„Satiriker sind Historiker der Gegenwart“

„Hader on Ice“ soll alles Grausliche der Zeit in einer Figur und in barocker Art und Weise vereinen. Josef Hader spricht über sein erstes Kabarettprogramm seit 17 Jahren.

Josef Hader auf der Bühne
Josef Hader (c) www.lukasbeck.com

Was hat Ihnen das Weinviertel getan? Oder warum sind Sie vom Weinviertel so angetan?
Josef Hader: Eigentlich ist es nur aus der Überlegung entstanden, wie kann ich am Anfang so etwas wie Saturiertheit beschreiben. Viele Künstler und Journalisten ziehen, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben, ins Weinviertel. Also fängt das Stück so an. Das Weinviertel schaut für mich als südlichen Waldviertler im ersten Moment fad aus, aber seit ich weiß, was Himmel, Horizont und Sonnenuntergang dort können, fahre ich öfters ins Weinviertel, wenn ich spazieren gehen will.

Es besteht also doch noch die reale Chance, dass Sie im Alter ins Weinviertel ziehen?
Hader: Ich weiß nicht, ob ich so alt werde, dass ich richtig aufs Land ziehe. Ich bin seit meinem 19. Lebensjahr ein überzeugter Stadtbewohner.

Und warum ein Wolf als Begleiter und kein anderes Tier?
Hader: Ich habe nach einer dunklen Märchenfigur gesucht und als die Überlegungen für das Programm begonnen haben, war es schon so, dass es immer mehr Wölfe gegeben hat. Jetzt werden es noch mehr und das Programm kriegt eine richtige Aktualität. Im Zuge meiner Überlegung, dass sich alles wieder in Richtung Mittelalter bewegt -mit vielen Boten, vielen Tyrannen und einer Seuche -, da war es nicht mehr weit zum Wolf.

Nach 17 Jahren endlich wieder ein neues Kabarettprogramm. Wieso gerade jetzt?
Hader: Das Jahr 2020 war als Schreibjahr vorbereitet. Zum Abschluss meiner Filmphase wollte ich als Regisseur einen eigenen Film machen. Als ich fertig war und die „Wilde Maus“ durch das Kino gerannt ist, habe ich zu überlegen begonnen, wie das neue Programm ausschauen könnte. Dann ist Corona gekommen und hat mich eigentlich überhaupt nicht gestört, sondern war für die Konzentration ganz hilfreich. Lange Zeit hat aber niemand geglaubt, dass ich ein neues Programm mache. Bisserl wie bei Muhammed Ali, als er gesagt hat, er möchte zum dritten Mal den Weltmeistertitel erobern. Es hat etwas von einem unwirklichen Comeback gehabt und deshalb hat es mir gerade besonderen Spaß gemacht.

Wie inspirierend war die Pandemiezeit für Ihr Programm?
Hader: Die Hauptideen hat es vorher schon gegeben. Diese Art von Boomer-Generation, die Irrationalität bis hin zu Verschwörungstheorien, die verschobenen Realitäten – das alles war schon spürbar, als Trump Präsident geworden ist. Da ist eine neue Zeit angebrochen. Corona war ein Zusatz, der das ganze verstärkt hat. Auch in der Gesellschaft hat Corona nichts vollkommen Neues gebracht, sondern nur verstärkt, was schon da war.

Wie schützen Sie sich selbst vor Verschwörungstheorien und Fake-News?
Hader: Ich bin nicht anfällig dafür, wahrscheinlich weil ich sehr katholisch erzogen und dann in der Pubertät zum Zweifler geworden bin, der schwer an etwas glaubt. Das ist nicht mehr weggegangen. Das ist bei Religion so und auch bei den Verschwörungstheorien, die für mich eine religiöse Erscheinung in Zeiten der Unsicherheit sind. Es sind Menschen, die es nicht aushalten, dass wir keine Erklärungen haben. Dass wir auf die Welt kommen, nicht genau Bescheid wissen, und dann auch wieder sterben, ohne zu wissen wofür und warum. So eine Riesenverantwortung innerhalb einer göttlichen Schöpfung spüre ich nicht. Das ist sehr angenehm.

