„Geschlechterparität ist noch lange kein Selbstläufer“

Gleichstellung von Frau und Mann sowie Einkommenstransparenz sind in Österreichs Unternehmen noch in weiter Ferne. Ein breites Maßnahmenbündel kann die Karrierechancen für Frauen verbessern, aber es braucht Zeit, wie man auch bei Raiffeisen sieht.

Obwohl die Vorteile diverser Teams seit Jahren bekannt sind, ist Chancengleichheit in Österreichs Unternehmen vielfach noch nicht angekommen, wie eine aktuelle Deloitte-Umfrage zum Weltfrauentag zeigt. In Sachen Gleichstellung treten die Unternehmen nach wie vor auf der Stelle, denn weder der Frauenanteil in den obersten Führungsebenen steigt, noch wird sich der Gender-Pay-Gap in naher Zukunft schließen.

„Fast die Hälfte der Unternehmen plant derzeit keine Erhöhung des Frauenanteils in den obersten Führungsetagen. Ein Fünftel beklagt in diesem Zusammenhang zudem einen Mangel an qualifizierten Frauen“, hält Elisa Aichinger von Deloitte Österreich fest. „Die Führungsebenen in der österreichischen Wirtschaft sind seit jeher klar männlich dominiert. Und die Umfrageergebnisse legen keine baldige Änderung dieser Situation nahe.“ 

Mit diesen Erkenntnissen reiht sich die Deloitte-Studie in die Reihe weiterer Analysen ein, die den großen Aufholbedarf hinsichtlich Geschlechterparität deutlich machen. Das Weltwirtschaftsforum beispielsweise hat kürzlich berechnet, dass es bis zur vollständigen Gleichstellung von Frauen und Männern noch über 130 Jahre dauern wird. Generell scheint die Bedeutung von Gleichstellung mit der Unternehmensgröße zu steigen.

Frauen in Führung

Bei Raiffeisen Österreich sieht man immer mehr Frauen in den Führungsetagen, seit kurzem gibt es auch die erste Geschäftsführerin in einer Lagerhausgenossenschaft. „Wir wünschen uns natürlich einen schnelleren Anstieg, aber man muss auch die Fortschritte der letzten Jahre in der Raiffeisen-Bankengruppe hervorheben: Wir haben in der RBI und im Großteil der Raiffeisenlandesbanken Frauen in den Vorstands- bzw. Geschäftsleitungsetagen etabliert und wir konnten seit 2014 die Funktionärinnen-Quote von 8,5 auf 23 Prozent steigern“, berichtet Bettina Kastner, Personalleiterin im Österreichischen Raiffeisenverband und Koordinatorin des Funktionärinnen-Beirats.

Die Förderung von Frauen in der Führung ist auch ein bundesweites Fokusthema der Diversitätsstrategie der Raiffeisen Bankengruppe Österreich, die im Vorjahr beschlossen wurde. Kast­ner weiß: „Geschlechterparität ist noch lange kein Selbstläufer. Wir haben noch viel zu tun, dass wir von einer Selbstverständlichkeit ausgehen können.“

Vielfältige Maßnahmen sind notwendig, um die Rahmenbedingungen für Frauen attraktiver zu gestalten: Beginnend beim Recruiting-Prozess mit neutral formulierten Stellenausschreibungen bis zu objektiven Auswahlprozessen und divers besetzten Auswahlgremien. Flexible Arbeitsbedingungen, individuelle Arbeitszeitmodelle und ein strukturiertes Karenzmanagement zur Verbesserung des Wiedereinstiegs sind ebenfalls entscheidend, um Frauen vor der ewigen Teilzeitfalle zu schützen, so ­Kastner: „Wir wissen alle, dass Kinderbetreuung und Care-Betreuung von Eltern und Großeltern vorwiegend von Frauen geleistet wird und darin eine Ursache für geringere Karrierechancen liegt. Hier sind wir als Arbeitergeber gefordert, um den Frauen einen baldigen Umstieg von Teilzeit auf Vollzeit zu ermöglichen.“

Ein bedeutender Aspekt sei dabei auch, den Frauen den gravierenden Unterschied der zukünftigen Pension zwischen langer Teilzeit und Vollzeit zu verdeutlichen. Weiters geht es darum, weibliche Talente mit Mentoring-Programmen zu fördern, Karrierepfade und Entwicklungspläne aufzuzeigen sowie weibliche Top-Führungskräfte vor den Vorhang zu holen, um anderen Frauen Mut zu machen. „Die gute Nachricht, all diese Maßnahmen setzen wir in den Unternehmen schon um“, berichtet Kastner. 

