„Wettbewerb ist auch etwas Unangenehmes“

Seit November leitet Generaldirektorin Natalie Harsdorf-Borsch als erste Frau die Bundeswettbewerbsbehörde. Im Interview erklärt sie, warum Vernetzung, Transparenz und Offenheit wichtig für die Behörde sind und was das kommende Jahr bringen wird.

Natalie Harsdorf-Borsch im Interview
Natalie Harsdorf-Borsch (38) ist seit 2009 bei der BWB in verschiedenen Funktionen als Ermittlerin, stv. Geschäftsstellenleiterin, Leiterin der Rechtsabteilung und stv. Generaldirektorin tätig. Von Dezember 2021 bis Oktober 2023 leitete sie die Behörde interimistisch. Mit 1. November 2023 wurde sie als erste Frau zur Generaldirektorin bestellt. © RZ/Roland Rudolph

Frau Generaldirektorin, Sie haben fast zwei Jahre die Bundeswettbewerbsbehörde interimistisch geleitet, nun wurden Sie im November nach einem politischen Tauziehen zur Generaldirektorin bestellt. Wie froh sind Sie, dass die Unsicherheit nun vom Tisch ist?
Natalie Harsdorf-Borsch: Im Sinne der Kontinuität war es ein wichtiger Schritt und eine Bestätigung der bisherigen Arbeit sowie meines Teams. Die Verschärfung der Wirtschaftslage etwa durch die geopolitischen Spannungen und Kriege, aber auch die Inflation hat uns viel Arbeit gebracht. Jeder, der mal in einer herausfordernden Situation war, weiß, dass es besonders wichtig ist, worauf man seinen Fokus richtet. Für mich war klar: Mein Fokus liegt auf der Leistung der Behörde, die ich verantworte.

Das Wettbewerbsrecht ist in Österreich nicht gerade einfach geregelt. Neben der BWB gibt es auch andere Institutionen wie den Bundeskartellanwalt. Wie sehen Sie das?
Harsdorf-Borsch: Von außen betrachtet ist sicher eine gewisse Komplexität des Vollzugssystems da. Umso wichtiger ist es, dass wir sehr transparent nach außen kommunizieren und für das öffentliche Interesse arbeiten. Wichtig ist zu sagen, es gibt mit der BWB nur eine Behörde in Ermittlungssachen. Interessanterweise folgt Österreich im Wettbewerbsrecht dem angloamerikanischen Modell, bei dem die Behörde als Ermittler und Ankläger agiert und dann die Gerichte entscheiden. Das vorherrschende Modell in Europa ist jenes, wie wir es von den Regulierungsbehörden kennen, also eine Verwaltungsbehörde, die auch Entscheidungen selbst fällt. Beide Systeme haben Vor- und Nachteile.

Zuvor gab es zwei Generaldirektoren, Sie sind nun die erste Frau an der Spitze. Ist das noch etwas Besonderes?
Harsdorf-Borsch: Sowohl international als auch europäisch sind Frauen in Leitungsfunktionen bei Wettbewerbsbehörden noch immer eine Minderheit. Von den 27 Behörden in den EU-Staaten werden nur sechs von Frauen geleitet. Ich pflege gerade auch deshalb einen guten und engen Austausch mit meinen Amtskolleginnen. Für Frauen ist es grundsätzlich wichtig, dass sie Identifikationsfiguren haben. Das spüre ich intern in der Behörde. Und auch extern werde ich auf das Thema angesprochen.

In Medien werden Sie unter anderem als „poli­tisch wenig vernetzt“ beschrieben. Wie wichtig ist es, als Behördenleiterin gut vernetzt zu sein? 
Harsdorf-Borsch (lacht): Es ist auch ein Teil meiner Aufgabe, die Positionen der BWB gegenüber der Politik zu vertreten. Ein ehemaliger britischer Behördenleiter hat auf die Frage zum Verhältnis der Wettbewerbshüter zur Politik gemeint: „Es darf nicht ganz nah sein, aber es muss eine Brücke geben.“ Das ist eine passende Umschreibung. Ich glaube, dass diese Brücke, dieser Dialog ganz wichtig ist, aber eben auch die Äquidistanz zur tatsächlichen sachlichen Arbeit, wenn es um konkrete Verfahren und Fälle geht. Um diesen Dialog bemühe ich mich auch. Für mich als Behördenleiterin ist es wichtig, präsent zu sein und zum Beispiel Einladungen zu Veranstaltungen anzunehmen. Ich habe das auch schon die letzten Jahre als Bereicherung wahrgenommen.

Wie schätzen Sie die Wettbewerbssituation in Österreich im Allgemeinen ein?
Harsdorf-Borsch: In der Allgemeinheit kann man das nur schwer beurteilen. Es hängt sehr vom Produkt ab, um welchen Markt es geht. Österreich hat aber eine spezielle Ausgangssituation, weil erst spät eine moderne, funktionierende Fusionskontrolle geschaffen wurde. In manchen Bereichen haben sich Marktstrukturen entwickelt, die wahrscheinlich eine moderne Fusionskontrolle so nicht zugelassen hätte. In den 1990er-Jahren und Anfang der 2000er-Jahre, also bevor es eine Wettbewerbsbehörde gegeben hat, gab es viele Übernahmen, die zu Marktkonzentrationen geführt haben. Das muss man so hinnehmen.

