Ein Ich ist zu wenig

Von Tirol aus wird die neue europäische Genossenschaft „Tiim“ Ideen und Menschen verbinden und so den Wandel in eine moderne Arbeitswelt unterstützen.

Screenshot der digitalen Gründungsversammlung von Tiim
(c) Stauder

In Lockdown-Zeiten steht vieles still, aber nicht das Interesse an Genossenschaften. In der Vorwoche wurde in Tirol eine neue europäische Genossenschaft (SCE) gegründet. Die konstituierende Sitzung wurde dabei erstmals rein digital abgehalten, was eigentlich perfekt zur Geschäftsidee der neuen Genossenschaft passt. „Tiim“ ist eine Online-Plattform für Projekte. Eines der zehn Gründungsmitglieder, Florian Stauder, erklärt: „Wir wollen kreativer Zusammenarbeit ein neues Spielfeld bieten. Wenn man ein Projekt realisieren will, dann braucht man drei Dinge: Ideen, Fähigkeiten und (Geld-)Mittel. Unsere Idee ist, die Komponenten aus diesem Dreieck zusammenzubringen.“ Die Gründungsmitglieder sind davon überzeugt, dass große Ideen, die die Welt verändern, immer nur im Team gelingen können. „Wir verbinden Menschen miteinander, die verschiedene Werte und Assets mitbringen“, erklärt Andy Stauder, ebenfalls Gründungsmitglied. Tiim sei das „ultimative Projektstarttool“, das Kreativität und Kooperation fördert. „Es ist eigentlich die Jobbörse von morgen, denn die Arbeit von morgen wird wesentlich autonomer und kreativer sein“, ist Andy Stauder überzeugt. 

Die Plattform soll helfen, Ideen zu verwirklichen. Dass das Gründerteam mehrheitlich aus der Kreativbranche kommt, spiegelt sich auch in den ersten Projekten wider, die angedacht sind. So soll ein Team für die Realisierung eines Musicals zusammenfinden oder ein virtuelles Haus der Geschichte entstehen. Den Projekten sind grundsätzlich keine Grenzen gesetzt, ob es um die Verwirklichung eines Wintergartens oder humanitäre Auslandshilfe geht, alle sind willkommen. „Wie bei einem Textverarbeitungsprogramm, bei dem man jeden Text reinschreiben kann, soll auch Tiim ein Ort sein, an dem man jede Idee verwirklichen kann“, so Andy Stauder. Wie bei anderen sozialen Netzwerken gelten aber natürlich Community-Standards, die gesellschaftsschädliche oder illegale Aktivitäten verhindern sollen. 

Für ein Projekt, eine Person oder ein Team gibt es auf der Plattform auch die Möglichkeit verschiedener Finanzierungsformen, dabei ist – im Unterschied zu herkömmlichen Crowdfunding-Plattformen – die Dezentralisierung der Finanzierung ein Hauptanliegen, also es ist kein Intermediär als eine Art Treuhänder zwischengeschalten, sondern das Geld wird mit Hilfe von Blockchain und Smart Contracts geregelt. Wenn die Zielsumme für ein Projekt erreicht wird, wird das Geld automatisch übertragen, so wie in den Smart Contracts festgehalten. Aber nicht nur die Widmung von Geld für das Zustandekommen einer Idee – das sogenannte Pledging – ist möglich, sondern es gibt auch eine Tipping-Funktion. „Statt einem Like kann man eine kleine Spende abgeben, wenn einen das Projekt begeistert“, so Andy Stauder. 

Vom Teamgedanken leitet sich auch der Name Tiim ab. In der Wortbildmarke symbolisieren die beiden I zwei Personen. Und der Spruch „There is no ‚I‘ in team“, was also bedeutet im Team geht es nicht um das Ich, wurde umgewandelt: „There is more than one ‚I‘ in team“ – also es gibt mehr als ein Ich in einem Team. Der Slogan ist international gehalten, denn immerhin hat man ja eine europäische Genossenschaft gegründet und denkt groß: „Es braucht jedenfalls eine Grundmasse an Usern, damit das Ganze funktioniert. Wenn man das auf europäischer Ebene denkt, dann ist man schnell im Millionenbereich an Usern.“ Inwiefern sich das in Genossenschaftsmitgliedern niederschlägt, da ist man gespannt. Mitglieder werden jedenfalls Vorteile auf der Plattform genießen, deren Funktionen sonst nur in einem Abomodell genutzt werden können. „Es ist jedenfalls eine romantische Überlegung, wenn man eine Genossenschaft mit hunderttausenden Mitgliedern hat, die dann selbst mitbestimmen können, wie sich die Plattform entwickelt. Wenn Millionen Mitglieder bestimmen könnten, wie sich Facebook weiterentwickelt, das wäre schön“, so Florian Stauder. Aber bis es so weit ist, gilt es jetzt mal die technische Grundlagen zu schaffen. In sechs bis acht Monaten sollen die ersten User die Plattform nutzen können. „Wir können es gar nicht mehr erwarten“, so die beiden Brüder, die beide aus der Softwareentwicklung kommen. 

Beste Unternehmensform

Tiim ist Mitglied beim Österreichischen Raiffeisenverband, wo man von der Geschäftsidee schnell überzeugt war, wie die beiden betonen. Zudem ist Andy Stauder auch kein Unbekannter im Sektor, denn 2019 hat er die erste europäische Genossenschaft in Österreich gegründet. Als Geschäftsführer von Read-Coop, ebenfalls mit digitalem Geschäftsmodell, in dem es um die KI-basierte Erkennung historischer Handschriften geht, freut er sich über mittlerweile 70.000 User weltweit und mehr als 100 Mitglieder – darunter auch Institutionen aus Kanada, Brasilien oder Neuseeland. „Die SCE schafft einen rechtlichen Rahmen, der in einem sehr großen überregionalen Raum funktioniert. SCE ist für mich die spannendste Unternehmensform, die auch am besten in unsere Zeit passt“, betont Andy Stauder. Den meisten Mitgliedern vorher nicht bekannt, löste die SCE selbst bei Rechtsabteilungen größerer Institutionen einen Aha-Effekt aus. Mit Tiim wird das Genossenschaftssystem bald noch größere Bekanntheit erreichen.