Welchen Stellenwert hat die Vermögensverwaltung in Österreich? Und wie hat sich der Markt entwickelt?
Hannes Cizek: Das ist von Banken- zu Bankengruppe sehr unterschiedlich. Bei ausländischen Privatbanken, die in Österreich tätig sind, hat die Vermögensverwaltung traditionell einen hohen Stellenwert, also zwischen 30 und 50 Prozent des Gesamtvolumens fällt auf die Vermögensverwaltung. Bei Österreichs Traditionsbanken haben wir hingegen noch viel Potenzial.
Wie ist die Situation bei Raiffeisen?
Cizek: Die Raiffeisen Vermögensverwaltung gibt es schon sehr lange, 2027 sind es 40 Jahre. Vom Volumen her haben wir aber noch Raum zu wachsen, wenn auch regional sehr unterschiedlich viel. In den vergangenen zwei Jahren haben wir deshalb innerhalb mehr und mehr den Fokus auch auf die Vermögensverwaltung gelegt, weil sich der Markt in diese Richtung entwickelt. Auch die großen globalen Assetmanager haben sehr hohe Wachstumserwartungen und den Fokus auf das Thema verstärkt.
Woher kommen die Wachstumserwartungen?
Cizek: Es kommt von beiden Seiten, vom Kunden und vom Berater bzw. von der Bank. Der Bank geht es um Vertriebseffizienz. Der Berater im gehobenen Privatkundengeschäft kann sich mehr auf den Kunden konzentrieren und muss sich nicht tagtäglich selbst um das Portfolio kümmern. Das Management durch Dritte ist ja das Wesen eines diskretionären Portfoliomanagements. Das hat auch zur Folge, dass sich die Bank, der Berater auch weniger mit regulatorischer Rechtssicherheit aufhalten muss, weil vieles davon ein Dritter erledigt.
Dietmar Janovec: Und auch der Kunde will sich nicht tagtäglich mit dem Kapitalmarkt beschäftigen und kann sich auf eine Fachexpertise verlassen.
Und für Raiffeisen Capital Management ist es natürlich auch besser und effizienter, wenn mehr Volumen da ist?
Cizek: Ja, natürlich. Das Set-up bei Raiffeisen ist ein sehr gelungenes: Der Kunde schließt den Vermögensverwaltungsvertrag immer mit der lokalen Raiffeisenbank ab und diese lagert das Portfolio-Management an uns aus. Da hat man das Beste beider Welten, die lokale Betreuung vor Ort in der Bank und wir bringen ein, was wir am besten können, nämlich Portfoliomanagement.
Janovec: Bei Bedarf sind wir als Fachexperten auch bei Kundenterminen dabei und unterstützen den Berater.
Wie groß ist die Raiffeisen Vermögensverwaltung momentan und wie groß ist das Wachstumspotenzial?
Cizek: Wir haben aktuell 3.000 Kunden und ein Volumen von 1,2 Mrd. Euro, davon sind 60 Prozent klassisch und 40 Prozent nachhaltig veranlagt. Wie groß das Potenzial ist, das analysieren wir momentan. Von den rund 280 Raiffeisenbanken in Österreich bietet rund ein Drittel Private Banking bzw. Vermögensverwaltung im gehobenen Privatkundensegment an. Das ist schon viel. Mit diesen Banken versuchen wir in den Dialog zu treten, um das Potenzial im Marktgebiet zu erheben und letztlich auch zu heben.
Janovec: Im Vorjahr haben wir auch einen Analyseprozess innerhalb der Raiffeisen Vermögensverwaltung gestartet und uns bestehende Produkte und Prozesse intensiv angeschaut. Daraus abgeleitet haben wir im Jänner Savity gekauft, einen wichtigen technischen Partner, um Prozesse effizienter zu gestalten. Sowohl innerhalb von Raiffeisen Capital Management, aber auch auf Beraterseite in der Bankengruppe wird digitalisiert, um State of the Art zu werden. Wie bei der stationären Depoteröffnung kann der Berater im gleichen System mit einer einfachen Strecke eine Vermögensverwaltung abschließen. Mit dem Kauf von Savity ist uns ein Meilenstein gelungen, um in unseren Wachstumszielen voranzukommen.
Was hat die Analyse der bestehenden Produktpalette ergeben?
Janovec: Grundsätzlich gibt es derzeit zwei Produktlinien, eine klassische und eine nachhaltige Vermögensverwaltung in je fünf Risikoausprägungen. Aber wir sind bereits intensiv in einem Produkt-Relaunch. Unser konkretes Vorhaben ist, die Individualität des Kunden mit den Vorteilen der Vermögensverwaltung zu kombinieren. Wir wollen die Vermögensverwaltungsprodukte individueller gestalten – in Form von Modulen. Das zukünftige Produktkonzept wird sicherlich ein wichtiger Treiber, um unsere Wachstumsziele zu erreichen.
Welche Anlageprodukte verstecken sich grundsätzlich in der Vermögensverwaltung?
Cizek: Eine fondsbasierte Vermögensverwaltung ist einfach der effizienteste Weg, denn wenn man Einzeltitel kauft, entsteht durch die Diversifikation eine irrsinnige Komplexität. Wir setzen also ziemlich genau 50 Prozent unserer eigenen Fonds ein und 50 Prozent Fremdfonds – das ist ein guter Mix. Die Aktien- und Anleihenquote bleibt dabei je nach Marktlage dynamisch. Wir haben zum Beispiel in den letzten Wochen und Monaten sehr früh, noch vor der starken Korrektur, begonnen, Aktien zu reduzieren. Das macht dann der Portfoliomanager automatisch, ohne dass der Kunde oder der Berater vor Ort irgendwas tun müssen.
