Nach der Premiere im Vorjahr stellte die Raiffeisen Bank International (RBI) Anfang November zum zweiten Mal das Thema Biodiversität in den Mittelpunkt einer hochkarätig besetzten Fachveranstaltung. Rund 120 Gäste kamen in Wien zusammen, um zu diskutieren, wie der Schutz der Natur zu einem Bestandteil wirtschaftlicher Wertschöpfung werden kann. Vielfältige Perspektiven lieferten dabei Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Aufsicht und internationalen Institutionen. Organisatorin Christine Würfel, Head of Group ESG & Sustainability Management, bezeichnete das Event als „Lehrbuchbeispiel für Stakeholder-Engagement“: „Der zweite Biodiversity Day unterstreicht das lebhafte Interesse privater und öffentlicher Akteure sowie unser eigenes Engagement für den Erhalt und die Verbesserung der Natur, die uns alle erhält.“
Daran schloss RBI-Vorständin Valerie Brunner in ihrer Eröffnungsrede mit einer persönlichen Anekdote an. Jeden Tag höre sie an ihrem Wohnort in einem Wald bei Wien die Töne einer Eulenfamilie. „Für mich ist das eine Erinnerung, wie unglaublich wichtig es ist, dass wir einen lebenswerten Lebensraum schaffen“, so Brunner. Immer öfter spreche sie in Kundengesprächen gezielt das Thema Biodiversität an, „denn die Bank ist in diesem Bereich nur so gut, wie unsere Kunden ihn bereits als konkretes Problem und Gegenstand ihrer Überlegungen betrachten“. Die Antworten seien vielversprechend: Viele seien interessiert, Berührungspunkte gebe es bei allen. Zahlreiche Unternehmen stünden erst am Beginn, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Natur zu verstehen – Biodiversität werde künftig jedenfalls auch in die Richtlinien der RBI einfließen.

Eine moralische und wirtschaftliche Frage
Wie stark Biodiversität für das Bankgeschäft an Bedeutung gewinnt, zeigten drei Einblicke aus Raiffeisen-Sicht. Elena Filipidescu, Head of Group Financial Institutions, Country & Portfolio Risk Management, erklärte, dass Natur- und Artenverlust zu realen Geschäftsrisiken werden: „Biodiversität ist wie der Klimawandel ein finanzieller Risikofaktor für Unternehmen.“ Die RBI finanziere keine Geschäfte mit eindeutig negativen Auswirkungen auf den Planeten, sondern lege den Fokus auf Projekte mit positivem Einfluss. Derzeit arbeite man daran, Biodiversitätsaspekte systematisch zu erfassen und zu bewerten. Klar sei: „Unternehmen, die keinen positiven Einfluss auf die Natur schaffen, werden künftig Schwierigkeiten haben.“
Petr Polach, Co-Head of Group Structured Finance & Investment Banking, betonte den wirtschaftlichen Aspekt: „Das ist nicht nur ein moralisches Thema, sondern auch ein Geschäftsthema.“ Biodiversität müsse als Investitionschance betrachtet werden.
Robert Pichler, Geschäftsführer der Raiffeisen Nachhaltigkeits-Initiative (RNI), verwies auf die Verantwortung des gesamten Raiffeisen-Sektors. Alle 22 Mitgliedsunternehmen der RNI seien bestrebt, wirtschaftlichen Erfolg mit Umweltschutz und sozialer Verantwortung in Einklang zu bringen. „Das Risiko, Biodiversität zu verlieren, bedeutet auch ein Risiko für unsere Geschäftsfälle“, so Pichler.
