eier in zwei Stunden zu fabrizieren. Bis man so gut ist wie die Profis und seine kleine Rarität in nur 20 Minuten fertigstellen kann, ist doch noch einiges an Übung nötig. Vor allem für Anfänger ist beim Eierkratzen zu Beginn schwer, die richtige Druckstärke mit dem Messer zu finden.

Liebevolles Denkmal

Aufpassen sollte man natürlich, kann doch so ein Eierkratzmesser auch zur gefährlichen Waffe werden. Tod durch Eierkratzmesser – davon weiß beispielsweise der Kabarettist und Kriminalroman-Autor Thomas Stipsits in seinem letzten Stinatz-Krimi „Eierkratzkomplott“ zu berichten. 

Im Buch wird das Eierkratzmesser der Mutter des Kriminalbeamten Sifkovits zur Tatwaffe. Für die verdächtige Frau Sifkovits konnte Stipsits auf seine in Stinatz lebende Großmutter zurückgreifen. Auch wenn Oma Stipsits das Eierkratzmesser vor über zwei Jahren endgültig in die Schublade gelegt hat, können Krimifans sie nach wie vor am Cover des Buches in Eierkratz-Aktion sehen. Mit seinem Buch hat er zudem der Stinatzer Tradition des Eierkratzens ein liebevolles Denkmal gesetzt.