Wie lässt sich Advanced Analytics möglichst einfach erklären?
Vjekoslav Bonic: Prinzipiell gibt es drei Dimensionen von Analytics. Die erste ist deskriptiv beziehungsweise beschreibend. Anders gesagt, geht es dabei um den Blick in die Vergangenheit mittels der Analyse von Daten. Dem entspricht die klassische Business Intelligence oder das Reporting. Dafür gibt es eine eigene Abteilung in der RBI. Die zweite Dimension beschäftigt sich mit Voraussagen. Dazu nimmt man die Daten der Vergangenheit, erkennt darin Muster und leitet daraus Aussagen für die Zukunft ab. Mit solchen Berechnungen beschäftigt sich auch der Advanced Analytics & Artificial Intelligence Tribe. Bei der dritten Stufe verschwimmen Voraussagen und künstliche Intelligenz. Dabei kommen sehr komplexe Modelle zum Einsatz, mit denen auch versucht wird, menschliches Verhalten zu simulieren – Stichwort Chatbots.
Wo kommt nun bei der RBI Advanced Analytics und Artificial Intelligence zum Einsatz?
David Eschwé: Im Risikomanagement setzt man schon seit Jahren auf Modelle, um Risiken einzuschätzen, Portfolios zu optimieren, die gewichteten Risikoaktiva richtig zu schätzen und so weiter. Die Machine Learning-Fortschritte der letzten Jahre, die Verfügbarkeit von Open Source Tools und cloudbasierten Lösungen haben aber dazu geführt, auch in anderen Bereichen der RBI auf das Berechnen von Modellen zu setzen: zu Ertragssteigerung, Automatisierung von Prozessen und zur Verbesserung der Customer Experience.
Welche Ressourcen braucht es dazu?
Eschwé: Neben unseren 40 bis 50 Leuten im Tribe braucht es natürlich auch Infrastruktur. Hier fokussieren wir uns auf eine Cloud-Lösung von Amazon Web Services. Das hat den Vorteil, dass man Rechenleistung einfach schnell bestellen kann. Zudem wird im RBI-Konzern Re-Use und Collaboration großgeschrieben, das heißt, wir wollen nicht in Silos vor uns hinarbeiten, sondern datengetriebene Lösungen im gesamten RBI-Netzwerk ausrollen. Das geht mit der Cloud besonders gut. Weiters versuchen wir so gut es geht mit Open Source-Lösungen zu arbeiten. Es ist wirklich verblüffend, wie viel fortgeschrittene Modelle öffentlich verfügbar sind. Darüber hinaus wollen wir diese datengetriebene Kultur in der RBI stärker verankern. Dazu haben wir ein Trainingsprogramm aufgesetzt, das sich an alle Mitarbeiter richtet. Zum Beispiel gibt es einen zweistündigen Einstiegskurs zum Thema Data Science, um den Spaß am Umgang mit Zahlen zu vermitteln. Genauso gibt es auch ein Expertenmodul, das über zwölf Wochen geht und die Kollegen in den Netzwerkbanken zu Data Scientists ausbildet. Man kann nicht Modelle implementieren, ohne die gesamte Organisation mitzunehmen, das ist uns ganz wichtig.
Welche Anwendungsbeispiele gibt es?
Bonic: Ein Klassiker ist „Next Best Offer“. Mit diesem Modell wird versucht vorherzusagen, welches Produkt ein Kunde am wahrscheinlichsten als Nächstes abschließt. Das reduziert unsere Marketingkosten, verbessert aber auch die Customer Experience für den Kunden, weil er nur Produkte angeboten bekommt, die er noch nicht hat.
Eschwé: Man gewinnt alleine dadurch, dass man nur die Kunden anspricht, die man ansprechen muss, damit sie ein Produkt kaufen, dass man die in Ruhe lässt, die sowieso interessiert sind, und dass man die nicht anruft, die nicht angerufen werden wollen.
„Keine Mystik, sondern Algebra“
David Eschwé
Bonic: Sehr stark investieren wir auch in virtuelle Assistenten wie Chatbots. Damit haben Kunden die Möglichkeit, die Bank zu jeder Zeit etwas zu fragen. Das steigert natürlich auch die Customer Experience.
