Die Macht der Gegentrends

Welchen Stellenwert haben genossenschaftliche Grundsätze in modernen Zeiten? Und wie kann man mit alten Werten am Puls der Zeit bleiben? Mit diesen Fragen beschäftigte sich der diesjährige Raiffeisen-Verbandstag in der Steiermark.

Tristan Horx, Franz Titschenbacher und Peter Weissl wissen, die Raiffeisen-Idee hat Zukunft.
Tristan Horx, Franz Titschenbacher und Peter Weissl wissen, die Raiffeisen-Idee hat Zukunft. © Raiffeisenverband Steiermark/Krug

Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Dieses altbekannte Zitat trifft in einer sich immer rasanter verändernden Welt mehr denn je zu. Die Schwierigkeit beschreibt Tristan Horx so: „Die Zukunft verläuft nicht linear, sondern immer in Schleifen.“ Jeder Trend führt zu einem Gegentrend. Aktuell können mehrere „Rekursionen“ beobachtet werden, wie der Zukunftsforscher den mehr als 300 Gästen beim Verbandstag in Raaba-Grambach erklärt. Lange lag etwa die Urbanisierung im Trend, da es in der Stadt mehr Jobmöglichkeiten gab. Die Pandemie und das Homeoffice haben diese Entwicklung in eine Stadtflucht verkehrt. Laut aktuellen Umfragen haben sich 10 Prozent der Österreicher umentschlossen und ziehen nun das Landleben der Stadt vor. Auch das Altern ist heute nicht mehr so negativ besetzt wie früher. Ab 35 Jahren werden die Menschen immer glücklicher und die Älteren werden auch immer fitter. „Jede Generation verhält sich im Schnitt um 7,4 Jahre jünger als die frühere Generation“, weiß Horx und spricht vom sogenannten „Downaging“ als Charakteristik der Generation Baby-Boomer (1946–1960).  

Trends und Gegentrends lassen sich für den Zukunftsforscher am besten in Altersgruppen unterteilen. Die Generation X (1961–1980) habe es besonders schwer und werde nicht ohne Grund als „Generation no future“ betitelt: Sie ist nummerisch sehr klein, hat noch die alten Arbeitswerte und „leidet“ finanziell unter den Baby-Boomern. Während es sich die Generation Y (1981–1995) leisten könne, „postmaterielle Tendenzen“ zu entwickeln. Mit der Generation Z (1995–2010) sind die konservativen Wertestrukturen zurückgekommen. Mama und Papa sind die größten Vorbilder, familiärer Zusammenhalt wichtig und Gesundheit, Freiheit und Freundschaft haben den höchsten Stellenwert. Die Auswirkungen der Pandemie spiegeln sich für den Trendforscher hier eindeutig wider. Für die Kinder von heute, die Generation Alpha (ab 2010), zeichnet Horx eine rosige Zukunft: „Diese Generation wird eine sehr hohe Lebenserwartung haben, länger gesund bleiben und den höchsten Bildungsstandard aufweisen. Sie wird auch vom wirtschaftlichen Aufschwung und der Künstlichen Intelligenz profitieren.“

Soziale Rekursion

Ein Trend, der sich durch die jüngeren Generationen zieht, ist die Suche nach neuen Formen der Gemeinschaft. „Früher wurden Menschen in Gemeinschaften geboren und mussten ihre Individualität finden. Heute werden Menschen als Individuen geboren und müssen ihre Gemeinschaft finden“, erklärt der Zukunftsforscher und veranschaulicht: „Das Netz löst Verbindungsfragen, aber keine Beziehungsfragen.“ Das Bedürfnis nach der Zwischenmenschlichkeit sei nach der massiven Phase der Einsamkeit wieder stark. Zusammenfassend sieht der Trendforscher ein Revival bei den Werten Gemeinschaft, Sicherheit, Leistungsbewusstsein, Ökologie und Regionalität. „Diese soziale Rekursion, vor allem bei den Jungen, deckt sich stark mit den Grundwerten von Genossenschaften und bietet daher viele Chancen“, so der Trendforscher.