Welche Vorteile bringt der Wettbewerb?
Harsdorf-Borsch: Märkte mit einem ausgeprägten Wettbewerb sind krisenfester und international kompetitiver. Es ist kein Zufall, dass starke Volkswirtschaften auch ein starkes Wettbewerbsrecht haben. Ich verstehe natürlich, dass Wettbewerb auch immer etwas Unangenehmes ist. Im Wettbewerb zu stehen, bedeutet in der Regel eine höhere Kraftanstrengung. Wir als BWB müssen das Gemeinwohl im Fokus haben, also die Interessen der Volkswirtschaft, faire Rahmenbedingungen für Unternehmen und den Verbraucher.

Wie lautet Ihre Bilanz über das Wettbewerbsjahr 2023 in Österreich?
Harsdorf-Borsch: Wir haben heuer eine Rekordzahl von mehr als 30 Anträgen an das Kartellgericht, davon 13 wegen Kartellen, gestellt und unsere Bilanz damit noch einmal deutlich steigern können. Bis dato wurden Geldbußen im Ausmaß von knapp 32 Mio. Euro verhängt – fast ausschließlich waren Teilnehmer des langjährigen Baukartells betroffen. Im Vorjahr hatten die Geldbußen insgesamt knapp 92 Mio. Euro betragen, ebenfalls mit einem hohen Baukartell-Anteil. Darüber hinaus schlossen wir die Branchenuntersuchung Lebensmittelmarkt innerhalb eines Jahres ab, was eine wirkliche Kraftanstrengung war. Der Lohn war ein umfassender Bericht, auf den nun viele aufbauen können.

Natalie Harsdorf-Borsch im Interview
© RZ/Roland Rudolph

Der Fokus der Branchenuntersuchung lag auf der Lebensmittelindustrie, dem Lebensmittelhandel und den Konsumenten. Hintergrund waren die stark gestiegenen Lebensmittelpreise. Wie überrascht sind Sie vom Ergebnis?
Harsdorf-Borsch: Auch wenn im Untersuchungszeitraum von 2020 bis 2022 keine Hinweise für ein Kartell gefunden worden sind, war ein Ergebnis, dass die hohen Kostensteigerungen so schnell durchgeschlagen sind. Auch das ist kein wirklich positives Ergebnis. Überrascht war ich aber von der relativ hohen Anzahl unfairer Geschäftspraktiken, die offenbar im Lebensmittelhandel verbreitet sind. Wir nehmen das sehr ernst. 16 Fälle haben wir bereits an das Kartellgericht gebracht. Die Grundlage dafür ist das Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetz, das eine Geldbuße bis zu 500.000 Euro pro Verstoß vorsieht. Es sind die ersten Verfahren nach diesem Gesetz. Wir sind schon gespannt, wie sie ausgehen.

Sind Sie diesbezüglich auch in Kontakt mit dem Fairness-Büro im Landwirtschaftsministerium?
Harsdorf-Borsch: Wir haben gute Kontakte mit dem Büro, das primär als eine Art Mediationsstelle eingerichtet ist. In der letzten Berichtsperiode hat sich das Büro mit 21 Fällen befasst. Nur wenn die Lieferanten explizit eine Freigabe geben, wird es an uns weitergeleitet. Ich finde es prinzipiell gut, dass es für Betroffene eine niederschwellige Ansprechmöglichkeit gibt. Die BWB muss nun als Durchsetzungsbehörde einen klaren Fokus auf das Thema legen.  

Gibt es darüber hinaus Konsequenzen aus der Untersuchung?
Harsdorf-Borsch: Was wir auch dokumentieren konnten, war der Unterschied bei den Einkaufspreisen von bestimmten Lebensmitteln in Österreich im Verhältnis zu anderen EU-Ländern – also der sogenannte „Österreich-Aufschlag“. Das haben wir an die EU-Kommission weitergegeben. Aus meiner Sicht ist das ein Binnenmarkt-Thema. Es ist nicht die Idee des freien Binnenmarktes, dass der Konsument je nach Landesgrenzen andere Bedingungen vorfindet. Die Kommission hat ein großes Verfahren gegen den US-Lebensmittelkonzern Mondolez am Laufen, wo es genau um das Thema Handelsbarrieren geht.

Ermittlungen gegen die Pelletsbranche wurden vor Kurzem eingestellt. Wie beurteilen Sie ein solches Ergebnis?
Harsdorf-Borsch: Wir sind nach intensiver Prüfung zum Schluss gekommen, dass die ermittelten Sachverhalte nicht gerichtsfest sind, also die Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung gering ist. Der Verband proPellets Austria hat sich aber zu einigen Compliance-Implementierungen verpflichtet. Das ist insgesamt ein gutes Ergebnis und ein wichtiges Signal für die Art und Weise, wie die Behörde arbeitet. Nicht jeder Fall wird zu Gericht gebracht. Wir gehen ergebnisoffen in die Ermittlungen bzw. Prüfungen. 

Welche Schwerpunkte haben Sie sich für 2024 vorgenommen? 
Harsdorf-Borsch: Es freut mich, dass wir mit dem Beginn meiner Amtszeit auch einen Rückenwind bei den Ressourcen bekommen. Nächstes Jahr kommen 18 Planstellen dazu, derzeit haben wir 49. Damit schaffen wir den Sprung von einer der kleinsten Behörden in der EU auf eine Größe, die eine weitere Professionalisierung erlaubt. Zu den Schwerpunkten zählen ganz klar die Digitalisierung, vor allem der Ausbau der Datenanalyse und die Künstliche Intelligenz. Da wollen wir den Anschluss nicht verlieren. Darüber hinaus soll auch der Bereich Ökonomie gestärkt werden. Inhaltlich läuft bei uns noch etwa die Sektoruntersuchung von „Food-Delivery“-Plattformen und mit den Hardcore-Kartellen etwa bei der Abfallwirtschaft haben wir alle Hände voll zu tun.