„Ich bin von Grund auf optimistisch“

Claudia Süssenbacher ist seit 1. März in der Geschäftsleitung der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien und im Vorstand der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien. Im Antrittsinterview spricht sie über ihre Rolle als Risikomanagerin, ihre Ambitionen und Wachstumsziele.

Von der Erste Bank zu Raiffeisen. Wie groß ist der „Kulturschock“?
Claudia Süssenbacher: Da gibt es keinen Kulturschock. Ich bin froh, dass ich jetzt endlich wirklich da bin. Im Vorfeld habe ich schon viele Geschäftsleiter, Funktionäre und Mitarbeiter kennengelernt. Ich fühle mich sehr wohl und wurde mit offenen Armen empfangen.

Was war Ihre Motivation zu wechseln?
Süssenbacher: Die Chance zu haben, etwas zu gestalten und federführend zur Neuausrichtung der Bank beizutragen, das war die Hauptmotivation. Ich bin jemand, der sehr gerne Veränderung hat, Ideen einbringt und umsetzt. Und natürlich waren es auch die persönlichen Gespräche, die ich mit Generaldirektor Michael Höllerer und den zuständigen Gremien geführt habe. Wenn man merkt, dass man auf einer Linie ist und sich die Zusammenarbeit sehr gut vorstellen kann, sind das ideale Bedingungen.

Sie sind nicht nur Risikomanagerin, sondern auch Digitalisierungsexpertin?
Süssenbacher: Ich habe im Risikomanagement in der Erste Bank sehr viel im Bereich Digitalisierung gemacht. Wir haben viele Produkte digitalisiert, da kommt natürlich immer stark der Risikofokus dazu. Wie kann man Kreditentscheidungen bis zu einer gewissen Größenordnung digitalisieren? Wie kann ich einen Kreditantrag in eine digitalisierte Strecke bringen? Diese Themen haben wir hier genauso. Natürlich geht es immer darum, noch effizienter zu sein, weniger manuelle Arbeitsschritte zu haben und mehr im System technisch
abwickeln zu können. 

Hatten Sie schon Zeit für eine erste Bestandsaufnahme. Wie fällt der erste Eindruck aus?
Süssenbacher: Ich bin zuständig für das gesamte Risikomanagement, für die Sanierung, für Compliance und für Recht und ich habe mir schon ein Bild gemacht. Bei den Mitarbeitern spüre ich eine hohe Motivation und auch die Freude, dass wir gemeinsam Veränderungen herbeiführen, um erfolgreich in die Zukunft zu gehen. Natürlich wird es Themen geben, die wir aufgreifen, und wir werden auch Teile umstrukturieren. Das wird sich jetzt alles im März klären. 

„Risikomanagement wird
immer als Verhinderer von Wachstum gesehen, ich sehe das ganz anders.“

Claudia Süssenbacher

Sie verantworten mehrere Bereiche mit mehr als 200 Mitarbeitern. Worauf richten Sie jetzt besonders den Fokus?
Süssenbacher: Unser klarer Fokus lautet selektives Wachstum, da ist die Zusammenarbeit zwischen Vertrieb und Risiko essentiell, aber auch die Zusammenarbeit mit Compliance. Das wird für mich jedenfalls ein Fokusthema sein. Wie können wir gemeinsam gesund wachsen? Da bedarf es viel Abstimmung und Kommunikation mit dem Vertrieb. Wir wollen auch mehr mit dem Sektor machen – gemeinsam mit den Raiffeisenbanken und bundesweit. Das sind sicher zentrale Punkte. 

Welche Bereiche kann man mit den Raiffeisenbanken ausbauen?
Süssenbacher: Das Thema ESG steht natürlich auch ganz oben auf der Tagesordnung, um hier einen einheitlichen Ansatz zu fahren. Das Thema ESG ist allumfassend und muss in den nächsten Monaten ganz stark vorangetrieben werden. Da haben wir uns auch bundesweit vorgenommen, dass wir hier harmonisiert vorgehen. 

