Brezinschek: „Bei den Zinsen ist der Plafond bald erreicht.“

Beim „Business-Frühstück“ der Raiffeisen-Landesbank Steiermark lieferte der Wirtschafts- und Finanzmarktexperte Peter Brezinschek Ausblicke auf zukünftige wirtschaftliche Entwicklungen.

Finanzmarktexperte Peter Brezinschek analysiert aktuelle wirtschaftspolitische Themen.
Finanzmarktexperte Peter Brezinschek analysiert aktuelle wirtschaftspolitische Themen. © Photowerkers.at

Das „Business-Frühstück“ der Raiffeisen-Landesbank Steiermark im Vorfeld des Weltspartages war heuer so gut besucht wie noch nie. Gut 100 Unternehmer folgten der Einladung von Vorstandsdirektor Rainer Stelzer in die Unternehmenszentrale nach Raaba bei Graz. Als Keynote-Speaker referierte der Wirtschafts- und Finanzmarktexperte Peter Brezinschek zum Thema „Lässt Demografie eine tiefere Inflation und Zinsen zu?“ und lieferte Ausblicke auf zukünftige wirtschaftliche Entwicklungen. Bekannt für seine wortgewandten und oft direkten Formulierungen kommentierte auch dieses Mal Brezinschek die immer wieder aufflammende Diskussion zur Demografie spitz: „Das ist wie das Stauchaos nach dem ersten Schneefall: Alle sind super überrascht, obwohl sich der Winter längst angekündigt hat.“

Brezinschek habe vor fast genau einem Jahr im Rahmen dieser Veranstaltung von einer sich ankündigenden Stagflation, sich weiter zuspitzenden Problemen bei Lieferketten und von einem drohenden Fachkräftemangel gesprochen – was laut Stelzer „für die hohe Berechenbarkeit“ des früheren Raiffeisen Research-Chefs spricht. Vorstandsdirektor Stelzer konnte in seinen Begrüßungsworten jedenfalls erstmals seit 15 Jahren das Wort „Zinsen“ in seiner ursächlichen Bedeutung wieder in den Mund nehmen, wie er selbst anmerkte: „Es gibt wieder Zinsen und diese können sich tatsächlich sehen lassen. Jetzt ist ein guter Einstieg für die Geldanlage.“ Besonderen Fokus legte er dabei auf den großen Kapitalstock von täglich fälligen Geldern, die derzeit „in viel zu großem Maßstab ohne Gewinn vor sich hinschlummern“. Rainer Stelzer betonte: „Wir wollen unsere Kundinnen und Kunden so spezifisch wie möglich betreuen und maßgeschneiderte Lösungen in Finanzierung und Veranlagung bieten.“

Herr Brezinschek, wie lange wird aus Ihrer Sicht der begonnene Höhenflug der Zinsen anhalten?
Peter Brezinschek: Ich glaube schon, dass wir nahe dem Plafond sind. Die Notenbanken haben bald keine Notwendigkeit mehr, an der Zinsschraube zu drehen. Die Geldpolitik hat immer eine große Wirkungsverzögerung. Die jüngst gesetzten Maßnahmen werden tatsächlich erst 2024 sichtbar. Außerdem sind die Prognosen zur Inflation weiter nach unten gerichtet. In Österreich rund 4 Prozent bei den Verbraucherpreisen, in der Eurozone sogar etwas tiefer mit einer Drei vor dem Komma. Ein Zinsniveau von 4 bis 4,5 Prozent ist somit durchaus adäquat. Auch in den USA kann ich mir vorstellen, dass es noch maximal eine Zinserhöhung geben wird. – Dort ist die Konjunktur auch viel widerstandsfähiger als in Europa. Aufgrund anderer Wirtschaftsstruktur, tieferen Energiekosten und riesiger Fiskalprogramme ist die US-Konjunktur weit robuster als die Eurozone. Zusammengefasst: Das Zinsniveau von rund 4,5 Prozent in der Eurozone und 5,5 Prozent in den USA wird uns bis Mitte 2024 erhalten bleiben. Dann sind erste vorsichtige Zinsermäßigungen von den Notenbanken möglich. Das hängt aber stark vom Inflationsrückgang ab, denn die Notenbanken sagen, dass sie sehr stark datengetrieben sind. 

