„Vertrauen beginnt mit Sympathie“

Wilfried Thoma ist mit 27 Jahren Funktionär geworden. Seine Laufbahn als Eigentümervertreter endet nun nach 37 Jahren, davon 18 Jahre als Aufsichtsratspräsident der Raiffeisen-Landesbank ­Steiermark. Da gibt es viel zu erzählen.

Wilfried Thoma im Gespräch
Wilfried Thoma im Abschiedsinterview (c) RZ/Sabine Klimpt

Eines Ihrer Leitmotive ist, das Gemeinwohl vor das Meinwohl zu stellen. Sollten Sie demnach nicht noch eine Periode anhängen?
Wilfried Thoma: Grundsätzlich ist das mein Leitspruch, aber wir haben bei Raiffeisen eine Altersklausel in den Statuten und das macht auch Sinn, damit wir keine Gesellschaft von überalterten Funktionären werden. 18 Jahre als Präsident, das ist eine lange Zeit. Wenn man bis jetzt seine Ideen nicht verwirklicht hat, dann wird man es in den nächsten Jahren auch nicht schaffen. 

Wie gut konnten Sie Ihre Ideen verwirklichen?
Thoma: Ich wurde 2003 der erste hauptberufliche Aufsichtsratsvorsitzende und zwei Jahre später wurde die Landesbank zur Aktiengesellschaft, um am Kapitalmarkt leichter an Geld zu kommen. Das war ein Bestreben von meinem „Genossenschaftsvater“ Gerhard Doppelhofer, meinem ersten Generaldirektor. Das war natürlich eine große Herausforderung. Der zweite Eckpfeiler war der Um- und Neubau der RLB-Zentrale in Raaba. Nachdem ich ja Techniker bin, war es mir wichtig, den Energieverbrauch und die Betriebskosten so gering wie möglich zu halten. Mit über 200 Tiefbohrungen zur effizienten Kühlung ist das auch gelungen und es ist ein schönes Zentrum entstanden. Das Wesentlichste zum Abschluss war die Fusion mit der Hypo. Begonnen 1998 mit dem ersten Anteil der Hypo ist es Generaldirektor Martin Schaller 2018 gelungen, die restlichen Anteile von der Landesregierung zu übernehmen. Die Verschmelzung wird heuer im September abgeschlossen, dadurch entsteht eine Landesbank mit bald 20 Milliarden Bilanzsumme, das ist schon ein ordentlicher Dampfer. 

Wie prägend war die Finanzkrise 2008?
Thoma: Die strengeren Eigenkapitalvorschriften durch die Bankenkrise haben natürlich zu Schwierigkeiten geführt, weil wir ein wenig eigenkapitalschwach waren. Schließlich haben wir in der Steiermark einen Eigenmittelverbund und einen Kapitalverbund geschaffen. Mit gezielten Maßnahmen versuchen wir Eigenkapital schonend zu arbeiten und Eigenkapital aufzubauen. Das war sehr erfolgreich und stärkt unsere Eigenständigkeit enorm. Der Verbund wird aber jedenfalls bleiben und wurde jetzt auch in die Einlagensicherung der österreichweiten Raiffeisenbankengruppe übersetzt. 

Raiffeisen Steiermark hat in den vergangenen Jahren auch intensiv an der Struktur gearbeitet. 
Thoma: In einer Phase der Niedrigzinsen verdient man im Zinsgeschäft nichts mehr, deshalb kann man nur versuchen, den Aufwand zu reduzieren. Das gelingt durch Verschmelzungen und größere Einheiten. Wie ich gestartet habe, waren es 94 Raiffeisenbanken. Derzeit sind es 48. Das hat natürlich einen Effekt auf die Cost/Income-Ratio und hat uns bei der Kapitalbildung geholfen. Auch das Regulatorium lässt uns in größeren Einheiten denken. Wir haben jetzt eine durchschnittliche Bilanzsumme der Raiffeisenbanken bei knapp 330 Millionen Euro. Wichtig ist, dass wir keine große Spreizung haben, denn es hilft uns nichts, wenn wir Raiffeisenbanken in der Primärebene mit über einer Milliarde und Raiffeisenbanken mit 70 Millionen Bilanzsumme haben. Wir versuchen, die Bandbreite sehr eng zu halten. Hoffentlich gelingt das auch meinem Nachfolger.

Die Umstrukturierung ist also noch nicht vorbei?
Thoma: Durch die Pandemie gibt es etwas weniger Fahrtwind, aber natürlich stehen noch Verschmelzungen und Bereinigungen an. Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Ich könnte mir vorstellen, dass es in fünf bis zehn Jahren nur mehr 30 Raiffeisenbanken sind. 

