Raiffeisen Research sieht Trendwende am Horizont

Die österreichische Wirtschaft sollte 2024 aus dem Konjunkturtief kommen und in einen moderaten Wachstumsmodus wechseln, analysiert Gunter Deuber, Leiter von Raiffeisen Research. Von der Politik sollte der Fokus verstärkt auf die Wettbewerbs­fähigkeit gelegt werden, rät der Ökonom.

Grafik zur Konjunkturentwicklung 2024
Quellen: IHS; Raiffeisen Research

2024 dürfte die österreichische Wirtschaft nach dem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 0,7 Prozent in diesem Jahr wieder Tritt fassen und ab dem Frühjahr eine moderate Wachstumsphase beginnen. Raiffeisen Research senkte zwar zuletzt die Konjunkturprognose für 2024 von 0,6 Prozent auf ein geringfügiges BIP-Plus von 0,2 Prozent. „Wir haben das Schlimmste aber hinter uns. Die aktuelle Rezession fühlt sich nicht ganz so wie eine Rezession an, weil wir vor allem im Industriebereich in der jüngeren Vergangenheit sogar tiefere Rezessionen hatten. Das kommende Jahr wird aber das schwächste Wachstum abseits von Krisenjahren der letzten Jahrzehnte bringen. Erst 2025 sollte die Konjunktur mit 1,4 Prozent Plus wieder etwas stärker in die Gänge kommen“, erklärt Gunter Deuber, Leiter von Raiffeisen Research. Damit sind die Raiffeisen-Experten bei ihrer Konjunktureinschätzung vorsichtiger als die Oesterreichische Nationalbank (OeNB), die für 2024 mit einem BIP-Plus von 0,6 Prozent eine etwas stärkere Wirtschaftsdynamik prognostiziert.

„Das Thema ,Inflation frisst Wachstum’ ist nach wie vor virulent“, so Deuber. Für 2023 wird eine Jahresinflation von 7,7 Prozent erwartet, die 2024 auf 3,9 Prozent sinken sollte. Dass die Inflationszahlen zurückgehen, sei grundsätzlich positiv. Je länger die weiterhin relativ hohe Inflationsentwicklung andauere, desto höher werde der konjunkturelle Preis dafür. „In jenen Wirtschaftssektoren, wo die Preise stark erhöht wurden, ist keine reale Wertschöpfung vorhanden“, warnt Deuber unter Hinweis vor allem auf die Hotellerie, Gastronomie und den Handel. Der Wintertourismus sollte 2023/24 allen Anzeichen nach noch relativ gut verlaufen. Allerdings könnten die Preissteigerungen den Sommertourismus im kommenden Jahr unter Druck setzen. Zudem können Dienstleistungsbereiche wie der Tourismus ihre Produktivität etwa über Automatisierung kaum steigern.

Nicht zu unterschätzen sei der weiterhin beträchtliche zinsseitige Gegenwind für die Konjunktur – das bremse insbesondere die zinssensitiven Sektoren wie die Bauwirtschaft und die Investitionen. So dürften die Bauinvestitionen 2024 das dritte Jahr in Folge schrumpfen – diesmal um 3 Prozent im Jahresvergleich. Diesen Rückgang müsse man aber auch mit der im Vorjahr beginnenden Korrektur des Immobilienzyklus sehen, der fast zwei Jahrzehnte anhielt und damit einer der längsten in Europa war, betont Deuber. Besser, wenn auch nicht rosig, sehe die Situation bei den Ausrüstungsinvestitionen (-0,4 Prozent) und den Bruttoanlageinvestitionen (-0,1 Prozent) aus. 

Rückkehr der Konsumlaune

Auch wenn dieser Wirtschaftszyklus immer wieder für Überraschungen gut war, sei das von den Notenbanken angestrebte Szenario einer „sanften Landung“ der Wirtschaft nach dem Boomjahr 2022 diesmal durchaus wahrscheinlich. So dürfte sich etwa der Konsum, der heuer mit einem Rückgang von 0,5 Prozent in Österreich noch eine Konjunkturbremse war, 2024 erholen und dank der realen Einkommenszuwächse um 0,8 Prozent zulegen. „Das ist aber nicht wirklich prickelnd“, kommentiert der Ökonom diese verhaltene Trendwende. Um einen „massiven Rückpralleffekt“ zu erzielen und so die Wirtschaft anzutreiben, müsste zumindest ein Konsumwachstum um den langjährigen Schnitt von 1,3 bzw. 1,4 Prozent erfolgen. 

