In den Sommermonaten ist eine Debatte über die Banken bezüglich der Weitergabe der Zinsen an die Kunden entbrannt. Banken werden kritisiert, weil die Zinsen auf variable Kredite schnell erhöht werden, die Sparzinsen auf täglich fällige Sichteinlagen aber gering bleiben. Einige politische Parteien haben auch Markteingriffe wie etwa einen Zinsdeckel vorgeschlagen. Was sagen Sie dazu?
Erwin Hameseder: Nach der ultraexpansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank in den vergangenen Jahren normalisiert sich nun wieder die Zinslandschaft. Wir dürfen nicht vergessen, dass – anders als in Deutschland – die österreichischen Banken in den letzten Jahren negative Zinsen nicht an ihre Sparkunden weitergegeben haben. Forderungen nach neuen Markteingriffen kann ich daher absolut nicht nachvollziehen.
In Italien wurde kürzlich eine neue Übergewinnsteuer für Banken eingeführt. Auch in Österreich wurden Stimmen laut, eine solche Steuer einzuführen. Welche Antwort haben Sie auf diese Ideen?
Hameseder: Ich kann vor solchen Ideen nur warnen. Sie schaden massiv dem österreichischen Standort und bringen unser Land nicht weiter. Gerade die Raiffeisenbanken haben in Krisenzeiten gezeigt, dass sie verlässliche und verantwortungsvolle Partner für ihre Kunden sind. Diese Rolle werden die Raiffeisenbanken auch in Zukunft wahrnehmen. Das sind unsere Raiffeisen-Werte und dazu brauchen wir keine Zurufe aus der Politik. Finanzminister Brunner hat bereits klargestellt, dass so eine Steuer in Österreich aktuell nicht angedacht wird. Dabei sollte es auch bleiben.
Vor zwei Wochen hat ein Bankengipfel stattgefunden, bei dem die Banken ein Entgegenkommen bei Leistungsstörungen seitens ihrer Kunden angekündigt haben. Wieso braucht es diese Unterstützungen durch die Banken?
Hameseder: Keine Bank lässt in schwierigen Zeiten sofort die eigenen Kunden fallen. Die Banken haben ein Interesse, dass es ihren Kunden gut geht. Daher wollen und werden die Raiffeisenbanken ihre Kunden bei Schwierigkeiten auch unterstützen. Die Banken haben den Wegfall von Mahnspesen und Verzugszinsen im Einzelfall bereits zugesagt. Das ist aus meiner Sicht ein sinnvoller Beitrag.
„Die Politik muss erkennen, wenn die Menschen nicht mehr mitgehen, und das auch respektieren.“
Erwin Hameseder
In den Sommermonaten ist auch die Diskussion um das Bargeld wieder voll entbrannt. Verstehen Sie, wieso diese Debatte neuerlich hochkocht?
Hameseder: Die Debatte ist in Europa hausgemacht: Seit Jahren werden neue Vorschläge gemacht, die offenbar die Sorge der Menschen auslöst, dass Bargeldzahlungen zurückgedrängt werden könnten. Diese Sorge sollte man ernst nehmen – ganz gleich, ob es um die Idee eines Digitalen Euro oder um Obergrenzen bei Bargeldzahlungen geht: Die Politik muss erkennen, wenn die Menschen nicht mehr mitgehen, und das auch respektieren.
Bundeskanzler Karl Nehammer möchte „einen verfassungsmäßigen Anspruch“ für das Bezahlen mit Bargeld umsetzen. Wie stehen Sie zu diesem Ansatz?
Hameseder: Dass sich die Politik mit den Sorgen der Menschen zur Aufrechterhaltung des Bargeldes beschäftigt, ist wichtig. Aber über eine Symbolik hinaus muss allen eines klar sein: Österreich wird sich bei diesem Thema noch viel stärker auf europäischer Ebene einbringen müssen. Und da gibt es aus unserer Sicht tatsächlich einigen Handlungsbedarf: Projekte wie ein Digitaler Euro stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Verunsicherung der Bevölkerung bei der Frage des Bargeldes.
Wie beurteilen Sie grundsätzlich die in Europa geplante Einführung einer digitalen Währung?
Hameseder: Ich sehe das sehr kritisch. Aus dem Nichts soll ein staatliches Parallelzahlungsverkehrssystem aufgebaut werden, ohne zumindest die konkreten Auswirkungen auf das Finanzsystem abschätzen oder gar die Kosten beziffern zu können. Bei
einem solch sensiblen geldpolitischen Experiment hätte ich mir schon eine etwas grundsätzlichere Debatte und auch mehr Verständnis von der EZB und den Notenbanken erwartet. Diese Debatte werden wir ab sofort als Banken führen.
Sehen Sie keinen Mehrwert in der Schaffung eines Digitalen Euro? Die Notenbanken argumentieren, dass durch einen Digitalen Euro die Vorherrschaft amerikanischer Dienstleistungsanbieter und Zahlungen in Krypto-Assets zurückgedrängt werden könnten.
Hameseder: Zunächst einmal wäre es Aufgabe der Notenbanken zu erklären, worüber wir genau sprechen. Es sind zahlreiche zentrale Fragen unbeantwortet, obwohl bereits ein Gesetzesvorschlag auf dem Tisch liegt. Die Zahlungsverkehrsprodukte der Geschäftsbanken sind ausgezeichnet und werden von den Kunden auch grenzüberschreitend angenommen. Insoweit ist auch intensiv zu hinterfragen, warum ein kostspieliges staatliches Parallelsystem im Zahlungsverkehr eingeführt werden soll. Und um Zahlungen in Krypto-Assets zu reduzieren, gibt es wohl kostengünstigere Instrumente als die Einführung einer digitalen Währung.
