„Wir brauchen Masterpläne für die Zukunft“

In Sektoren zu denken, greift heutzutage zu kurz. Wie die Raiffeisen KAG der Komplexität von Nachhaltigkeit und Investments begegnet und wie wertebasierte Entscheidungen getroffen werden, das erklären Geschäftsführer Dieter Aigner und Fondsmanager Stefan Grünwald.

Stefan Grünwald und Dieter Aigner
Stefan Grünwald und Dieter Aigner © Raiffeisen KAG/Marlene Fröhlich

Der Raiffeisen KAG wurde kürzlich das AAA-Rating von Scope bestätigt. Bei der FNG-Siegel-Vergabe ist man mit 18 „3-Sterne-Siegeln“ die Fondsgesellschaft mit den meisten Höchstbewertungen. Warum ist die Raiffeisen KAG beim Thema Nachhaltigkeit so erfolgreich?
Dieter Aigner: Wir haben relativ früh, vor etwa 15 Jahren, mit dem Thema begonnen und vor drei Jahren erkannt, dass es beim nachhaltigen Investieren 2.0 sehr stark um die Begleitung der Transformation geht. Wir haben deshalb einen innovativen Investmentprozess entwickelt, in den wir sämtliche Zukunfts-Themen implementiert haben. Es ist wichtig, sich mit Themen übergreifend, aus unterschiedlichen Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu beschäftigen, und nicht nur in Sektoren zu denken. Wir versuchen in Arbeitsgruppen Positionen und Investmententscheidungen abzuleiten, die nachhaltig und ökonomisch sind. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und vom Schwarz-Weiß-Denken wegzukommen. Als globale Investoren müssen wir beispielsweise das Thema Energiewende je nach Region und Länder beurteilen, das wurde von Scope gewürdigt. Die Beurteilung ist eine Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und Motivation, an den Themen konsequent weiterzuarbeiten. 

Beim Scope-Rating wurden Sie sogar namentlich als wichtiger Akteur für Stabilität und Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsprozesse genannt. Wie fühlt man sich damit?
Aigner: Es ist natürlich eine schöne Anerkennung. Generell ist es wichtig, dass Veränderungsprozesse von oben mitgetragen werden. Ich bin sehr stark in die inhaltliche Auseinandersetzung eingebunden, weil es eben hochkomplexe Materien sind. Bei immer mehr börsennotierten Unternehmen ist das Thema Nachhaltigkeit deshalb auch auf Vorstandsebene angesiedelt.

In der Raiffeisen KAG hat man Arbeitsgruppen zu sieben Zukunftsthemen gebildet – Energie, Infrastruktur, Kreislaufwirtschaft, Mobilität, Technologie, Rohstoffe und Gesundheit. Wie haben sich diese Themen herauskristallisiert? 
Aigner: Wir haben uns überlegt, was uns in den nächsten Jahrzehnten beschäftigen wird. So sind wir auf diese Themen gekommen. Zuerst haben wir fünf definiert, dann sind es sieben geworden, die alle großen Felder gut abdecken, aber sich auch laufend weiterentwickeln. Einmal definiert, heißt nicht für immer in Stein gemeißelt. Es geht oft darum abzuwägen, was ist besser, schlechter oder weniger schlecht.
Stefan Grünwald: Im Endeffekt greifen die sieben Themen die wichtigsten Tätigkeitsbereiche von Unternehmen der gesamten Wirtschaft auf. Wir wollen Trends und Entwicklungen, die es global gibt, und deren Auswirkungen auf die einzelnen Unternehmen herausfinden und bewerten. Es geht um Investmententscheidungen, aber auch darum, sich eine Meinungstiefe zu gewissen Themen zu bilden, um wertebasierte Entscheidungen treffen zu können. 