Von der Exportwirtschaft und der Industrie erwartet sich Deuber nur einen moderaten Konjunkturimpuls, der 2024 etwas über dem heurigen Jahr liegen sollte. Insgesamt sei auch die internationale Wirtschaftsentwicklung weiterhin herausfordernd. In Zeiten der Lieferkettenprobleme seien viele Industriebetriebe von einer „Just-in-time“-Produktion zu einer „Just-in-case“-Lagerhaltung übergegangen. Die Lager seien also voller als normalerweise üblich, was neben dem schwachen wirtschaftlichen Umfeld zusätzlich auf den Neubestellungen und letztendlich auf der Produktion laste. Darüber hinaus gebe es kaum Anzeichen dafür, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine beendet werden könnte. Und die Entwicklung der wichtigsten Wirtschaftsnationen wie den USA, China und Deutschland werde in Summe nicht deutlich besser werden als heuer, auch wenn sich im Jahresverlauf 2024 eine gewisse Dynamik abzeichne. Eine wirtschaftlich stärkere Erholung dürfte erst mittelfristig erfolgen.

Standortpolitik gefragt

In der österreichischen Wirtschaftspolitik vermisst Deuber das Bewusstsein für die notwendige Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit: „Wir müssen uns endlich einmal damit auseinandersetzen, dass wir Standortpolitik betreiben müssen. Es muss das Eingeständnis kommen, dass wir so nicht einfach weitermachen können, sonst bekommen wir ein Standortproblem“, mahnt der Raiffeisen-Experte. Dazu gehöre auch die Entwicklung am Arbeitsmarkt, die einerseits von einer Arbeitskräfteknappheit und andererseits einer geringeren Arbeitsleistung gekennzeichnet sei, die die Produktivität drücke. Der Fokus sollte daher auf eine qualifizierte Zuwanderung gelegt werden, was im kommenden Jahr aufgrund der Nationalratswahlen in Österreich sicherlich nicht einfach sein werde.

Dennoch sei das Thema gerade für den Wirtschaftsstandort wichtig, zumal eine Zuwanderung etwa aus Zentral- und Osteuropa in den Arbeitsmarkt kein Selbstläufer sei, weil auch die Arbeitsmärkte dort bereits eng seien. Darüber hinaus erweisen sich die steigenden Reallöhne in Österreich „zugleich als Fluch und Segen“. Denn der kurzfristige Konjunkturimpuls in Form des steigenden Konsums werde mittelfristig unter anderem durch einen Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit „erkauft“ – was die langfristigen Wachstumsaussichten dämpfe.

Wieder gutes Bankenjahr

Die österreichischen Banken haben in diesem konjunkturellen Umfeld weiterhin „solide Ertragsperspektiven“, auch wenn es die Rekordgewinne, die man heuer erzielt habe, so nicht geben werde, betonte der Raiffeisen-Research-Analyst und ergänzt: „2024 wird ein weiteres Jahr sein, in dem Banken gut verdienen werden.“ Die Entwicklung sollte vor allem klassische Filialbanken wieder begünstigen, die einen besseren Zugang zu Kundengeldern und damit auch zu Refinanzierungen haben als etwa Onlinebanken, die sich bei den Konditionen bereits „massiv überbieten“. Die Finanzierung am Markt sei für österreichische Kreditinstitute gut möglich, auch wenn es zulasten der Marge gehe. Der Anstieg der Insolvenzen sei bisher nicht beunruhigend, da es noch immer viele aufgeschobene Fälle aus der Vergangenheit gäbe und hier ein gewisser Aufholprozess von noch relativ niedrigem Niveau erfolge.

Von der Geldpolitik erwartet sich Deuber keine großen Veränderungen. Raiffeisen Research rechnet 2024 mit zwei Zinssenkungen von je 25 Basispunkten und damit in Summe deutlich weniger als der Markt (125 Basispunkte). „Die Geldpolitik bleibt weiter restriktiv, der Gegenwind wird etwas schwächer. Einen Rückenwind für die Konjunktur sehe ich aus den Zinssenkungen aber noch nicht“, fasst der Experte zusammen. 

Für den Kapitalmarkt sei es allerdings „ein sehr schönes Szenario“, weil sich ein längerer Zinszyklus nach unten abzeichne. Auch 2025 dürften die Zinsen weiter fallen. Viele institutionelle Investoren haben in der Hochzinsphase sehr hohe Cash-Positionen in den vergangenen Monaten gefahren, was bei der hohen Verzinsung vor allem am kurzen Ende nachvollziehbar sei. „Je mehr sich abzeichnet, dass die Zinssenkungen kommen, desto mehr wird es zur Umverteilung von den hohen Cash-Positionen in Kapitalmarktprodukte kommen“, ist Deuber überzeugt. Ein größerer Anteil dürfte dabei aber in die aktuell attraktiven Anleihen fließen. „Die guten Aktienbewertungen sind für Aktien zwar ein gewisses Sicherheitsnetz nach unten, aber eigentlich positiv muss man für Anleihen sein, mit denen man aus institutioneller Sicht mit durchaus um die 7 Prozent rechnen kann“, so Deuber.