Eschwé: Aber nichts was wir hier machen, ist wirklich „intelligent“. Hinter einem Chatbot steckt keine Mystik, sondern – salopp ausgedrückt – ganz normale Algebra. Nur weil es Artificial Intelligence heißt, heißt es nicht, dass es besonders intelligent ist. Der Mensch muss trotzdem seinen Kopf einschalten, damit er bemerkt, wenn das Modell Blödsinn ausspuckt. Der Mensch bekommt eine Empfehlung, die ihn bei seiner Entscheidung unterstützt, sie ihm aber nicht abnimmt.
Bonic: Die KI aus den Filmen gibt es noch nicht. Oft erwarten die Menschen ein Wunder, wenn sie an uns herantreten.
Gibt es auch Beispiele für den Bereich Automatisierung?
Eschwé: Ein Beispiel aus dem Bereich Trade Finance: Da Garantieanfragen nicht in standardisierter Form und Formatierung bei uns eingehen, haben wir ein paar Modelle gebaut, die in der Lage sind, aus einer Anfrage die relevanten Daten automatisch zu extrahieren. Diese Informationen müssen dann vom Kundenbetreuer nur kurz geprüft werden. So erspart er sich pro Anfrage einiges an Zeit. Es ist durch datengetriebene Lösungen heutzutage nicht mehr notwendig, dass Menschen gewisse Routinetätigkeiten durchführen müssen. Durch unsere Lösungen spielen wir die Kollegen frei, damit sie sich noch besser um ihre Kunden kümmern können.
Bonic: Der Kunde hat letztendlich auch etwas davon, weil die Bank schneller antwortet.
Eschwé: Zeit spielt auch beim Beschwerdemanagement eine Rolle. Wenn einmal etwas schief geht, darf der Kunde keinesfalls lange warten, bis sich jemand um ihn kümmert. Mithilfe von Natural Language Processing, der automatischen Verarbeitung von Text, werden Beschwerden kategorisiert und schneller einer Bearbeitung zugeführt.
Woher kommen die Daten für die Modelle und Lösungen des Tribes?
Eschwé: Die Bank sammelt natürlich durch ihre Tätigkeit -und immer im Rahmen der DSGVO -Daten über ihre Kunden. Zusätzlich gibt es viele öffentliche Datenquellen, wie Open Street Map oder die NASA Wetterdaten.
Bonic: Aber auch Bewertungen in den Appstores oder auch Social Media-Postings und Zeitungsartikel können einfließen -sofern es rechtlich erlaubt und ethisch vertretbar ist.
Eschwé: Wir sind dadurch zwar manchmal langsamer, aber uns ist es wichtig, dass wir alles sauber und gut dokumentiert machen, um am Ende keine Probleme zu bekommen. Wir wollen offen und transparent spielen. Daten sind eine ganz heikle Geschichte.
Würde modernes Banking überhaupt noch ohne Advanced Analytics funktionieren?
Eschwé: Über kurz oder lang nicht, denn die Konkurrenz ist extrem stark. Es gibt innovative Banken und FinTechs, die ständig neue Produkte auf den Markt bringen. Ich glaube nicht, dass man seine Marktposition halten kann, ohne in Daten und Analytics zu investieren.
Bonic: Zudem muss sich kein Start-up mit Altlasten wie etwa alten IT-Systemen beschäftigen, sondern fängt neu an und fokussiert sich von Beginn an auf diese Themen.
Worauf muss man sich im Banking also noch gefasst machen?
Bonic: Es gibt zig Themen. Eines sind sicher die Messenger-Dienste als neue Plattform beziehungsweise als vollautomatischer Zukunftskanal. Dabei geht es wieder um Chatbots und das Verstehen von Text und Stimme. Ein zweites großes Thema ist Quantum Computing, das wird im Banking sicher stark werden.
Eschwé: Im Endeffekt wird es darauf hinauslaufen, dass Bankingleistungen einfach nicht mehr gespürt werden, dass sie immer einfacher und immer mehr integriert werden.