Werden höhere Zinsen die Lust auf Aktien im Segment der „Sparer“ spürbar dämpfen?
Brezinschek: Seit einiger Zeit stellen Zinsen im Anleihebereich aber natürlich auch die Sparzinsen eine gewisse Konkurrenz dar, die man bei Aktien nicht gekannt hat. In den vergangenen 15 Jahren waren Aktien konkurrenzlos – nur Immobilien konnten in den Wertsteigerungen mithalten. Sachwerte wie Immobilien und Aktien waren 15 Jahre lang auf der Gewinnerseite. Nun mit der geänderten restriktiven Geldpolitik hat sich das Angebot für den Sparer erweitert. Anleihen sind wieder für mittelfristige Veranlagung und Sparbücher sind wieder zum Parken von Liquidität geeignet. Insgesamt kommt man aber in der längerfristigen Veranlagung an Aktien nicht vorbei, wenn man reale Erträge erzielen will. Daher wird die Attraktivität des regelmäßigen Aktiensparens in Form von Fonds oder Zertifikaten steigen. Auch höhere Zinsen werden hier das Wasser nicht abgraben. Aber die Angebotspalette für den Sparer ist im Vergleich zu den vergangenen 15 Jahren gestiegen. 

Ohne Produktempfehlung: – Mit welcher Veranlagungsgruppe wird man risikoaverse Sparer in den kommenden Jahren gut ansprechen können?
Brezinschek: Das gute alte Sparbuch mit vielleicht 3,5 bis 3,75 Prozent wird wieder an Boden gewinnen und rückt damit in die Nähe von längerfristigen Veranlagungen. Für risikoaverse Sparer sind die höheren Renditen auf dem Anleihenmarkt eine Gelegenheit, sich mit Staatsanleihen oder gut gerateten Unternehmensanleihen zu beschäftigen. Das gab es in den vergangenen 15 Jahren nicht mehr, weil wir aufgrund der Negativzinsen künstlich niedrig gehaltene Renditen hatten. 

Aktuell stehen die KV-Verhandlungen stark im Licht der Öffentlichkeit. Wie lange wird es aus Ihrer Sicht die gewohnte Dramaturgie der Lohnverhandlungen noch geben? 
Brezinschek: Das kommt auf die Sozialpartner an, ob sie bereit sind, jahrzehntealte Traditionen über Bord zu werfen. Mein Vorschlag: Statt in die Vergangenheit, sprich Lohnanpassung der letzten zwölf Monate, in die Zukunft zu schauen, um damit auch die Inflationserwartung stärker zu berücksichtigen. Wenn ich einen Mix mache, aus vergangener und prognostizierter Inflation und daraus einen Durchschnitt bilde, kann viel vorausschauender agiert werden. Die Arbeitnehmer hätten dann den großen Vorteil, bei steigender Inflation schon früher mit mehr Lohn rechnen zu können. Für Unternehmer hat es den Vorteil, dass zu Beginn einer Inflation die Konjunktur noch sehr gut läuft, und höhere Preise leichter überwälzt werden können als in der Phase der erlahmenden Konjunktur – so wie jetzt mit einer Stagflation. Betriebe denken dann eher an Entlassungen, weil sie ihre Produkte nicht mehr absetzen können. 

