Hohe Immobilienpreise, stark gestiegene Zinsen und eine regulatorische Verschärfung der Kreditvergaberegeln für Banken haben vor allem im Vorjahr zu tiefen Bremsspuren auf dem heimischen Immobilienmarkt und bei der privaten Kreditvergabe für die Schaffung von Wohneigentum geführt. Das Volumen vergebener Wohnbaukredite an private Haushalte hat sich im Vorjahr mehr als halbiert auf insgesamt 10,4 Mrd. Euro (2022: 23,2 Mrd. Euro). Damit sank die Neukreditvergabe in diesem Bereich auf den geringsten Wert seit 2011.
Mittlerweile dürfte aber der Tiefpunkt durchschritten worden sein und sich eine moderate Erholung abzeichnen. Im ersten Quartal legte das Kreditwachstum in Summe leicht zu – vor allem aufgrund der prognostizierten Zinssenkungen, zeigt eine Umfrage der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) unter den heimischen Banken. Vor diesem Hintergrund diskutierten Experten der Aufsicht und Regulatorik mit Bankvertretern bei der Veranstaltungsreihe „Impulse“ des Österreichischen Raiffeisenverbandes (ÖRV) die anhaltenden Herausforderungen.
„Es zeichnet sich Entspannung am Horizont ab. Wir sehen schon deutliche Zeichen für eine Zinssenkung im Juni“, strich Gunter Deuber, Leiter von Raiffeisen Research, hervor. Bis Ende 2025 könnte der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) von aktuell 4,5 auf 2,25 Prozent sinken. „Das wird aber nicht alleine ausreichen, um die Immobilienfinanzierung wieder leistbar zu machen“, sagte der Finanzexperte. Denn seit 2010 gehe eine Schere zwischen den Immobilienpreisen, die sich seither mehr als verdoppelten, und den Haushaltseinkommen mit einem Zuwachs von rund 50 Prozent im selben Zeitraum auf. Nach der Zinswende der EZB vom Juli 2022 stieg die durchschnittliche monatliche Belastung jener privaten Haushalte, die sich kreditfinanziert Wohneigentum angeschafften hatten, durch den Schuldendienst auf bis zu 48 Prozent. Heuer sollte diese auf 44 Prozent zurückgehen und bis 2026 könnte sie weiter auf ca. 35 Prozent absinken.
Baupaket rasch umsetzen
Angesichts der verhärteten Rezession und der ausgewachsenen Baurezession sei es das Wichtigste, dass sich die Gesamtlage in der Bau- und Immobilienwirtschaft stabilisiere. Denn: „Was jetzt an Wohnraum nicht gebaut wird, wird uns in den Folgejahren aufgrund der demografischen Entwicklung fehlen“, ist Deuber überzeugt. Deshalb begrüßt der Raiffeisen-Ökonom das von der Bundesregierung beschlossene Wohnbaupaket, das unter anderem mit einem Gebührenentfall für Grundbucheintragungen oder geförderten Darlehen den Erwerb bestimmter Wohnimmobilien leistbarer machen soll. „Die Maßnahmen machen Sinn, um die Spitzen durchtauchen zu können, die es derzeit beim Thema Leistbarkeit gibt. Eine nachhaltige Lösung des Themas ist das Paket allerdings nicht“, strich Deuber in Richtung Politik hervor.
Auch Michael Höllerer, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien und Obmann des Fachverbandes der Raiffeisenbanken, begrüßt diese Initiative der Bundesregierung. Sie bringe einen wichtigen Impuls in der aktuell herausfordernden Lage. „Meine
große Sorge ist aber, dass es sehr, sehr lange dauert, bis das verkündete Paket bei den Menschen auch ankommt“, sagte der Banker. Die Ankündigung habe nun dazu geführt, dass viele Kunden abwarten, was genau beschlossen wird und was sie davon haben.