Biodiversität schafft Ernährungssicherheit
Dass Biodiversität auch in einem größeren Rahmen betrachtet werden muss, machte der Leiter des Global Innovation Accelerator beim UN World Food Programme (WFP), Bernhard Kowatsch, deutlich. Rund 720 Millionen Menschen leiden weltweit unter Hunger, 500 Millionen davon seien Kleinbauern – der Verlust fruchtbarer Böden würde also erst recht jene treffen, die ohnehin schon von Armut betroffen sind. Biodiversität sei somit essenziell für die Ernährungssicherheit, so Kowatsch. Der Innovation Accelerator des WFP fördere deshalb Ansätze, die zum Kampf gegen den globalen Hunger beitragen: „Meine Aufgabe ist es, nach Innovationen, Start-ups, öffentlich-privaten Partnerschaften und investierbaren Lösungen zu suchen.“
Als Beispiele nannte er etwa das Start-up Boomitra, das Satellitendaten, Bodenproben und KI nutzt, um Emissionszertifikate zu validieren, wenn Landwirte Maßnahmen zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt ergreifen. Das soziale Unternehmen Toothpick entwickelt biologische Methoden zur Schädlingsbekämpfung in Subsahara-Afrika und in Westafrika wurde eine Maschine entwickelt, die das dürreresistente Urgetreide Fonio 30-mal schneller verarbeiten kann, als dies manuell möglich ist. In Zusammenarbeit mit der Weltbank arbeitet das WFP zudem an der Einführung einer Katastrophenanleihe (Cat Bond) für Ernährungssicherheit, um das Risiko im Fall von Dürrekatastrophen von humanitären Organisationen auf private Investoren zu verlagern und sicherzustellen, dass Notfallmittel vorab bereitgestellt werden.

Neues Marktpotenzial
Ein weiterer Schwerpunkt war der Umgang mit Kohlenstoffmärkten. Christian Holzleitner, Referatsleiter für Landökonomie und Kohlenstoffeinspeicherung bei der Europäischen Kommission, erläuterte, dass Europa künftig nicht nur Emissionen reduzieren, sondern auch aktiv CO2 aus der Atmosphäre entfernen müsse. Dafür werde derzeit ein europäischer Zertifizierungsrahmen für Kohlenstoff- und Naturgutschriften entwickelt.
Johannes Winkler, Head of Capital Markets Data and Solutions, und Alice Stoicescu, Venture Builder und Designer, von der RBI stellten Überlegungen vor, wie Banken künftig kleinere und mittlere Unternehmen beim Handel mit Emissionszertifikaten unterstützen könnten – etwa über standardisierte Vorwärtskontrakte oder durch die Nutzung von Zertifikaten als Kreditsicherheiten.
Harry Farnsworth von der Rabo Carbon Bank betonte schließlich, dass freiwillige Kohlenstoffmärkte ein wichtiges Bindeglied zwischen Finanzierung und Biodiversität sein könnten. Entscheidend sei, dass Projekte nachweisbare Zusatznutzen für Umwelt und Gemeinschaft schaffen.
Im Fokus der Aufsicht
Auch auf der regulatorischen Ebene hat das Thema Biodiversität längst Einzug gehalten, wie Senior Supervisor Tina Lehner und Senior Specialist Sustainable Finance Johanna Lütterfelds von der Finanzmarktaufsicht (FMA) erklärten. „Regulierungs- und Aufsichtsbehörden, insbesondere auf europäischer Ebene, haben bereits die Bedeutung der biologischen Vielfalt und naturbezogener Risiken als zusätzliche Komponente zu klimabezogenen Risiken im gesamten ESG-Risikomanagementrahmen anerkannt“, sagte Lütterfelds. Auch die FMA beobachte eine Zunahme von Risiken aus diesem Bereich, „unabhängig vom Herkunftsland und von der Größe des Kreditinstituts“.
Jüngste Analysen der Europäischen Umweltagentur und der Europäischen Zentralbank zeigten klar, dass Naturverlust und Wasserstress auch die finanzielle Stabilität gefährden: „Die europäische Wirtschaft ist nicht vor Dürren geschützt. Allein die Knappheit an Oberflächenwasser gefährdet fast 15 Prozent der Wirtschaftsleistung des Euroraums“, ergänzte Lehner. Laut einer Analyse von 2.500 Banken in der Eurozone seien über 30 Prozent der Kredite derzeit an Sektoren vergeben, die stark von Wasserknappheit betroffen sind.
Für die FMA sei notwendig, Risiken zu identifizieren, zu messen und in das Risikomanagement-Framework zu integrieren. „Dabei wird es einen kontinuierlichen Lern- und Kooperationsansatz brauchen“, brachten die beiden Aufsichtsvertreter eine zentrale Erkenntnis des Biodiversity Days auf den Punkt.








