ESG Investment Day: Geopolitik rückt in den Fokus

Die Nachhaltigkeits-Euphorie ist erstmals vorbei, das wurde beim „ESG Investment Day“ der Raiffeisen KAG deutlich. Geopolitische Entwicklungen rücken bei institutionellen Investoren in den Fokus.

Grüne Transformation, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft waren in den vergangenen Jahren die Kernthemen bei Nachhaltigkeitsveranstaltungen. Doch diese Themen werden momentan von geopolitischen Konflikten überlagert. Auch der diesjährige „ESG Investment Day“ der Raiffeisen KAG fokussierte auf geopolitische Entwicklungen und analysierte deren Auswirkungen auf die Kapitalmärkte. 

Ein Bild über die derzeitige Kriegslage skizzierte Militäranalyst Franz-Stefan Gady, der auch die Ursachen für „Die Rückkehr des Krieges“, so lautet der Titel seines aktuellen Buches, erklärt: „Die Kriege in der Ukraine und in Nahost sind ein Symptom einer sich seit Jahrzehnten anbahnenden Zeitenwende.“ Gady führt den aktuellen „größeren geopolitischen Umwälzungsprozess“ auf individuelle, technologische und strukturelle Fehleinschätzungen zurück. 

Die individuelle Fehlkalkulation: „Wir haben in Europa vergessen, warum Kriege eigentlich ausbrechen und haben auch seit 1945 keine strategische Kultur entwickeln müssen.“ Europa habe sich in der falschen Sicherheit gewogen, Konflikte stets auf diplomatischer Ebene lösen zu können und dabei die Verteidigungspolitik vernachlässigt. „Deshalb fehlt uns das Wissen, wie wir mit militärischen Konflikten umgehen“, betont Gady und rät zu einer Balance zwischen Verteidigungs- und Außenpolitik. Für den Militäranalysten ist nämlich klar: „Die Entscheidung über Krieg ist niemals rational.“ Es gehe um Ehre, Furcht oder gesamtstaatliche Interessen, die nicht immer außenpolitisch lösbar sind. 

Zeitalter der Nachfolgekriege

Durch den technologischen Fortschritt nehmen die Eskalationsrisiken zu und man glaube, Kriege mit Präzisionswaffen oder im Cyberraum schneller zu gewinnen. „Das ist ein Trugschluss“, berichtigt Gady. So habe etwa Israel selbst durch ein KI-unterstütztes Abhörsystem den Angriff der Hamas am 7. Oktober des Vorjahres nicht verhindern können. „Technologie kann strategisches Denken nicht ersetzen“, bringt es der Militärexperte auf den Punkt. 

Zusätzlich haben Fehlkalkulationen auf struktureller Ebene zur Rückkehr des Krieges geführt. „Das Hauptproblem ist, wenn die USA nicht mehr gewillt sind, Weltpolizei zu spielen, dann kann es zwar zu einem Waffenstillstand kommen, aber das Risiko von Nachfolgekriegen ist groß“, analysiert Gady. Das Zeitalter der Nachfolgekriege sei bereits angebrochen, die Herausforderung dabei: „Die Intensität bei Nachfolgekriegen nimmt zu, das zeigt die Geschichte.“ Gadys Conclusio: „Es braucht einen Strategiewechsel in den Köpfen. Es braucht wieder ein Grundverständnis für Militärregeln – von der Abschreckung bis zur Deeskalation.“ 

Jens-David Lehnen, Leiter Institutionelles Geschäft Österreich, begrüßte zahlreiche Kunden in der Sky Lounge der RBI, die die Gelegenheit nutzten, sich mit den Experten – unter anderem mit Michael Schmid, der Geschäftsführung der Raiffeisen KAG, Michal Kustra, Hannes Cizek und Dieter Aigner, sowie Hannes Mösenbacher – auszutauschen.
Jens-David Lehnen, Leiter Institutionelles Geschäft Österreich, begrüßte zahlreiche Kunden in der Sky Lounge der RBI, die die Gelegenheit nutzten, sich mit den Experten – unter anderem mit Michael Schmid, der Geschäftsführung der Raiffeisen KAG, Michal Kustra, Hannes Cizek und Dieter Aigner, sowie Hannes Mösenbacher – auszutauschen. © Raiffeisen KAG/Sabine Klimpt