Stefan Grünwald
© Raiffeisen KAG/Marlene Fröhlich

Wie kommt man generell zu Meinungen zu gewissen Themen? Wie stark fließen auch wissenschaftliche Grundlagen ein?
Grünwald: Wir sind natürlich keine Wissenschafter, aber Anwender von wissenschaftlichen Erkenntnissen und wissenschaftlichen Meinungen, die zusammengetragen, gefiltert, ausgewertet und nach diversen nachhaltigen Fragestellen beurteilt werden. Welche ESG-Auswirkungen hat das Thema und die Veränderung aktuell? Gibt es bei dem Thema X positive ESG-Transformationen? Inwiefern werden SDGs positiv oder negativ tangiert? Wir haben sehr komplexe Querschnittsmaterien in fast allen Bereichen, kein Thema kann singulär beurteilt werden. Die sieben Teams kooperieren deshalb sehr stark untereinander, um gemeinschaftlich zu Ergebnissen zu kommen, die dann als Basis in den Investmentprozess einfließen.  
Aigner: Dieses vernetzte Denken ist eine große Chance und der wesentliche Unterschied zu anderen Häusern, aber auch eine große Herausforderung. Es gibt ja kaum Unternehmen, die nur ein Produkt produzieren. Die Windkraft ist ein passendes Beispiel. Sie ist klar positiv besetzt, aber viele Energiekon­zerne haben neben Windkraft auch noch andere Sparten in ihrem Portfolio, das muss alles berücksichtigt werden. Wir schauen uns auch an, woher kommen die Rohstoffe für ein Windrad. Beim Thema Lieferketten werden wir nie eine allumfassende Wahrheit haben, aber es geht darum, einen gesunden Mittelweg zu finden, ansonsten schließt man alles aus. Letztlich wollen wir ja Rendite erzielen, um die Transformation zu finanzieren. 
Grünwald: Wir beschäftigen uns bewusst mit Themen, wo sich Veränderungen abspielen, nicht nur weil sich dort Investmentchancen ergeben, sondern dort auch die wesentlichen ESG-Fragestellungen entstehen. Es ist durchaus ein Kernstück unserer Arbeit, hier ständig am Ball zu bleiben und die Transformation zu begleiten. Damit legen wir nicht nur die Grundlage für qualitative ESG-Bewertungen, sondern auch für den Engagement-Prozess. 

Wie viele Fondsmanager machen mit? Und warum hat man sich entschlossen, sich nicht nur auf externe ESG-Daten zu verlassen, sondern selbst Research zu machen?
Aigner: Wir nutzen natürlich auch externe Datenquellen und haben nicht den Anspruch, die bessere Universität zu sein. Wir sind Fondswissenschafter, die durchaus auf universitäres Fachwissen zu Klimadaten et cetera zurückgreifen. Wir nutzen in den Arbeitsgruppen zudem externe Vortragende. Out-of-the-Box-Denken ist der Zahn der Zeit – auch im Investment-Management. Wir haben sogar einige Kollegen, die im Bereich der Energiewirtschaft MBAs gemacht haben. Das ist wertvolles Wissen, das in die Arbeitsgruppen bei der Auseinandersetzung mit den Themen einfließt. So können wir besser nachhaltige Entscheidungen treffen. Es ist unsere Verantwortung als Asset-Manager, dass wir uns mit diesen Themen beschäftigen. 
Grünwald: Eine qualitative, abwägende Bewertung kann man nicht auslagern. Ein externer Score greift oft viel zu kurz. Man muss sich eine eigene Meinung bilden, auch um Greenwashing zu vermeiden. Durch die Kooperation der Teams untereinander kann man Themen von unterschiedlichen Blickwinkeln beurteilen und Wissen in der Tiefe aufbauen. 
Aigner: Wir überprüfen praktisch, was uns von Rating-Agenturen zu Unternehmen geliefert wird. Hinterfragen heißt, ich muss zu gewissen Themen eine Hausmeinung haben. Daher haben wir zu großen Themen eine gemeinsame Sicht entwickelt. Wenn jemand fragt, können wir das auch erklären. Hier findet ein starker Wissenstransfer statt.