Janovec: Unser Asset in der Vermögensverwaltung ist eben, uns monatlich taktisch zu positionieren und Anpassungen vorzunehmen. In unseren Assetallokationen liegt genau der Mehrwert einer Vermögensverwaltung, dass wir dem Berater und Kunden dieses regelmäßige Anpassen abnehmen.
Vermögende Kunden gelten als älter und weniger digital-affin. Stimmt diese Typisierung noch?
Cizek: Teilweise ja, aber es ist natürlich jetzt inzwischen eine ganz andere Erbengeneration da, und die erwartet sich von jedem Dienstleister digitale Anwendungen. Ein Erbe übernimmt ein Vermögen und will logischerweise alles auf seinem Endgerät sehen. Wir spüren schon deutlich diesen Generationenübergang.
Janovec: Wenn die Mandate übergeben werden, dann hat die jüngere Generation andere Ansprüche. Über digitale Apps und Kundenportale will sie Informationen über die Portfolioentwicklung sehen, das können wir mit Savity.
Wo ist der Unterschied zur bei Raiffeisen bestehenden digitalen Vermögensverwaltung WILL?
Janovec: Bei WILL gibt es ein vordefiniertes Produktuniversum, eine Kombination aus aktiv gemanagten Produkten und passiven Produkten. WILL bietet eine sehr standardisierte Vermögensverwaltung.
Cizek: Wir haben in der klassischen Vermögensverwaltung natürlich auch nicht nur Privatpersonen, sondern auch juristische Personen, also institutionelle Kunden. Wir bauen für große institutionelle Kunden ab 10 Mio. Euro eigene Spezialfonds, aber für Kunden unter 10 Mio. Euro ist die Vermögensverwaltung eine sehr gute Hülle für eine Veranlagung – die Untergrenze liegt bei 150.000 Euro. WILL beginnt schon bei 5.000 Euro, dadurch hat man ein ganz anderes Segment. Beides hat absolut seinen Platz und ist auch erfolgreich. Rechtlich ist beides ein diskretionäres Portfoliomanagement.
Welches Motiv gab es für die Übernahme von Savity?
Cizek: Wir haben Savity übernommen, um schnell einen großen Schritt in der Digitalisierung der Raiffeisen Vermögensverwaltung zu machen. Wir wussten, der Aufholbedarf ist beträchtlich und wir wollen diese Lücke schnell schließen, um einfach die Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Aber es geht nicht nur um App und Portal, also die Frontendlösungen für den Kunden, sondern Savity hat eine technische Plattform entwickelt, die automatisiert Vermögensverwaltung abwickeln kann. Das ist der Grund, warum wir in zwei Tranchen voraussichtlich in den nächsten zwei Jahren das bestehende Volumen der Raiffeisen Vermögensverwaltung technisch auf diese Plattform übertragen. Für die Kunden und für die Raiffeisenbank ändert sich nichts, aber wir verwenden im Hintergrund in Zukunft eine andere technische Plattform, nämlich die von Savity.
Die digitale Affinität der Kunden nimmt zu, wird der Berater in Zukunft eine geringere Rolle spielen?
Cizek: Der Berater insbesondere in der Vermögensverwaltung wird auch weiterhin eine große Rolle spielen. Ein Volumen ab 150.000 Euro schließt man nicht schnell digital ab, das zeigen europäische Marktstudien und das merken wir auch. Übers Handy einen Fonds kaufen oder einen Sparplan abschließen, das ist mittlerweile etabliert, aber Beträge über 150.000 Euro investiert man nicht nebenbei. Da will man die Expertise von einem Berater.
Die Expertise sucht man wohl gerade jetzt in turbulenten Kapitalmarktphasen: Wie nervös sind Kunden?
Janovec: Die Kunden sind natürlich verunsichert, sind es aber nach vergangenen Krisen auch gewohnt, dass Portfolios volatil sind und schwanken. Die vergangenen beiden Jahre waren unglaublich positive Börsenjahre. Im Moment geht es wieder in eine andere Richtung, aber Kapitalmärkte sind eben Schwankungen unterworfen.
Cizek: Angefangen bei der Ölkrise in den 70er-Jahren über diverse andere Events: ein globales Aktienportfolio hat trotzdem über all die Jahrzehnte vielen Kunden eine fantastische und unschlagbare Performance gebracht. Das versuchen wir den Beratern und unseren Kunden zu verdeutlichen. Wir erreichen über diverse Plattformen 10.000 Raiffeisenberater in Österreich und liefern laufend und schnell Informationen und unsere Sicht auf die aktuelle Marktentwicklung.
Wie sieht der Zeitplan für die digitale Transformation konkret aus?
Janovec: Die ersten Kunden wollen wir zu Jahresbeginn transferieren. Die restlichen Kunden und die neuen Produkte sollen bald folgen. Die neue Beraterstrecke soll zum Halbjahr 2025 fertig sein. Wir sind also die nächsten 18 bis 24 Monate intensiv beschäftigt, bestehendes Geschäft zu migrieren, ein neues Produkt zu platzieren und natürlich auch Neukunden zu akquirieren.
Cizek: Das Potenzial liegt hier in der Durchdringung bei den bestehenden Raiffeisenkunden. Das trifft auf das Wertpapierthema im Allgemeinen zu, aber auch auf die Vermögensverwaltung. Mehr Kunden für das Thema Veranlagung zu gewinnen ist die Challenge, auf die wir uns sehr stark konzentrieren.