Gibt es vergleichbare Szenarien, wie sich der Mangel am Produktionsfaktor Arbeit auf Volkswirtschaften auswirkt?
Brezinschek: Es gibt genügend Beispiele, man denke nur an die Gastronomie. Viele Betriebe haben nur noch an vier Tagen geöffnet, weil es kein Personal gibt. Das hat es früher nie gegeben. Der Mangel an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist jeden Tag ganz drastisch zu sehen. Oder man muss nur an die extrem langen Wartezeiten bei Handwerkern denken. Viele Betriebe können keine Aufträge mehr annehmen, weil sie zu wenig Fachleute haben. Arbeitskräfte sind überall zum limitierenden Faktor für unsere Wertschöpfung geworden. Das wird in den kommenden 10 bis 15 Jahren mit der Pensionierungswelle der Babyboomer noch stärker zunehmen. 

Was bedeutet das konkret für die beschlossene Energiewende in Richtung Erneuerbare?
Brezinschek: Ich glaube, hinter dem jetzt vollzogenen Schwenk im Gesetz steckt etwas Realitätssinn. Es gibt aus meiner Sicht nicht die Personalkapazitäten im Handwerksbereich, um diese erforderlichen Maßnahmen – also den Zwangsumtausch von fossilen Heizungen – umzusetzen. Auch für eine PV-Anlage muss man bis zu einem Jahr warten. Dazu kommen noch fehlende Rohstoffe und lange Lieferzeiten. Das ist ein ernstes Problem zur Erstellung des Dienstleistungs-, Güter- und Warenkorbes. Das kann nur durch noch intensivere Automatisierung und Digitalisierung gelöst werden. 

Wie sehen Sie die Entwicklung bei den Energiepreisen?
Brezinschek: Diese ist bei Strom und Gas aus meiner Sicht recht positiv. Wenn jetzt zum Beispiel die Liftbranche vor Beginn der Wintersaison mit Preissteigerungen von 10 bis 15 Prozent mit höheren Energiekosten argumentiert, dann rechnen die mit scheinbar völlig uninformierten Kunden. Das ist nur peinlich und falsch. 

Was ist für Sie das wirkmächtigste Instrument, um mehr Menschen in der Beschäftigung zu halten bzw. in Beschäftigung zu bringen?
Brezinschek: Es ist ein Bündel von Maßnahmen. Der Faktor Arbeit ist zu hoch belastet. Gar nicht so sehr in den unteren Einkommenskategorien. Es geht um den viel zitierten Mittelstand. Es geht darum, dass wir eine Flat-Tax bis weit in den Mittelstand ziehen müssen, bei Einkommen bis etwa 50.000 Euro pro Jahr – erst dann sollte die Progression wirken, um einen höheren Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Damit würde auch die Diskussion rund um die Teilzeitarbeit wegfallen, weil sich Mehrarbeit prozentuell wieder mehr lohnen würde. 
Zweiter Punkt ist die Pensionsreform: Das Umlageverfahren soll die wichtigste Säule bleiben, aber um ein Kapitalansparmodell ergänzt werden. Die Risiken der Pensionszahlungen sollen auf die Wertschöpfung der gesamten Welt ausgedehnt werden, wenn in globale Aktien veranlagt wird. Der Wertschöpfungsbeitrag würde viel breiter sein, auch für künftige Pensionsansprüche. Schweden, die Niederlande, Norwegen oder das Vereinigte Königreich, um nur einige zu nennen, machen das. Das ist nichts Böses, ganz im Gegenteil – man partizipiert an großen Wirtschaftsräumen und macht sich unabhängiger von der demografischen Entwicklung.
Neben der Anpassung des Pensionsalters an die Lebenserwartung sollen auch mehr Jugendliche in den Arbeitsprozess integriert werden – auch jene in der Hochschulausbildung. Vielleicht ist die duale Ausbildung im Lehrberuf ein Role-Model für die Hochschulen. Wer während des Studiums Berufspraxis sammelt, gewinnt ungemein viel Erfahrung und verliert falsche Vorstellungen von der künftigen Tätigkeit.