Neben dem regelmäßigen Info-Magazin „Nachhaltig Investieren“ wurde auch die Website „investment-zukunft.at“ ausgebaut. Wie groß ist das Echo? Interessiert das die Anleger so in der Tiefe?
Aigner: Anfangs haben wir Newsletter zu gewissen Themen verfasst, dann haben wir „Nachhaltig Investieren“ gelauncht, um uns mit gewissen Schwerpunktthemen tiefer auseinanderzusetzen und auch die Außensicht hereinzubringen. Mittlerweile hat sich das Magazin zu einem sehr guten Format entwickelt, das uns ermöglicht, andere Stakeholder einzubeziehen. Wir wollen im Wesentlichen das Thema in die Breite bringen und das Vertrauen unserer Stakeholder stärken. Wir haben uns die Marke und Plattform „Investment-Zukunft“ auch patentieren lassen und werden das noch stärker nach außen tragen, um Veranlagungen glaubhaft und verständlich zu machen. Geld anzulegen heißt, Verantwortung zu übernehmen und sich mit den investierten Themen zu beschäftigen. Für diese Beschäftigung liefern wir die Informationen. 

Dieter Aigner
© Raiffeisen KAG/Marlene Fröhlich

Gibt es irgendwelche konkreten Ziele, wie viele Personen man damit erreichen will?
Aigner: Investment-Zukunft ist ganz bewusst eine content-generierte Landing-Page. Uns kommt es dabei auf die Qualität der Zugriffe an und weniger auf die Quantität. Jeder, der sich mit dem Thema beschäftigen möchte, hat die Möglichkeit, unsere Standpunkte nachzuvollziehen. Wünschenswert wäre, dass sich möglichst viele Kunden und Kundenberater mit den Themen auseinandersetzen. Dabei geht es uns nicht prioritär um Klicks, sondern um die Beschäftigung mit dem Thema.

Trotz allem geht es Ihnen wohl nicht nur darum, die Welt zu verbessern, sondern auch um Fondsvertrieb. Sieht man da Erfolge?
Aigner: Das Thema hat in den letzten fünf Jahren einen enormen Boom erlebt. Wir sehen das auch sehr stark in den Abschlüssen von Fondssparern, die hauptsächlich in nachhaltige Produkte gehen.

Ihre Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit Infrastruktur – ein sehr breites Thema. Wo liegen da aktuell die Herausforderungen und wo kann man als nachhaltiger Investor ansetzen? 
Grünwald: Die Herausforderung liegt darin, Trends zu erkennen, Themen zu definieren und abzuleiten und gesamthaft zu bewerten. In die Bewertung müssen alle wichtigen Aspekte einfließen, etwa auch die Beurteilung der notwendigen Rohstoffe beim Bau von Infrastruktur. Bei der Energiewende beschäftigen wir uns natürlich mit Kraftwerken, Stromübertragung und -speicherung. Wir beschäftigen uns aber auch mit der Gebäudeinfrastruktur, ein ganz wichtiges Thema, wo man viel CO2 einsparen kann und sich noch viel tun wird. Aktuell diskutieren wir Digitalisierungsthematiken, also 5G-Ausbau und Ausbau der Internetinfrastruktur, aber auch Thematiken wie Smart Water und Smart Gas, das sind auch für Emerging Markets ganz wesentliche Bereiche. Im Bereich der Wassereffizienz wird sich in den nächsten Jahrzehnten viel verändern und auch verändern müssen. 