Drehbuch für Ungreifbares 

Ein Umdenken haben die multiplen Krisen der vergangenen Jahre auch bei Banken herbeigeführt: Auch hier wird dem Risikomanagement nun öffentlich mehr Beachtung geschenkt. „Spätestens mit der Pandemie wurde klar, Risiko ist extrem komplex geworden“, erinnert Hannes Mösenbacher, Risikovorstand der Raiffeisen Bank International. Ein „Playbook“ für verschiedene Krisenszenarien dient der RBI seither zur Vorbereitung. So ein Drehbuch wurde auch für den Fall geschrieben, dass die Ukraine, Russland und Belarus „defaulten“, also für die RBI wegfallen. Momentan beschäftigt sich Mösenbacher mit der Risikobeurteilung von Gewerbeimmobilien, dabei gelte die einfache Regel: „Risiko ist die Abweichung von erwarteten Zahlen.“ Der Risikovorstand verfolgt dabei die 3-M-Regel: M wie messen, monitoren und managen. 

Das Risikomanagement beschäftigt sich immer mit der Zukunft und Prognosen sind bekanntlich schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. „Trotz aller Bemühungen muss man sich eingestehen, dass Risikomanagement nicht alles leisten kann. Aber wir versuchen das Ungreifbare irgendwie greifbar zu machen“, erklärt Michael Schmid, Leiter Risikomanagement bei der Raiffeisen KAG. Das Risiko in einem Portfolio will Schmid deshalb nicht mit Zahlen bewerten, sondern das Verständnis schaffen, wie Risiken – auch ESG-Risiken – hineinwirken können. 

Positive Marktprognosen

„ESG ist extrem von politischen Entscheidungen und Regulierungen abhängig. In Zeiten geopolitischer Rivalität zwischen den USA und China geht es auch um die Technologieführerschaft im ESG-Bereich“, beruhigt Raiffeisen-Chefanalyst Gunter Deuber die nachhaltigen Anleger. Also selbst wenn die Nachhaltigkeits-Euphorie erstmals vorbei ist, bedeute die Wiederwahl von Donald Trump nicht das Ende von ESG, denn Energieunabhängigkeit sei ein geostrategisches Kerninteresse. 

Auf den Aktienmärkten erfordere die aktuelle Gemengelage eine erhöhte Wachsamkeit, so Deuber, aber Raiffeisen Research ist für 2025 durchaus positiv gestimmt. Nach einem „soliden“ Aktienmarktjahr 2024 werde die Wirtschaftspolitik von Trump die Märkte weiter beflügeln und eine Rezession in den USA dürfte abgewendet sein. Allerdings hat Raiffeisen Research die Wirtschaftsprognosen für die Eurozone aufgrund von drohender Handelszölle nach unten revidiert. Die Eurozone dürfte mit 1,2 Prozent in 2025 und 1,2 Prozent in 2026 unter dem Potenzialwachstum bleiben. Aufgrund einer „geopolitischen Schwäche Europas“ werde ein „Dealmaking“ mit dem neuen US-Präsidenten sicher nicht so einfach wie früher, so Deuber. 

Mit einem positiven Kapitalmarktjahr 2025 rechnen auch die Experten der Raiffeisen KAG. Für Karin Kunrath, Chief Investment Officer, und ihren Stellvertreter Kurt Schappelwein, Leiter Multi Asset Strategien, sprechen viele Argumente für eine positive Entwicklung der Anleihen- und Aktienmärkte: Langsames Wirtschaftswachstum, niedrige Inflation und sinkende Leitzinsen. Die Risikostrategie im Fondsmanagement gelte es aber weiterhin zu beachten: „Keine überteuerten Assets kaufen, gute Diversifikation und auf Risikoevents richtig reagieren.“ 

AusgabeRZ49-2024

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