Aber Sie kennen solche Fanatiker aus Ihrem Umfeld?
Hader: Es schlagt schon manchmal in der Umgebung ein -auch bei Künstlern -, dann versuche ich immer ganz vernünftig zu reden und ruhig zu bleiben. Ich weiß seit meiner Kindheit, wie man mit so fanatisch religiösen Menschen umgeht. Irgendwie löst das bei mir auch eine gute Laune aus, vielleicht ist das der Grund, warum ich den Beruf gerne mache. Ich habe eine gewisse Freude an dem, was alles möglich ist -im Menschen.

Wie viel Wahrheit steckt in „Hader on Ice“? Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass Sie Ihre IBAN mit dem Kontostand verwechselt haben.
Hader: Im Grund ist die Arbeit eines Satirikers, dass man die Welt und die Zeit so anschaut, als wäre man gerade von einem fremden Planeten gekommen. Mit einem neugierigen und unvoreingenommen Blick schaut man auf den Wahnsinn der Zeit, als wäre es eine historische Epoche. Die Leute wissen immer sehr genau, was im Mittelalter falsch gelaufen ist und auch über die Unmenschlichkeiten des 20. Jahrhunderts, aber die Unmenschlichkeiten und den Wahnsinn, der im Moment passiert, blenden die meisten aus. Da kommt der Satiriker und versucht ihnen das zu zeigen – auf möglichst lustvolle Art und Weise, weil sonst kommen sie ja nicht. Es ist schon die Wahrheit, das unsere Zeit genauso ihren Wahnsinn hat, wie jedes Jahrhundert vorher. Es wäre auch unlogisch: Warum sollten wir jetzt plötzlich so viel gescheiter geworden sein. Das Seltsame ist nur, dass jede Gegenwart immer das Gefühl hat, gescheiter und am Endpunkt der Zivilisation angelangt zu sein. Den Irrtum hat jede Gegenwart über sich. Satiriker sind also wie Historiker der Gegenwart.

Wie gefallen Ihnen die Reaktionen des Publikums? Manchmal hat man das Gefühl, die Lacher des Publikums decken sich nicht immer mit Ihren Erwartungen? Ist das gespielt?
Hader: Man groovt sich noch ein. Wenn ich meine Zukunftsstationen beschreibe und da kommt nach Schlaganfall, Pflegeheim und Palliativstation als Letztes die Ehrenromy – da bin ich besonders enttäuscht, dass die Pointe nicht gewürdigt wird. Vielleicht wird es ja noch. Wie die Leute reagieren, weiß man im Vorhinein nicht genau. Man rechnet sich etwas aus, und hie und da verrechnet man sich auch ein bisserl, aber das ist das Spannende. Generell habe ich den Trick, dass man immer glaubt, alles gehört dazu. Ich versuche immer eine Grauzone zu haben, wo alles für einen Teil der Show gehalten wird.

Zwei Stunden solo auf der Bühne und hohe Erwartungen des Publikums. Wie groß war der Druck vor der Premiere?
Hader: Wenn ich im Schreiben drinnen bin und die Sprache gefunden habe, dann schreibe ich mich so in eine Begeisterung hinein, dass ich überhaupt keine Angst mehr habe. Ich bin dann zutiefst überzeugt von dem Programm. Ich weiß zwar, dass es nicht perfekt ist, aber ich habe keinerlei Zweifel mehr an der Grundidee. Das war wieder so. Die Grundidee war, alles Grausliche der Zeit in einer Figur zu vereinigen und in einer sehr prallen und fast barocken Art und Weise darzustellen. Es sollte nichts zu tun haben mit einer kopfigen Kritik oder einer moralischen Haltung, sondern pralle Satire wie in der Barockzeit geschrieben -so wie Grimmelshausens Simplicissimus. Das Wüste mit wüsten Worten beschreiben.

Macht Ihnen das Bühnenleben und das direkte Feedback wieder Spaß?
Hader: Das beginnt jetzt erst, wo der Premierendruck weg ist. Auszuloten, wie die Leute reagieren und die Leichtigkeit zu entdecken, das ist eine sehr spannende Zeit. Wenn das Programm dann richtig auf die Welt gebracht ist, wende ich mich aber wieder dem Film zu. Dieses Hin und Her zwischen Kabarett und Filmarbeit ist für mich sehr angenehm, weil ich nichts so sehr hasse, wie ewig dasselbe zu machen. Ich habe eine totale Aversion gegen fade Arbeit.