Vom Schwarz-Weiß-Denken müsse man sich verabschieden, haben Sie gesagt. Wo gab es im Bereich Infrastruktur Themen, bei denen eine Hausmeinung besonders heftig diskutiert wurde? 
Grünwald: Wir haben ziemlich lange über Speicher diskutiert. Auf der einen Seite ist klar, wir brauchen Speicher für die Energiewende. Auf der anderen Seite braucht man sehr viele Rohstoffe dafür – etwa bei Batteriespeicher. Wenn ich ein Wasserspeicherkraftwerk baue, brauche ich zwar weniger Rohstoffe, aber die lokalen Auswirkungen auf Flora und Fauna sind sehr groß. Da können die Meinungen schon auseinandergehen. 
Aigner: Aber genau diese Diskussionen zuzulassen, ist die große Chance. Ich würde mir sogar noch mehr Gesamtkontext wünschen – mit der Politik und der Wirtschaft. Wir brauchen Masterpläne für die Zukunft. Es nützt nichts, sich für fünf Jahre ein Programm zu setzen. Für diese Transformationen braucht man einen 30-Jahresplan – für Stromnetze und andere Infrastrukturprojekte. Da braucht es sanfte Eckpfeiler auch durch die Politik. Es heißt nicht, dass jetzt alles vorgegeben werden muss, aber es braucht eine Kombination – richtungsweisende Entscheidungen zu treffen, strategische Punkte anzugehen und daraus Projekte und vor allem Wirtschaftswachstum zu generieren. Der Investitionsbedarf ist über Jahrzehnte hinweg extrem groß. Man muss die Staatsfinanzierung neu denken. Transformationsverbessernde Projekte könnte man etwa über Social-Bonds oder Infrastrukturbonds investierbar machen. 

Stefan Grünwald und Dieter Aigner
© Raiffeisen KAG/Marlene Fröhlich

Die KAG hat viel Wissen in ihren Themenbereichen. Ist es angedacht, dieses Wissen in neue Produkte umzuwandeln? 
Aigner: Wir haben unsere kompletten Themenprodukte weiterentwickelt. Unser Themenfonds Energie hat früher anders ausgeschaut als heute. Wir haben unsere Produktpalette in den letzten Jahren bereits nachhaltig nach den Erkenntnissen dieser Arbeitsgruppen transformiert. Das betrifft mittlerweile nicht nur das Aktienthema, sondern auch das Anleihethema. Wir haben auf der Produktebene auch das Wort Transformation eingeführt. Verantwortung heißt Transformationsprozesse zu ermöglichen, insbesondere in den Emerging Markets. Nächstes Jahr werden wir ein neues Produkt bringen, das sehr stark auf dem Rohstoffthema aufbaut. Wir wollen uns dabei mit den Rohstoffen für die Energiewende auseinandersetzen, da spielt auch die Kreislaufwirtschaft stark hinein. 

Für den Kunden ist ja auch die Performance wichtig. Schafft man mit all diesem Wissen auch eine Outperformance?
Aigner: Wir würden es nicht machen, wenn wir nicht davon überzeugt sind. Wir schauen uns nicht nur die ESG-Komponenten an, sondern es ist für uns ebenso wichtig, dass wir auch Geld verdienen. Das hängt aber von Marktphasen ab. Es ist logisch, dass zum Beispiel Renewables in den letzten eineinhalb Jahren durch die steigenden Zinsen durchaus unter Druck geraten sind. Langfristig wird sich das Thema jedoch durchsetzen. Auf der anderen Seite hat unser Hightech-ESG-Aktienfonds heuer bereits 40 Prozent zugelegt, aber auch das wird man so nicht fortschreiben können. Wir identifizieren uns mit langfristigen positiven Trends, schauen natürlich aber auch kurzfristig, wie sind die Produkte in diesem Zusammenhang positioniert. Bei uns gibt es nicht nur Buy-and-Hold, man muss auch was tun. Wir haben eine fundierte Basis kombiniert als makro- und mikroökonomische Entwicklungen. Aber natürlich sind geopolitische Entwicklungen eine Herausforderung, deshalb ist es wichtig, auf Diversifikation zu achten. Die Assetallokation bleibt eine wesentliche Komponente.