Erfolgreiche Vernetzung

Starke Impulse liefern auch Frauennetzwerke, die bei Raiffeisen in fast allen Bundesländern existieren – wie Treffpunkt:Amalie in Salzburg, Frieda in Tirol, Trauu:di in Vorarlberg oder das Chancenprogramm in Niederösterreich. „Der Austausch der Frauen und das Netzwerken sind wichtig – da können wir uns die Männer zum Vorbild nehmen“, betont Kastner. Fachvorträge und Workshops im Rahmen dieser Treffen erweitern die Perspektiven und tragen zur Weiterentwicklung bei. Ein weiteres Ziel ist das Sichtbarmachen von erfolgreichen Frauen.

Koordinatorin Bettina Kastner


Ohne Zielquoten kann ich die Fortschritte nicht messen.

Bettina Kastner

Zielquoten in die Governance

Neben einem Maßnahmenbündel ist für Unternehmen auch die Festschreibung in der Governance ein entscheidender Schritt vorwärts. „Ohne Zielquoten kann ich meine Fortschritte nicht messen“, weiß Kastner. Diese Erfahrung habe man auch beim Funktionärinnen-Beirat gemacht, bei dem in der Anfangsphase noch nicht mit Zahlen gearbeitet wurde. „Erst als wir die konkreten Funktionärinnen-Anteile in den Bundesländern erhoben haben, konnten wir uns Ziele setzen und diese nachhaltig verfolgen und monitoren. Das war ein entscheidender Schritt unseres erfolgreichen Weges“, berichtet Kastner. 

Noch immer weniger Geld

Die mangelnden Karrierechancen für Frauen wirken sich auch auf deren Verdienst aus. Die Einkommensdifferenz in Österreich liegt bei 12,18 Prozent, damit ist der viel zitierte Pay Gap größer als im EU-Schnitt. Umgerechnet 44 Tage arbeiten Frauen hierzulande im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen kostenlos. „Beim Gender Pay Gap ist es entscheidend, die Ursachen für allfällige Differenzen zu erheben, um hier entsprechende Maßnahmen zur Schließung von sachlich ungerechtfertigten Lücken ergreifen zu können“, so Kastner.

EU-Richtlinie für faire Gehälter

Die im Juni 2023 beschlossene EU-Entgelttransparenzrichtlinie soll eine faire Entlohnung fördern und Unterschiede aufzeigen. Bis Juni 2026 haben die Mitgliedstaaten noch Zeit, die erforderlichen nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften umzusetzen. „Diese EU-Richtlinie wird umfassende Veränderungen im Bereich der Einkommenstransparenz mit sich bringen“, so viel ist für Kastner sicher.

Aufgrund der fehlenden nationalen Umsetzung herrscht derzeit aber noch Unklarheit zu den einzelnen Definitionen, möglichen Interpretationsspielräumen, der Methodik der Auswertung des Gender Pay Gaps und wie schlussendlich die Ergebnisse der Analyse kommuniziert werden sollen. „Es bleibt zu hoffen, dass der österreichische Gesetzgeber hier bald tätig wird. Die Unternehmen sind jedenfalls gut beraten, bereits jetzt erste Vorbereitungsschritte zu setzen, indem sie eine Struktur zur Auswertung von gleichwertiger und gleicher Arbeit schaffen, bestehende Vergütungsprozesse und Prozesse zur Leistungsbewertung überprüfen und Entgeltdaten analysieren“, erklärt Kastner. 

Die Richtlinie verpflichtet – nach einer Übergangsfrist – Unternehmen mit mehr als 100 Arbeitnehmern zur Berichterstattung und fordert Maßnahmen, wenn der Gender-Pay-Gap 5 Prozent übersteigt. Laut Deloitte-Studie arbeiten derzeit 29 Prozent der betroffenen Unternehmen an stufenweisen Maßnahmen. Der Handlungsbedarf ist dabei noch groß: Derzeit bieten nur 12 Prozent der Unternehmen vollständige Einkommenstransparenz. 44 Prozent haben aktuell keinen Überblick über ihre aktuellen Gehaltsstrukturen. „Diese Berichte werden zur Verbesserung der Entgeltsituation von Frauen und Männern führen, wenn die Unternehmen ernsthaft die Ursachen erforschen und bei Ungerechtigkeiten geeignete Maßnahmen ergreifen. Und dies wird man wohl aufgrund der angekündigten hohen Sanktionen erwarten können“, prognostiziert Kastner. 

Fast ein Viertel der Unternehmensvertreter sehen – laut Deloitte-Studie – in der Richtlinie mehr Probleme als Lösungen. Auffällig ist für die Studienautoren dabei: Vor allem Personen aus Geschäftsführung, Vorstand oder Management – und hier vor allem Männer – zeigen sich der Richtlinie gegenüber kritisch. „Wenn man bedenkt, dass dies die Gruppe mit der größten Entscheidungsmacht in der Wirtschaft ist, kann das für die praktische Umsetzung künftig ein Hemmnis sein“, meint Elisabeth Hornberger, Diversity-Expertin bei Deloitte Österreich.

AusgabeRZ10-2025

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