Benzin im Blut

Werner Müller feierte auf dem Motorrad Erfolge wie kein Zweiter, musste aber auch schwere Rückschläge wegstecken. Heute kümmert sich der Kärntner in erster Linie um den Nachwuchs, kann die Finger aber trotzdem nicht vom Gaszug lassen.

Werner Müller in Action
(c) Wallner

Für Typen wie ihn wurde das Wort „Urgestein“ erfunden. Mit dem Jahr 2020 ging auch Werner Müllers 40. Saison im Motorsport zu Ende. 40 Jahre, in denen der heute 53-Jährige so manches Tief, aber vor allem viele Höhen erlebte. „Wenn ich heute auf meine Laufbahn zurückblicke, muss ich sagen: Ich hatte eine Bilderbuch-Karriere!“ Eine Bilanz, die nicht jeder Profisportler ziehen kann. Und die nicht nur mit nackten Zahlen zu belegen ist, wiewohl die wirklich beeindruckend sind: Acht Europameistertitel, zehn Staatsmeister-Titel (Enduro und Motocross), zwölffacher Internationaler Hallencross-Sieger (Wien, München, Brünn, Zürich), Auszeichnungen zum Motorsportler und Motorradsportler des Jahres. Und das ist nur ein kleiner Auszug aus dem Erfolgskonto.
2017 fasste Müller eigentlich den Entschluss, seinen Helm an den Nagel zu hängen. In einer höchst emotionalen Abschiedsrede verkündete er an seinem 50. Geburtstag: Jetzt ist Schluss. Ein Vorsatz, der genauso lange hielt, bis im Enduro-Weltcup die Seniorenklasse für Über-37-Jährige eingeführt wurde. „Da hat mich dann doch wieder der Ehrgeiz gepackt und ich habe die Ärmel hochgekrempelt“, sagt Müller. Was bedeutet: Einfach nur mitfahren, um dabei zu sein, ist für ihn so spannend wie ein leerer Tank. Er will ganz vorne mitmischen. Und geht dafür auch über Grenzen. Der Lohn: der Vize-WM-Titel hinter dem britischen Haudegen David Knight. Der Preis: diverse Verletzungen zwischen Knöchel und Schulter, die ihm heute bei seinen geliebten Bergtouren zu schaffen machen.

Überhaupt pflasterten schwere Unfälle Müllers Weg. Offene Schienbeinbrüche, Knöchelfrakturen, denen man mit 27 Schrauben beikommen musste, zersplitterte Becken. „Ich hab schon öfter gehört: Jetzt ist es vorbei mit dem Müller, davon wird er sich nicht erholen“, kann er heute darüber lachen. Denn vorbei war es nie mit dem Müller, er kam immer wieder zurück und holte auch dann noch Titel, als die meisten ihn schon abgeschrieben hatten. Nachsatz mit etwas leiserer Stimme: „Auch wenn ich das eine oder andere Mal richtig gelitten habe.“

Pokalfoto von Werner Müller
(c) Müller

Erfahrungen, die einen Menschen stählen. So war es eigentlich eine logische Geschichte, dass er 2015 auf die Idee kam, seinen reichen Schatz an Erlebnissen jungen Fahrern weiterzugeben. „Ich habe gesehen, dass es so viele talentierte Motorsportler in Kärnten gibt, aber niemanden, der sich wirklich um sie kümmert. Da wollte ich etwas zurückgeben.“ Also gründete er das Werner Müller Racing Team (WMRT), das eine gute Mischung aus erfahrenen Haudegen und jungen Wilden darstellen sollte. Eine bis zu 15 Fahrer umfassende Melange, von der alle profitieren sollten. Wobei Müller auch feststellte: „Diesen unbändigen Ehrgeiz, es unbedingt ganz nach oben schaffen zu wollen, haben heute die wenigsten Jugendlichen. Dafür sind die Ablenkungen und die Verlockungen des Lebens zu groß.“

Bei ihm war das anders, für ihn gab es immer nur Motorsport. Als er sich mit zwölf Jahren sein erstes Motorrad für damals 12.000 Schilling kaufen wollte, ging er zu seinem Onkel auf den Bau, „um mir die nötigen Kröten zu verdienen“, wie er sagt. Als dann noch 800 Schilling fehlten, begab er sich in seinem Heimatort Kappel am Krappfeld ins Gasthaus und bot den Stammgästen eine Wette an: 800 Schilling ob er sich traut, sich vor ihren Augen eine Glatze scheren zu lassen. Die Haare kamen ab, was ihm ohnehin wurscht war – unter dem Helm sieht man die Frisur ja nicht.

Ja, eine andere Zeit. Wobei es doch einen jungen Fahrer unter seinen Fittichen gibt, dem er eine ähnliche Karriere wie ihm selbst zutraut. Paul Leitgeb ist zwar erst 12 Jahre alt, aber schon jetzt ein mit vielen Wassern gewaschener Zweirad-Kämpfer. „Er bringt das Talent mit, ich zeige ihm, worauf es beim Rennsport ankommt“, sagt Werner Müller. Und dazu gehört einiges mehr, als nur im richtigen Moment Gas zu geben. Im Winter steht beinhartes Konditionstraining mit Zirkeleinheiten oder Langlaufen auf dem Programm. Um die Maschine richtig zu verstehen, muss auch der Ölwechsel und der Luftfiltertausch beherrscht werden. Und um heute eine Chance zu haben, darf auch das nötige Eigenmarketing nicht vernachlässigt werden. „Der Pauli gibt bessere Interviews als so mancher Profifahrer“, sagt Müller.

Werner Müller gemeinsam mit Nachwuchstalent Paul Leitgeb
Werner Müller gemeinsam mit Nachwuchstalent Paul Leitgeb (c) Privat

Eines treibt ihm aber doch die Sorgenfalten auf die Stirn. Durch Corona war bereits die vergangene Saison massiv beeinträchtigt, und auch aktuell macht es nicht den Anschein, als sei baldige Besserung in Sicht. „Normalerweise wäre unsere Rennsaison schon Ende März gestartet“, sagt der Mann, dessen Overall das Giebelkreuz durch die Partnerschaft mit der Raiffeisenbank St. Georgen am Längsee bereits mehr als 15 Jahre ziert. „Jetzt hoffen wir, dass wir im Juni mit den ersten Veranstaltungen starten können.“ Bitter für sein Team, aber auch bitter für ihn als Rennfahrer, denn er hätte es auch dieses Jahr wieder probiert, in der Seniorenklasse den Thron des Weltmeisters zu erklimmen. „Ich gebe zu, dass so eine Lage für mich als alten Fuchs auch eine psychische Belastung ist. Es nagt, wenn man nicht weiß, wie es in absehbarer Zeit weitergehen kann.“
Eine Situation, die ihn erstmals ins Grübeln bringt. „Vielleicht ist das ja ein Zeichen, dass ich nach so langer Zeit wirklich mal den Hut draufhauen sollte“, sinniert er. „Ich glaube nicht, dass es auf der ganzen Welt viele Rennfahrer gibt, die sich so lange halten.“ Andererseits ist ein Leben ohne Motorgeheul und den Duft von Benzin in der Luft für einen wie Werner Müller kaum vorstellbar. Und der Szene würde etwas abgehen, wenn plötzlich ein Urgestein wie er nicht mehr mit dabei wäre.