Mit Entschlossenheit ins Jahr 2023

Im Kampf gegen die hohe Inflation will die Europäische Zentralbank (EZB) länger an der Zinsschraube drehen als erwartet. Welche Auswirkungen diese geldpolitische Positionierung mit sich bringt, analysieren Experten von Raiffeisen Research.

Die Europäische Zentralbank (EZB) demonstriert Festigkeit bei der Bekämpfung der hohen Inflation in der Eurozone, auch wenn das Tempo der Zinsschritte gedrosselt wurde. Die Notenbanker hatten den Leitzins in drei Schritten auf 2,0 Prozent angehoben, wobei die letzten beiden Zinsschritte mit je 75 Basispunkten kräftig wie noch nie ausfielen. Mitte Dezember folgte eine Erhöhung um 50 Basispunkte auf 2,5 Prozent. Parallel dazu wurde der an den Finanzmärkten maßgebliche Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank bekommen, ebenfalls um 50 Basispunkte auf 2,0 Prozent angehoben.

Die EZB sei bei der Bekämpfung der Inflation für ein „langes Spiel“ gerüstet, ließ Präsidentin Christine Lagarde die Finanzmärkte wissen. Vor allem die Ankündigung von mehreren Zinsanhebungen im kommenden Jahr dürfte viele Experten und Anleger überrascht haben. Der Markt ging bisher davon aus, dass das Drehen an der Zinsschraube im kommenden Jahr verlangsamt und eingestellt wird. Darüber hinaus will die EZB aber nicht nur die Zinsen anheben, sondern ab März 2023 auch vorsichtig beginnen, ihr 5 Billionen Euro schweres Anleihenprogramm zu reduzieren – von März bis Juni um 15 Mrd. Euro pro Monat. Merklicher soll der Bilanzabbau allerdings über die Rekalibrierung der langfristigen Bankrefinanzierungsgeschäfte (TLTRO III) erfolgen. Im November wurden Anreize für eine vorzeitige Rückzahlung gesetzt. Allein die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) rechnet in den beiden letzten Monaten des Jahres mit Rückflüssen in Höhe von rund 31,5 Mrd. Euro. 

Weitere Erhöhungen erwartet

„Die EZB hat sehr klar weitere signifikante Zinsanhebungen in Aussicht gestellt. Wir erwarten nun, dass der Leitzins bis Juni auf 4 Prozent und der Einlagesatz auf 3,5 Prozent steigen werden. Da liegt also noch einiges an geldpolitischer Straffung vor uns“, betonte Gunter Deuber, Leiter von Raiffeisen Research, im Gespräch mit der Raiffeisenzeitung. Das Ende des Zinszyklus werde ziemlich sicher deutlich im restriktiven Bereich angesiedelt sein und dort für längere Zeit bleiben. Fürs kommende Jahr rechnet der Raiffeisenexperte mit je zwei Anhebungen um 50 bzw. 25 Basispunkte. „2023 könnte geldpolitisch durchaus spannend und herausfordernder werden als das Jahr 2022 mit den alternativlosen Zinserhöhungen“, so Deuber. 

Für heuer rechnet die EZB mit einer Jahresinflation von 8,4 Prozent in der Eurozone, 2023 sollten es dann 6,3 Prozent und ein Jahr später 3,4 Prozent werden, was immer noch deutlich über dem angestrebten 2-Prozent-Ziel der Währungshüter wäre. „Die Inflation hatten wir heuer nicht im Griff. Durch den Ukraine-Krieg wurden die Notenbanken in ein völlig anderes Inflationsszenario geworfen. Das hat letztendlich zu großen Verwerfungen auf den Kapitalmärkten geführt“, konstatiert Deuber. Die nun deutlich angehobenen Inflationsaussichten der EZB sieht der Finanzanalyst als einen „taktischen Schachzug“ an – nach dem Motto: „Wir haben die Herausforderung akzeptiert.“ Dieses Signal an die Märkte sowie die weitere Straffung der Geldpolitik – auch deutlich in den restriktiven Bereich hinein – könnten dazu führen, dass die EZB im kommenden Jahr ihre Inflationsprognosen wieder etwas zurückschraubt.

„Wir erwarten nun, dass der Leitzins auf 4 Prozent steigen wird.“

Gunter Deuber, Leiter von Raiffeisen Research
Gunter Deuber, Leiter von Raiffeisen Research (c) RBI/Sara Tomic

Konjunkturelle Vollbremsung

Konjunkturell steht dem Euroraum, aber auch Österreich eine milde und kurze Rezession in den ersten Monaten 2023 bevor. Für die Eurozone erwartet Raiffeisen Research heuer noch ein robustes Wachstum von 3 Prozent, das sich im kommenden Jahr auf 0,3 Prozent abbremsen dürfte. Noch „drastischer“ sehe es in Österreich aus, das heuer um 5 Prozent wachsen sollte und im kommenden Jahr auf 0,5 Prozent runterfallen dürfte. „Das ist ein massiver Rückfall. Würden wir nicht von diesen 5 Prozent kommen, dann würde nächstes Jahr eine negative Zahl am Ende der BIP-Jahresrechnung stehen“, ist Deuber überzeugt. Derzeit sehe „alles besser aus, als es tatsächlich ist“. Das könne man auch an den Kapitalmärkten ablesen, die 2022 einen kräftigen Dämpfer erlitten hatten, auch wenn die Konjunktur vordergründig besser gelaufen sei. 