Wie viel Wachstumsspielraum ist aus Risikosicht verträglich?
Süssenbacher: Risikomanagement wird immer als Verhinderer von Wachstum gesehen, ich sehe das ganz anders: Wir können unsere Kundenbetreuer unterstützen, Strukturen zu finden, die risikoseitig vertretbar sind, die der Regulatorik entsprechen, aber auch das Kundenbedürfnis abdecken. Wichtig ist, das Geschäftsmodell zu verstehen und die Risiken darin. Ich komme ja eigentlich aus der Unternehmenssanierung, da weiß man, es kann etwas passieren, aber es ist nicht das Ende aller Tage, wenn es einem Unternehmen schlechter geht. 

Wie beurteilen Sie die bestehenden Beteiligungsfelder der Raiffeisen-Holding aus Risikosicht?
Süssenbacher: Es ist ein Feinkostladen. Es sind unglaublich gute und interessante Beteiligungen, die alle hervorragend laufen und wahnsinnig viel Potenzial haben. Unser Ziel ist auch hier, nicht zu reduzieren, sondern aktiv weiterzuentwickeln. Beispiel erneuerbare Energien – es gibt ein großes Feld, wo wir noch stärker regional tätig sein können.

Immobilien sind schon lange ein Beteiligungsfeld. Die Aufseher sehen den Immobilienmarkt generell risikobehaftet. Wie beurteilen Sie das?
Süssenbacher: In den letzten Jahren haben sich Immobilien für Investoren positiv entwickelt und auch Banken sind in den letzten Jahren im Immobilienbereich gewachsen. Was ich bisher gesehen habe, ist das Portfolio in der Landesbank sehr resistent, wir sind mit guten Kunden gewachsen und haben langjährige Geschäftsbeziehungen.

Die Wirtschaftslage dürfte sich eintrüben. Wie wirkt sich das auf die Risikovorsorgen aus?
Süssenbacher: Wir sind gut im Budgetplan und haben schon im Vorjahr Vorsorgen für allfällige Verschlechterung vom Portfolio getroffen. Man muss gut beobachten und gut planen, das ist das normale Leben im Risikomanagement. 

Einige börsenotierte Unternehmen geben derzeit aufgrund der unsicheren Lage keinen Ausblick ab. Wie groß ist die Unsicherheit?
Süssenbacher: Ich bin von Grund auf optimistisch, was man bei einem Risikomanager vielleicht nicht auf den ersten Blick vermuten würde. Die Jahre vor Corona sind nunmal für alle Branchen extrem gut gewesen. Den Unternehmen ist es auch nach Corona gut gegangen. Die Bilanzen schauen großteils gut aus. Seit der Finanzkrise 2008 sind die Unternehmen viel weniger volatil und sehr gut aufgestellt, was die
Liquidität betrifft. Vielleicht sind die fetten Jahre vorbei, aber bin überhaupt nicht pessimistisch für die Zukunft, ganz im Gegenteil. Es gibt viele Parameter, die sehr positiv sind: Wir haben eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit und immer noch ein positives Wirtschaftswachstum.

Wir leben momentan in einer Zeit multipler Krisen. Wie gehen Sie damit um?
Süssenbacher: Risikomanagement ist immer von Krisen geprägt. Man muss proaktiv sein und darf nicht in eine Schockstarre verfallen. Man muss auf die Bank und die Kunden schauen und das Beste daraus machen. Bei der Klimakrise müssen wir unsere Kunden begleiten, dass sie das Thema ESG gut umsetzen. Ich sehe da ein großes Betätigungsfeld, hier die Unternehmen und insbesondere den Mittelstand gut zu unterstützen – mit Know-how und Finanzierungen. Das wird ein ganz klarer Fokus sein.

AusgabeRZ10-2023

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