Kommen wir zur Immobilienfinanzierung in Österreich. Die Leitzinsen und Kreditzinsen werden laufend angehoben und die Baukosten steigen unentwegt an. Wie können sich junge Menschen in diesem Umfeld noch Eigentum schaffen?
Hameseder: Wir haben es nach Jahren des Nullzinsumfeldes tatsächlich mit völlig veränderten Rahmenbedingungen zu tun. Die verspätete Reaktion der EZB auf die Inflationssteigerungen hat zu einem raschen Anstieg der Leitzinsen und zu einem starken Rückgang bei Wohnbaufinanzierungen geführt. Dieser Mix macht es für junge Menschen aktuell besonders herausfordernd, Eigentum und damit dauerhaft Wohlstand zu schaffen.
Stark in der Kritik steht nach wie vor die sogenannte KIM-Verordnung der Finanzmarktaufsicht, die für weitere Restriktionen bei der Kreditvergabe sorgt. Welche Auswirkungen haben diese Kreditvergabestandards?
Hameseder: Die Gefahr einer Überhitzung am Wohnimmobilienmarkt und das damit einhergehende Systemrisiko ist schon lange weggefallen. Ich habe bereits Ende letzten Jahres gesagt, dass diese Kreditvergabestandards überholt sind – und ich bleibe dabei: Diese Verordnung gehört endlich ernsthaft evaluiert und letztlich aufgehoben. Ich möchte nicht, dass junge Menschen dauerhaft von der Eigenheimschaffung ausgeschlossen werden.
Nach intensiven Bemühungen ist es gelungen, im Rahmen der Eigenmittelvorschriften von Basel IV für bestehende, strategische Bankbeteiligungen die Risikogewichte in Höhe von 100 Prozent beizubehalten – eine langjährige Forderung des Sektors. Wie schwierig gestaltet sich heutzutage Lobbying für Genossenschaftsbanken in Brüssel?
Hameseder: Da ist uns als Österreich schon viel gelungen. Wenn man die Dinge strategisch richtig anlegt, können wir in Europa viel erreichen. Es geht um eine enge internationale Abstimmung und da sind wir als ÖRV ausgezeichnet in Brüssel aufgestellt. Der Erfolg bei Basel IV ist ein Ergebnis dieser hervorragenden Vernetzung und einer langjährigen konsequenten Überzeugungsarbeit des ÖRV auf EU-Ebene.
„Bevor reguliert wird, braucht es bis zu Ende gedachte Konzepte, die auch in der Praxis funktionieren.“
Erwin Hameseder
Inwieweit betrifft das Thema Überregulierung auch den Agrarbereich?
Hameseder: Über viele Jahrzehnte hinweg war der zentrale Auftrag der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU die Sicherstellung der Ernährungs- und Versorgungssicherheit der Bevölkerung. Dies steht heute in Brüssel offenbar nicht mehr ganz oben auf der Agenda. Stattdessen wird der Fokus auf diverse Themen wie Umweltpflege, Erhalt der Landschaft und biologische Vielfalt gelegt. All das ist selbstverständlich wichtig, aber das überragende Hauptziel, der ureigenste Auftrag der Landwirtschaft, nämlich die Ernährung der Menschen, steht offensichtlich nicht mehr im Zentrum der politischen Überlegungen und Strategien – und das wirkt sich negativ aus. Das stößt auch auf großes Unverständnis bei den Vertretern der Landwirtschaft.
Was muss sich hier ändern?
Hameseder: Den europäischen Bauern werden einerseits wichtige und modernste Wirkstoffe im Pflanzenschutz entzogen, während gleichzeitig der Druck zur Marktöffnung dazu führen wird, dass Lebensmittel aus verschiedenen Erdteilen – vor allem aus Südamerika – importiert werden, die dort genau zu jenen Produktionsmethoden angebaut werden, die bei uns verboten sind. Das Mindeste, was wir von der europäischen Politik erwarten müssen, ist eine konsequente Vertretung der eigenen europäischen Interessen. Wer mit seinen Produkten auf den europäischen Markt möchte, muss zu den gleichen Standards produzieren, wie man es in Europa den eigenen Bauern vorschreibt.
Nächstes Jahr finden EU-Wahlen statt. Welchen Änderungen würden Sie sich wünschen, um Europa wieder bürgernäher und praxisnäher zu machen?
Hameseder: Die Basis für unser Zusammenleben ist der Frieden in Europa. Nur wenn Europa für diesen Frieden auch aktiv eintritt, können wir über wirtschaftspolitische Forderungen sprechen. Und da würde ich mir wünschen, dass wir alle wieder viel mehr ein Europa der Innovation, der besten Ideen und des freien Unternehmertums leben. Der Ursprungsgedanke Europas war immer durch die Schaffung einer Zollunion und eines gemeinsamen Binnenmarktes getragen, um den Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Auf diesen Gedanken sollten wir uns wieder stärker besinnen. Wir müssen wegkommen vom Regulierungszwang für jedes neu auftauchende Phänomen. Bevor reguliert wird, braucht es bis zu Ende gedachte Konzepte, die auch in der Praxis funktionieren.