Wenn alle Raiffeisenbanken ungefähr gleich groß sind, geht da nicht die Vielfalt von Raiffeisen verloren?
Thoma: Diversität ist durch die Regionen gegeben. Es gibt Wirtschaftsregionen, die relativ groß sind, wo auch die Raiffeisenbank entsprechend gewachsen ist, um die Kunden regional bedienen zu können. Früher hat es Talschaften gegeben, die nun zu Regionen geworden sind,  wo bestimmte Schwerpunkte gesetzt werden. Raiffeisen hat sich gut angepasst und an den Regionen orientiert. Regionalität hat – das sieht man jetzt auch in der Pandemie – große Zukunft. 

„Selbstständigkeit heißt nicht, alles selbst zu machen.“

Wilfried Thoma

Gibt es Themen und Bereiche, wo Sie sich mehr Gestaltungskraft gewünscht hätten? 
Thoma: Die Vielfältigkeit, die wir leben, und die Selbstständigkeit der Raiffeisenbanken sind schon eine Herausforderung. Die Autonomie der Raiffeisenbanken kann man nicht einschränken und wollen wir auch nicht. Aber ich sehe schon einen Mangel in der Kooperation, weil in der Zusammenarbeit kann man doch wesentlich mehr Kosten einsparen. Da ich selbst praktizierender Landwirt bin, nenne ich hier immer das Beispiel Maschinenring: Wenn der Nachbar eine größere, bessere, schnellere Maschine hat und auch kostengünstiger arbeitet, warum sollte ich das Angebot nicht annehmen? Bei Raiffeisen kann man in der Kooperation noch viel mehr machen. Selbstständigkeit heißt nicht, alles selbst zu machen. Selbstständigkeit kann man mit gutem Betriebsergebnis und mit einem guten EGT sichern, dort sollte man den Schwerpunkt setzen. Ich glaube, dass man hier noch viel stärker kooperieren kann, um Kosten einzusparen. 

Gibt es diesen Kooperationswillen auf Landesebene oder auch auf Bundesebene?
Thoma: Beides. Es gibt ja diese Kooperationsgenossenschaft der Landesbanken und auch dort läuft die Kooperation von Jahr zu Jahr besser.

Sie sind mit 27 Jahren Funktionär geworden. Wie gut gelingt es Raiffeisen heute, die Jugend für die Funktionärstätigkeit zu begeistern? 
Thoma: Es gibt den Grundsatz, dass der Funktionär in der Wirtschaft und Gesellschaft anerkannt sein soll. Als 25-Jähriger hat man wirtschaftlich kaum Anerkennung. Das muss man zur Seite schieben und hergehen, dass man die Jugend mit modernen Themen munter macht und sagt, Raiffeisen lebt Nachhaltigkeit, das ist für uns auch eine Verantwortung, die wir mittragen wollen. Man muss auch beginnen, den Funktionären quasi einen Vorschuss zu geben, wenn man weiß, das derjenige schon etwas zu Wege gebracht hat und eine vernünftige Einstellung hat, die zu den Werten von Raiffeisen passt.

Der wirtschaftliche Erfolg sollte also keine Voraussetzung mehr sein?
Thoma: Ich bin mit 27 Jahren Funktionär geworden, habe da allerdings schon sechs Jahre gearbeitet und Wildfutter produziert. In diesen Jahren hat man gesehen, ich habe interessante Ideen. Und von Betrieben, die fortschrittlich wirtschaften, kann ja auch Raiffeisen profitieren. Ausgewählte Menschen, die in der Gesellschaft anerkannt sind, damit entwickelt man sich weiter. Aber trotzdem hat Raiffeisen ein bisschen den Status des Verstaubten, obwohl das Thema der Genossenschaft eigentlich aktueller denn je ist. Man sollte mehr Vertrauen in der Jugend haben und mehr Themen für die Jugend bringen, das ist schon wichtig. Ein Unternehmen sollte auch von jungen Funktionären geführt werden, das gibt einen anderen Touch. Wir haben bei Raiffeisen nächstes Jahr das Motto der Jugend und starten eine große Offensive, das ist ein guter Weg. Natürlich müssen die Älteren auch bereit sein, Platz zu machen und loszulassen.

Sie haben die Raiffeisen-Werte schon angesprochen. Welcher ist Ihnen der Liebste?
Thoma: Demut. Die kurzfristigen Erfolge sollen keine Blüten treiben, sondern das langfristige Denken, um ein Unternehmen auf Generationen auszurichten. Und dazu gehört halt, das Meinwohl hinter das Gemeinwohl zu stellen. Das langfristige Denken ist die Wurzel von Raiffeisen.

Was werden Sie in der Pension am meisten vermissen?
Thoma: Die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet. Aber andererseits beginnt das nächste Kapitel. Loslassen ist nicht meine Mentalität, aber jetzt habe ich es gut verarbeitet und freue mich auf den neuen Lebensabschnitt.