SV Kelchsau: Klein, aber gefürchtet

In den 1980er-Jahren war der SV Kelchsau eine Hochburg des österreichischen Ringsports. Nun will der Tiroler Klub aus dem 800-Seelen-Dorf mit einer starken Jugendarbeit Ausrufezeichen setzen.

30 Staatsmeistertitel und mehr als 240 Siege bei Tiroler Landesmeisterschaften – die Erfolgsbilanz des SV Kelchsau Ringen kann sich sehen lassen. Doch während in den 1980er-Jahren die erste Mannschaft für Furore sorgte und sogar ans Tor der Bundesliga klopfte, sind es heute Kinder und Jugendliche bis 15 Jahre, die ihre Gegner regelmäßig aufs Kreuz legen und Medaillen und Pokale nach Kelchsau – ein 800-Seelen-Dorf in der Gemeinde Hopfgarten – bringen.

„Was unser Know-how betrifft, haben wir die Werkzeuge, junge Menschen in die Umlaufbahn dieses wunderbaren Sports zu schießen“, sagt Obmann Edi Nikolic blumig. „Es ist heute nicht mehr so leicht, junge Menschen für diesen harten Kampfsport zu begeistern. Wer aber die Disziplin mitbringt, sich hier durchzusetzen, lernt viel für sein ganzes Leben.“

Diese „Lebensschule“, wie er es nennt, gibt es in Kelchsau seit 1965, wohinter eine durchaus faszinierende Geschichte steckt. Denn Rupert Nikolic, der Vater von Edi, war in seiner Jugend ein erfolgreicher Ranggler, eine Art Urform des Ringens, die vor allem im Alpenraum verbreitet ist. Bei seinem Bundesheerdienst in Innsbruck entdeckte er die olympische Art des Ringens und importierte sie in sein Heimatdorf – so wurden aus begeisterten Rangglern erfolgreiche Ringer. Allein zehn Tiroler Landesmeistertitel heimste Rupert ein, bei den österreichischen Staatsmeisterschaften landete er regelmäßig auf dem Treppchen.

Eingeschworene Truppe

Da war es nur logisch, dass auch sein Sohn Edi und mit ihm viele seiner Freunde bald dem Sport verfallen waren, bei dem es in drei Abschnitten á zwei Minuten darum geht, durch spezielle Techniken seinen Kontrahenten mit beiden Schultern auf den Boden zu drücken. „Wir waren damals eine eingeschworene Truppe, die über Jahre zusammengewachsen ist und dadurch zu einer richtig starken Liga-Mannschaft wurde“, erinnert sich Edi. „Klein, aber gefürchtet“ lautete das Motto, mit dem sich der SVK immer weiter nach oben kämpfte und Ende der 80er-Jahre die Nationalliga, also die zweithöchste Klasse des Landes, gewann. „Wir hätten damit das Recht erworben, in der Bundesliga anzutreten“, sagt Nikolic, der in seiner aktiven Karriere insgesamt acht Staatsmeistertitel in verschiedenen Alters- und Gewichtsklassen gewann. 

Der Konjunktiv seiner Aussage verrät, dass es anders kam. Denn das Budget des Klubs gab das Abenteuer Bundesliga einfach nicht her. Außerdem war jedem im Verein klar, dass man es nur mit starken Legionären schaffen kann, auf allerhöchstem Niveau konkurrenzfähig zu sein. „Wir waren aber eine Truppe, die nur aus Burschen aus Kelchsau bestand, dazu noch zwei aus dem Nachbardorf Wildschönau und einer aus Hopfgarten. Da wäre es unsinnig gewesen, unsere Philosophie komplett über den Haufen zu werfen.“

Bei den Tiroler Meisterschaften in Kelchsau holten die jungen Hausherren gleich sechs Medaillen, darunter drei goldene.
Bei den Tiroler Meisterschaften in Kelchsau holten die jungen Hausherren gleich sechs Medaillen, darunter drei goldene. © SV Kelchsau Ringen

Also konzentrierte man sich darauf, was man kann: Kinder und Jugendliche auszubilden und bei Meisterschaften und Turnieren das eine oder andere Highlight zu setzen. Auch wenn das punktuell immer wieder gelang – die erfolgreiche Mannschaft dünnte im Laufe der Jahre immer mehr aus, was auch der starke Nachwuchs nur bedingt kompensieren konnte. Es wurde etwas ruhiger um die einstige Ringer-Hochburg.