Moderne Vielfalt

Die Vielfalt und Modernität der knapp 300 genossenschaftlich organisierten Betriebe in der Steiermark wurde in einem Imagefilm dokumentiert, in dem die Zukunftsthemen Schüler- und Energiegenossenschaften eine große Rolle spielen. „Raiffeisen hat es durch Jahrzehnte hinweg immer wieder gelebt und gezeigt, dass Stimmungsbilder und Bewegungen in unserer Gesellschaft zu Chancen und Möglichkeiten werden, die Weiterentwicklung bedeuten. Sie zeugen immer wieder davon, dass die Raiffeisen-Familie am Puls der Zeit ist“, so Franz Titschenbacher, Obmann des Raiffeisenverbandes Steiermark. Für Titschenbacher sind die genossenschaftlichen Grundwerte Regionalität, Solidarität und Eigenverantwortung zeitlos gültig und gleichzeitig Auftrag, sich stets mitgestaltend zu positionieren und weiterzuentwickeln: „Die Raiffeisen-Idee hat Tradition und Zukunft.“

Positive Bilanz

Die Kraft des Miteinanders lässt sich auch in den Zahlen 2022 der Mitgliedsgenossenschaften des Raiffeisenverbandes Steiermark ablesen, die insgesamt 600.000 Mitglieder, 2.900 Funktionäre und 6.400 Mitarbeiter zählen. Im Bankensektor haben die 45 selbstständigen Raiffeisenbanken im Verbund mit der Raiffeisen-Landesbank Steiermark abermals eine Steigerung bei den Ersteinlagen auf 16,5 Mrd. Euro und bei den Ausleihungen auf 14,3 Mrd. Euro erzielt. Mit einer Gesamtbilanzsumme von 20,5 Mrd. Euro sind die steirischen Raiffeisen-Primärbanken weiterhin führend in Geldangelegenheiten. Das Betriebsergebnis betrug 231 Mio. Euro oder 1,16 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme und erhöhte sich gegenüber dem Vorjahr – positiv beeinflusst von der geänderten Zinslandschaft – um 61 Mio. Euro. Das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit lag bei 168 Mio. Euro und lag nur geringfügig unter dem Wert 2021. Das zweite Halbjahr 2022 stand unter den ersten Folgewirkungen der strengeren Vergabestandards bei Wohnkrediten durch die Finanzmarktaufsicht (FMA). Diese KIM-Verordnung habe seither zu einer deutlichen Reduktion der Kreditvergaben an Privatpersonen in diesem Segment geführt.

Der Lagerhausbereich konnte im Vorjahr abermals beim Umsatz zulegen und knackte mit einem Plus von 20,4 Prozent erstmals die Milliarden-Euro-Marke, genau erzielte man 1,06 Mrd. Euro Umsatz. Die hohen Umsatzzuwächse waren in einzelnen Sparten auf merkliche Preisanstiege zurückzuführen. Das Ergebnis vor Steuern im Ausmaß von 22,0 Mio. Euro oder 2,1 Prozent der Betriebsleistung lag nochmals leicht über dem guten Wert von 2021. In den Aus- und Umbau sowie in die Sanierungen der Lagerhäuser wurden im Vorjahr steiermarkweit 23,8 Mio. Euro investiert.

Die höchsten Vertreter von Raiffeisen Steiermark kamen beim Verbandstag zusammen: Florian Stryeck, Martin Schaller, Josef Galler, Johannes Rehulka, Josef Hainzl, Tristan Horx, Moderatorin Verena Kicker, Franz Titschenbacher, Ariane Pfleger, Peter Weissl, Wolfgang Potocnik, Hubert Lang.
Die höchsten Vertreter von Raiffeisen Steiermark kamen beim Verbandstag zusammen: Florian Stryeck, Martin Schaller, Josef Galler, Johannes Rehulka, Josef Hainzl, Tristan Horx, Moderatorin Verena Kicker, Franz Titschenbacher, Ariane Pfleger, Peter Weissl, Wolfgang Potocnik, Hubert Lang. © Raiffeisenverband Steiermark/Krug