Die Sicht der Aufsicht auf das makroökonomische Risiko von Immobilienfinanzierungen skizzierte FMA-Vorstand Helmut Ettl. Dabei stellte er die Finanzierungsleistung des Bankensektors – 140 Mrd. Euro für Wohnimmobilien und 190 Mrd. Euro für Gewerbeimmobilien – in Bezug zur aggregierten Bilanzsumme aller heimischen Banken von rund 1.000 Mrd. Euro bzw. zu den Ausleihungen von rund 500 Mrd. Euro an Nicht-Banken. „Ein Gutteil an Finanzierung und damit am klassischen Bankrisiko ist im Immobilienbereich“, konstatierte Ettl. Gleichzeitig strich der Bankaufseher hervor, dass die heimischen Kreditinstitute ihre Eigenmittel seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 stark aufgebaut haben. Ihnen stehen insgesamt rund 80 Mrd. Euro zur Verfügung. „Wir haben heute Kapitalquoten im österreichischen Bankensektor von 16, 17 Prozent. Das ist nicht vergleichbar mit der Finanzkrise 2008“, hielt Ettl fest.
Kreditstandards verbessert
Dennoch verteidigte der FMA-Vorstand erneut die in der Finanzbranche kritisierte sogenannte KIM-Verordnung (Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung). „Maßnahmen der Aufsicht dann zu setzen, wenn die Hütte brennt, ist viel zu spät. Sie müssen dann gesetzt werden, wenn das Thema nicht besonders virulent ist, aber wenn man aus den Zahlen merkt, dass sich ein Risiko aufbaut“, sagte der Aufseher.
Die „Schere“ zwischen den stark gestiegenen Immobilienpreisen und den deutlich dahinter zurückgebliebenen Einkommen könne nicht geschlossen werden, indem die Kreditvergabestandards gelockert werden, warnte Ettl. Die Aufsicht habe die Entwicklung seit 2015/16 genau beobachtet und 2018 eine Empfehlung für die Kreditvergabe wie in der aktuellen KIM-Verordnung abgegeben: Demnach sollten Wohnkredite maximal eine Laufzeit von 35 Jahren haben. Der Schuldendienst der Haushalte sollte 40 Prozent nicht übersteigen und der Kredit nicht mehr als 90 Prozent des Kaufpreises ausmachen. In einer Erhebung 2020 habe die FMA gesehen, dass trotz der Empfehlung „bis zu 85 Prozent der vergebenen Kredite gegen diese Kriterien verstoßen“. Mit dem Scharfstellen dieser Vorgaben über die KIM-Verordnung hätten sich die Kriterien massiv verbessert, so Ettl.
Dem stellte Höllerer entgegen, dass die Verordnung vor allem kleinere Banken bei den Ausnahmebestimmungen massiv benachteilige. Prinzipiell sei die KIM-Verordnung, die seit August 2022 in Kraft ist und damit in die Zeit der EZB-Zinswende fiel, zu einem falschen Zeitpunkt erlassen worden. Die Sorge der Aufsicht sei zwar verständlich, gleichzeitig müsse aber anerkannt werden, dass seit der Finanzkrise beim Kapitalaufbau, aber auch darüber hinaus, in der Regulierung viel passiert sei. Manche Sachverhalte bei Zwischenfinanzierungen seien trotz einiger Erleichterungen noch immer nicht ausreichend flexibel geregelt. „Die Regulierung könnte man auch anders ausgestalten“, so Höllerer.
Den weiteren Fahrplan bei der KIM-Verordnung skizzierte Nadine Wiedermann-Ondrej, Abteilungsleiterin im Finanzministerium und Vorsitzende des Finanzmarktstabilitätsgremiums (FMSG), das der FMA Empfehlungen für Regulierungsmaßnahmen gibt. Die Verordnung sei befristet bis Juni 2025 erlassen. Ende des Jahres werde die Aufsicht die KIM-Verordnung aufgrund der Daten und einer OeNB-Analyse evaluieren und dann werde man entscheiden, ob sie verlängert oder angepasst werde.
