Geldpolitik im Zugzwang

Während sich die Wirtschaft nach und nach aus dem Krisenmodus herausgearbeitet hat, sorgen die Unsicherheit über den Pandemieverlauf und vor allem die Inflationsentwicklung für Kopfzerbrechen bei Europas Notenbankern.

Euroscheine zeigen Jahreszahl 2022
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Die für viele überraschend zurückgekehrte Inflation scheint die Notenbanken rund um den Globus aus der eingespielten ultralockeren Geldpolitik der letzten Jahre herauszuholen. 2022 könnte auch eine Trendwende in der europäischen Geldpolitik eingeläutet werden, die Weichen dafür wurden in den letzten Tagen gestellt. „Es ist ein vorsichtiger Beginn des Ausstiegs aus dem Krisenmodus“, konstatiert Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek. Das 1,85 Billionen Euro schwere Pandemie-Notfallprogramm PEPP soll mit Ende März 2022 auslaufen.

Allerdings verabschiede sich die EZB nicht ganz von den massiven Liquiditätszuflüssen für die Finanzmärkte. Bis Ende 2024 wollen die europäischen Notenbanker abreifende Anleihen weiterhin reinvestieren und damit auch künftig für massive Liquiditätszuflüsse sorgen. Allein für 2022 und 2023 bedeute dies ein Volumen von jeweils über 400 Mrd. Euro, ergaben Berechnungen von Raiffeisen Research.

Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek Porträt
Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek (c)RBI/Sara Tomic

„Wenn die EZB ihre Inflationsprognosen stark anhebt, aber dann nicht reagiert, ist das unverständlich.“

Peter Brezinschek

Verwundert zeigt sich Brezinschek über die verpasste Chance der EZB, den Ausstieg aus den Negativzinsen vorzubereiten. „Wenn die EZB ihre Inflationsprognose innerhalb von drei Monaten von 1,7 auf 3,2 Prozent nach oben revidiert, aber dann nicht reagiert, ist das unverständlich“, erklärt der Ökonom. Immerhin dürfte die Teuerungsrate auch 2022 überwiegend über dem EZB-Ziel von 2 Prozent liegen und erst im Schlussquartal an die 2-Prozent-Marke herankommen. „Ich halte den Herbst 2022 für die entscheidende Phase, in der die EZB etwas zu ihrer Geldpolitik -auch aus Vertrauensgründen – sagen wird müssen. Sollte die Inflation wie erwartet im kommenden Jahr großteils über dem EZB-Ziel liegen, wird sich die Notenbank beim Thema Leitzinsen nicht mehr verschließen können“, meint Brezinschek.

Zinszyklus nach oben

Dass die Inflation derzeit als die größte Herausforderung gesehen wird, zeigt auch die überraschende Zinserhöhung der britischen Notenbank von 0,1 auf 0,25 Prozent. „Damit hat global gesehen die erste große Notenbank die Tür für einen Zinszyklus nach oben aufgemacht. Die US-Notenbank Fed wird die nächste sein“, ist Brezinschek überzeugt. Sie dürfte im kommenden Jahr drei Zinsschritte vornehmen. In Osteuropa haben dagegen schon einige Zentralbanken etwa in Tschechien reagiert und die Zinsen erhöht.

Die positive Reaktion der Aktienmärkte auf die geldpolitischen Weichenstellungen überraschen Brezinschek nicht: Klarheit sei immer besser als mehrere Opportunitäten, wie es weitergeht. „Es hat sich sowohl auf den Aktienmärkten wie auch auf den Rentenmärkten gezeigt, dass eine deutliche Sprache bevorzugt wird“, so Brezinschek. Kurzfristig dürfte die Aktienmärkte aber weiterhin die Corona-Pandemie und die neue Mutante Omikron beschäftigen. „Ich glaube, dass sich die Befürchtungen nicht bewahrheiten werden. Daher bin ich für das erste Halbjahr 2022 in Bezug auf die Aktienmärkte zuversichtlich“, sagt Brezinschek. Auch mit der Ausbreitung der Delta-Variante des Corona-Virus habe man sich nicht zu Tode fürchten müssen, denn entscheidend seien nicht die Zahl der positiven Tests, sondern die Hospitalisierungsrate.

Auch wenn sich die steile Erholung an den Börsen seit dem Pandemie-bedingten Einbruch im März 2020 heuer ab dem zweiten Quartal abflachte, war die Entwicklung auf Jahresbasis kräftig. Von der starken Erholung profitierte vor allem die Wiener Börse, der ATX Total Return (inklusive Dividenden) entwickelte sich heuer bis Mitte Dezember mit einem Plus von 38,77 Prozent zum globalen Spitzenreiter. Die Umsätze mit Beteiligungswerten beliefen sich bis dahin auf 70,83 Mrd. Euro, ein Plus von 6,6 Prozent im Jahresabstand. Neben den starken Kurszuwächsen der größten österreichischen Aktien sorgen erfolgreiche Initiativen wie der global market (5,3 Mrd. Euro) und der Handel an Feiertagen (1,2 Mrd. Euro) für beachtliche Umsatzbeiträge. Gerade in diesem inflationären Umfeld müssten Anleger ihre Sensibilität für Aktien weiter erhöhen, ist Brezinschek überzeugt. Er rechnet für das kommende Jahrzehnt mit Inflationsraten zwischen 2 und 4 Prozent. Mit Fixed-Income-Produkten würden Anleger angesichts dieses makroökonomischen Umfeldes kaum glücklich werden.

Chancen und Überraschungen

Auch konjunkturell zeigt sich der Chefanalyst für die kommenden Jahre zuversichtlich: „Wir haben einen Zyklus, der gute vier Jahre anhalten dürfe, wobei 2021 und 2022 trotz der Lieferkettenprobleme und des Fachkräftemangels eine besonders starke Dynamik aufweisen. Für 2022, das dritte Corona-Jahr, prognostiziert Raiffeisen Research für Österreich ein Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent, das damit etwas über der Eurozone (4 Prozent) liegen dürfte. Insoweit sollten die Aktienmärkte auch aus konjunktureller Sicht im kommenden Jahr gut unterstützt bleiben. Zudem hatten die Unternehmen noch nie eine solche hohe Preisdurchsetzungsmacht seit Einführung der Eurozone wie derzeit. Damit sollten auch die Unternehmensgewinne 2022 positiv beeinflusst werden, 2023 dürfte es dann auch aufgrund einer abflachenden Konjunkturentwicklung herausfordernder werden.

Allerdings besteht derzeit keine Planungssicherheit, dass dies schon das letzte Jahr ist, in dem das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben von Covid-19 Restriktionen geprägt ist. Es ist nicht auszuschließen, dass die Omikron-Variante in diesem Winterhalbjahr noch zu größeren wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Verwerfungen führen könnte, als bis dato erkennbar. Auswirkungen werden von Raiffeisen Research vor allem für das Auftaktquartal in Betracht gezogen. So könnten Restriktionen im Zusammenspiel mit Arbeitskräfteausfällen aufgrund der verschärften Quarantänebestimmungen die internationalen Lieferkettenprobleme nochmals verstärken. Eine Folge könnten merkliche Rücksetzer bei der teils schon schwächelnden Industriekonjunktur sein. Und in Österreich könnte einmal mehr die Wintersaison der Leidtragende dieser Entwicklung werden. Daher erwartet der Raiffeisen-Chefanalyst, dass das Jahr 2022 insgesamt gesehen „ein Jahr der Chancen und Überraschungen“ werden dürfte.