Die Molkereisparte wurde 2022 mit 556.000 Tonnen Rohmilch beliefert. Während die Anliefermenge um 3,1 Prozent anstieg, reduzierte sich die Anzahl der Milchlieferanten um etwas mehr als 3 Prozent auf 3.631. Damit setzte sich der seit Jahren beobachtbare Trend in der Landwirtschaft fort. Die Milchanlieferung pro Betrieb erhöhte sich auf knapp 153.000 Kilogramm. Die Milchpreisentwicklung zeigte im Jahresverlauf 2022 einen deutlichen Anstieg. Seit Jahresbeginn 2023 sank der Milchpreis wieder und pendelte sich in den Sommermonaten bei rund 50 Cent/kg netto ein. Die Betriebsleistung der steirischen Molkereien ist um 17,8 Prozent auf 274,5 Mio. Euro angestiegen. Das operative Ergebnis der steirischen Molkereien lag im Jahr 2022 in Summe wiederholt im negativen Bereich und hat sich gegenüber dem Vorjahr weiter verschlechtert. Die Gründe dafür lagen in höheren Rohstoff-, Energie- und Personalaufwendungen.

Positiv entwickelt haben sich die 78 Biowärme- und Hackschnitzelbetriebe mit einem Gesamtumsatz von 22,7 Mio. Euro. Sie versorgten mehr als 5.600 Kunden mit natürlicher Wärme. Insbesondere seit dem Krieg in der Ukraine ist die Nachfrage nach erneuerbarer Energie stark gestiegen, die wiederum umfangreiche Neu-, Aus- und Umbauten in Gang setzte. Die Investitionen legten um 35 Prozent zu und betrugen 17,1 Mio. Euro. Auch für die kommenden Jahre sind umfangreiche Investitionen in Heizanlagen und Netzerweiterungen geplant. Die Betriebsleistung der insgesamt 86 Energieerzeugungsbetriebe erhöhte sich um 1,4 Mio. Euro auf 22,7 Mio. Euro. Im Sinne des genossenschaftlichen Fördergedankens wurden in diesem Bereich nur die zur Abwicklung eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes notwendigen Gewinne erwirtschaftet. Trotz deutlicher Indexanpassungen bei den Wärmepreisen lag das Ergebnis vor Steuern auf ähnlichem Niveau wie im Vorjahr und betrug insgesamt 2,1 Mio. Euro. Bei den sonstigen vom Raiffeisenverband Steiermark zu prüfenden Mitgliedsbetrieben ist die wirtschaftliche Lage insgesamt stabil. 

Als verlässlichen Eckpfeiler des Genossenschaftswesens und einer positiven Geschäftsentwicklung nannte Verbandsdirektor Peter Weissl die Revision: „Sie ist Garant für das fundamentale Vertrauen in die steirischen Genossenschaften.“ Weissl betonte die große Chance, die die Gründung von Energiegenossenschaften bietet, um einen nachhaltigen Beitrag zu mehr Energieunabhängigkeit leisten zu können. Dafür sei man als Genossenschaftsrevisionsverband gerüstet und bereit tatkräftig mitzuhelfen, wenn gerade die Gemeinden und deren Bürgermeister nach Lösungen in diesem Bereich suchen. Auch das Potenzial von Pflegegenossenschaften werde derzeit evaluiert. „Es ist unser Auftrag, gemeinsam zukunftsorientierte Lösungen zu erarbeiten und an der Seite der Menschen in diesem Land zu stehen“, betont Verbandsobmann Titschenbacher. 

Auf Werte besinnen

Steiermarks Landtagsabgeordneter Hubert Lang ist in seinen Grußworten überzeugt: „Genossenschaften sind aktueller denn je. Es ist ein Programm für die Zukunft.“ Man sollte sich an die Grundwerte von Raiffeisen erinnern und den Pioniergeist neu ins Bewusstsein bringen. „Wir brauchen den Mut, die Zuversicht und auch das Selbstbewusstsein“, so Lang. Johannes Rehulka, Generalsekretär des Österreichischen Raiffeisenverbandes, ruft in Erinnerung: „Friedrich Wilhelm Raiffeisen hat nie eine passive Rolle eingenommen. Er hat sich immer mit neuen Entwicklungen auseinandergesetzt. Wir haben es in unserer DNA, dass wir selbst gestalten und nicht gestaltet werden.“