Zwar blieb Edi Nikolic, im zivilen Leben mit eigener Firma als Manager im Motorsport-Business tätig, seinem Verein immer verbunden, organisierte Trainings und transferierte aufgrund seiner erfolgreichen Vergangenheit im Ringen viel Know-how in den Klub. Offiziell übernahm er aber erst 2019 die Obmannschaft von seinem Vater Rupert und gab dem SV Kelchsau eine klare Identität. Nämlich die eines Ausbildungsvereins, bei dem junge Athleten darauf vorbereitet werden, bei entsprechendem Talent die nächsten Schritte in ihren Karrieren machen zu können. „Wir können die Leute fit machen, damit sie die Strukturen nutzen können, die der österreichische Ringer-Verband mittlerweile bietet“, nennt es Nikolic. Und adaptiert das frühere Motto von „klein, aber gefürchtet“ auf „klein, aber fein“.

Dass die Raiffeisenbank Hopfgarten im Brixental, die dem Klub seit ewigen Zeiten als treuer Partner verbunden ist, diesen Weg mitgeht, erfüllt Nikolic mit Stolz. Er sieht aber auch klare Parallelen in den Ansätzen: „Es gibt eine starke Image-Affinität“, sagt er. „Hier wie da ist man der Meinung, dass Leistung etwas zählen muss und dass einem die Erfolge nicht einfach in den Schoß fallen, sondern dass man sie sich mit Disziplin und Hartnäckigkeit hart erarbeiten muss.“ Mit dem heute modernen Ansatz, den Leistungsgedanken zu negieren und bei den ersten Enttäuschungen das Handtuch zu werfen, kann er jedenfalls nichts anfangen. „Wenn verlangt wird, dass am Ende immer alle gewonnen haben müssen und es keine Verlierer geben darf – da sind wir nicht dabei!“

Dritte Ringer-Generation

Dabei ist es fast logisch, dass sich unter den talentiertesten der gut 20 Nachwuchs-Ringer auch der Name Nikolic öfter findet. Denn seine Söhne Andre und Paul haben bereits Staatsmeistertitel in ihren jeweiligen Altersklassen abgeräumt und gehören neben Simon Sieberer zu den Aushängeschildern des SV. Erst vor Kurzem hat der 11-jährige Paul sogar ein aus neun Nationen international besetztes U15-Turnier gewonnen – der größte Erfolg des Vereins in der jüngeren Vergangenheit.

Ob Vater Edi davon träumt, aus all diesen jungen talentierten Kämpfern auch wieder eine Liga-Mannschaft zu formen, die an die alten Erfolge der 80er-Jahre anknüpft? Hier hält Nikolic inne – denn er weiß genau, wie hart und steinig die Wege eines Sportlers sein können und wie schwer es in diesem Alter vorherzusagen ist, ob es für eine Laufbahn auf höchster Ebene reicht. Außerdem hat sich bis heute nichts daran geändert, dass es ohne importierte Legionäre aus Osteuropa kaum möglich ist, auf höchster Ebene zu reüssieren. Doch ambitioniert, wie er ist, sagt er dann doch: „Natürlich ist das ein Ziel, aber das wird mit Sicherheit noch dauern. Aktuell konzentrieren wir uns darauf, unsere Athleten in den österreichischen Kader zu bekommen.“

AusgabeRZ44-2024

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