Gewerbeimmobilien unter Druck
Schon vor der Signa-Pleite habe sich das FMSG den Bereich der Gewerbeimmobilien genauer angesehen, erklärte Wiedermann-Ondrej. Es sei absehbar, dass sich in diesem Bereich Risiken aufbauen, die man ansprechen müsse. „Was wir uns nicht vorwerfen wollen, ist nicht rechtzeitig zu handeln“, betonte sie. Auch RBI-Chefökonom Deuber betonte, dass der Druck in diesem Marktsegement steige. „Es gibt durchaus den einen oder anderen Akteur, der mit einem dünnen Eigenkapital wirtschaftet. Dieses Marktsegment wird stark von den Zinsen, den Zinserwartungen und Bewertungen geprägt. Das bedeutet: Wenn wir in der Eurozone in einen glaubwürdigen Zinssenkungszyklus eintreten, könnte damit der Markt eine gewisse Stabilität finden.“ Denn bisher habe der Gewerbeimmobilienmarkt deutlich stärker korrigiert als in der Finanzkrise 2008.
Für eine differenzierte Sichtweise der Immobilienfinanzierung plädierte RLB-NÖ-Generaldirektor Michael Höllerer: „Ich denke, dass viele Dinge, die die Finanzierung betreffen, in einen Topf geworfen werden.“ Im Bereich der gewerblichen Immobilien sei das zunehmende Risiko zu Recht Thema geworden. Dabei stellte der Banker klar: „Signa ist ein Fall, der die Medien und die Gerichte beschäftigt, aber für den Standort Österreich wirtschaftlich gesehen keinerlei Auswirkungen haben wird.“ Anders sehe es im Bereich der privaten Wohnraumfinanzierung aus. „Da sehen wir keinen Anstieg der Risikokosten“, so Höllerer. Gerade in diesem Bereich seien regulatorische Maßnahmen wie die KIM-Verordnung kontraproduktiv – „vor allem zu unserer Sorgfaltspflicht als Geschäftsleiter“.
Eigentum als Altersvorsorge
Was Höllerer aber in der allgemeinen Debatte fehle, sei ein klares Bekenntnis seitens der Politik zum Eigentumsaufbau. „Das ist ganz essenziell für die Altersvorsorge“, so der Generaldirektor. Denn es mache einen großen Unterschied, ob man nach Jahrzehnten den Kredit zurückzahle und die Immobilie dann einem gehöre oder ob man einen ähnlichen Betrag für die Miete aufwende und diese auch im Alter stemmen müsse. Höllerer ist überzeugt, dass es mit einem Zusammenspiel aller – der öffentlichen Hand, der Banken und eigenverantwortlicher Immobilieninteressenten – es gelingen könne, Wohnraum leistbarer zu machen. So biete etwa Raiffeisen Niederösterreich im Rahmen einer Wohnraumfinanzierung einen „Eigenheimbonus“ in Form einer Zinsgutschrift von bis zu 6.000 Euro an.
Aktuell werden 70 Prozent der neuen Immobilienkredite der RLB NÖ-Wien mit fixen und 30 Prozent mit variablen Zinsen vergeben. Die Gesamtrentabilität der österreichischen Banken ist aufgrund dieses hohen Anteils der variablen Zinsen höher als in anderen Ländern wie Deutschland oder Frankreich, strich Johannes Rehulka, ÖRV-Generalsekretär und Geschäftsführer des Fachverbandes der Raiffeisenbanken, hervor. FMA-Vorstand Helmut Ettl betonte, dass man sich bei individuellen Entscheidungen nicht einmischen möchte. Allerdings zeigten die aggregierten Daten der Banken, dass „ein Gutteil des österreichischen Zinsänderungsrisikos aus den Banken ausgelagert und individualisiert wurde“. Hier bestehe die Gefahr, dass das Zinsänderungsrisiko von den privaten Kreditnehmern nicht richtig eingeschätzt und abgesichert werde. Das laufe Gefahr, nicht gut auszugehen, denn die Welt und das Kundenverhalten seien volatil, warnte Ettl in Richtung der Kreditnehmer.