Dass eine deutliche Abkühlung der Konjunktur die EZB zu einer Trendwende in ihrer Zinspolitik zwingen könnte, schätzt Deuber als wenig wahrscheinlich ein: „Die gleichen Wirtschaftszahlen werden sicher nicht zu gleichen Zinssenkungen führen, wie wir das in vergangenen Konjunkturzyklen gesehen haben.“ Die Notenbanken hätten sich auf ihr Inflationsmandat re-fokussiert. Das bedeute, dass die Geldpolitik nicht zu früh im Kampf gegen die Inflation nachlassen dürfe, zumindest solange „es keine dramatischen Verspannungen am Finanzmarkt“ gebe, erwartet der Finanzanalyst.

Doppelschlag für Kapitalmarkt

Der Doppelschlag aus Geld- und Geopolitik habe heuer zu einem sehr schwierigen Kapitalmarktjahr geführt, erklärt Christian Hinterwallner, Leiter der Aktienanalyse bei Raiffeisen Research. „Es gab kaum eine Assetklasse, wo man sich verstecken konnte.“ Die Zinsanhebungen der EZB hätten zu einem „Reality-Check“ an den Finanzmärkten geführt. Während die Unternehmensgewinne im breiten europäischen Markt im Zuge des heurigen Jahres auf über 20 Prozent im Jahresvergleich nach oben revidiert wurden, sind die Schätzungen für das kommende Jahr nach unten gewandert und liegen derzeit bei einem Plus von 1,7 Prozent. Allerdings sei damit noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht, so der Aktienspezialist. Ein Grund für die Abwärtsbewegung sei, „dass die Unternehmen die höheren Kosten nicht mehr in dem Ausmaß weitergeben können, wie es zuletzt der Fall war“. Einen dramatischen Einbruch der Unternehmensgewinne erwartet der Finanzexperte nicht. In einer normalen Rezession brechen diese im Schnitt um bis zu 30 Prozent ein, in einer Stagflation (Stagnation plus hohe Inflation, Anm.), die uns bevorstehen dürfte, gingen sie im Schnitt um 12 Prozent zurück. 

Porträt von Christian Hinterwallner
Christian Hinterwallner (c) RCB/T. Pustenhofer

„Die Aktienmärkte sollten sich 2023 solide, aber nicht überragend erholen.“

Holpriger Jahresstart

Für das Auftaktquartal 2023 erwartet Hinterwallner einen holprigen Jahresstart an den Börsen. Größere Rücksetzer wären interessante Einstiegsmöglichkeiten. Die bisher negativen Faktoren, also die hohe Inflation und die Lieferkettenprobleme, sollten 2023 „weniger beißen“. Dagegen dürften sich die steigenden Arbeitskosten problematisch für die Margen der Unternehmen erweisen. Insgesamt sollten sich die Aktienmärkte 2023 „solide, aber nicht überragend erholen“. Allerdings sei eine Aufwärtsbewegung „bis zu einem gewissen Grad gedeckelt, weil auch die festverzinslichen Alternativen deutlich attraktiver geworden sind, vor allem Unternehmensanleihen“, so Hinterwallner. Das Narrativ, es gebe keine Alternative zu Aktien, gehöre der Vergangenheit an.

Der Wiener Börseplatz ist bis Mitte Dezember mit einem ATX-Minus von fast 21 Prozent ohne Berücksichtigung der Dividenden überdurchschnittlich stark gefallen. Gründe dafür seien, dass viele gelistete Unternehmen in der Krisenregion tätig sind oder ein entsprechendes Exposure haben und daher vom Ukraine-Krieg stärker betroffen sind, aber auch das hohe Gewicht von Finanztiteln sowie die Dominanz von Small Caps. Grundsätzlich werde der österreichische Markt bewertungstechnisch mit einem sehr gewissen Abschlag gehandelt, in der Regel bis zu 18 Prozent. Die aktuellen 40 Prozent zum breiten europäischen Markt seien aber „sehr viel“. Sollte sich die Lage an den internationalen Börsen wie erwartet im Laufe des Jahres 2023 aufhellen, dann dürfte die Aufwärtsbewegung am Wiener Parkett einen Tick höher ausfallen, ist Hinterwallner überzeugt.