„Ich möchte einen Beitrag leisten“

Das sagt die Tiroler Jungfunktionärin Lisa Spöck. Wir trafen die 29-jährige zum Gedankenaustausch mit Generalanwalt Walter Rothensteiner. Im Folgenden ein Gespräch über Trends bei jungen Menschen, die ÖRV-Initiative Raiffeisen next und warum es wichtig ist, an einer Kathedrale mitzubauen.

Lisa Spöck und Walter Rothensteiner im Gespräch
(c) Sabine Klimpt

Für den neuen Raiffeisen-Schwerpunkt zur Gewinnung junger Funktionärinnen und Funktionäre muss man der nächsten Generation das Genossenschaftswesen wohl erst einmal wieder schmackhaft machen. Herr Generalanwalt, was denken Sie, wie kann uns das gelingen? 
Walter Rothensteiner: Hinter Genossenschaft steht die Grundidee: Wenn man gemeinsam etwas macht, wird etwas daraus. Das versteht auch die Jugend. Die Frage ist nur, ob wir bei Raiffeisen dieses Motto über die Jahrzehnte nicht etwas zugedeckt haben. Die junge Generation sieht modernes Wirtschaften aber genau so – miteinander, kooperativ. Und da könnten wir durchaus mithalten. Bei Raiff­eisen halten wir zwar den Slogan hoch, „Was einer alleine nicht kann, das können viele“, aber ob er über die Jahre wirklich verinnerlicht wurde, bezweifle ich. Hier muss man ansetzen. Denn dieses Motto versteht die Jugend – heute wahrscheinlich mehr als in den Boomjahren vor 15 oder 20 Jahren, wo alles immer nur besser wurde. Jetzt, wo vieles nicht mehr so funktioniert wie früher und man sich vielerorts wieder verstärkt selbst organisiert und die Dinge gemeinsam anpackt, sehe ich eine große Chance für uns.

Lisa Spöck und Walter Rothensteiner im Gespräch
Lisa Spöck (29)  ist seit 2016 in der Standortagentur Tirol im Bereich Start-ups tätig. Im Rahmen ihrer Tätigkeit unterstützt und vernetzt sie Start-ups und solche, die es werden wollen, von der Ideenphase bis hin zur Wachstumsphase. Ehrenamtlich ist sie auch als Local Representative für Tirol im Verein AustrianStartups tätig.
Seit zwei Jahren ist sie Mitglied im fünfköpfigen Aufsichtsrat der Raiff­eisenbank Wildschönau, im Juni wurde sie in den Vorstand des Raiffeisenverbandes Tirol gewählt. (c) Sabine Klimpt

Frau Spöck, sehen Sie das auch so oder würden Sie noch etwas ergänzen wollen?
Lisa Spöck: Für mich geht es darum, etwas beitragen zu können. Mir war immer wichtig, in dem was ich tue, einen Sinn und Zweck zu erkennen. Das sehen, glaube ich, viele junge Menschen auch so. Vielen geht es nicht darum, primär Geld zu verdienen, sondern sich selbst zu verwirklichen, einen Beitrag zu leisten und etwas zu verändern auf der Welt. Daher sollte man jungen Menschen vermitteln, dass genau das bei Raiffeisen möglich ist. Und darüber hinaus ist es wichtig, in der Bewusstseinsbildung über Genossenschaften zu erklären, was es bedeutet, in einem ehrenamtlichen Aufsichtsorgan zu sitzen. Viele haben noch ein Bild von einem Gremium ausschließlich mit Männern fortgeschrittenen Alters im Kopf. Wenn es gelingt, dieses Bild zu verändern, ist das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Junge Menschen – und wenn wir von potenziellen Funktionären reden, dann denken wir an die Zielgruppe 25 bis 35/40 Jahre – leben und arbeiten anders als ältere. Was bewegt die Jugend heutzutage? 
Spöck: Wenn ich dies am Beispiel von mir betrachte, dann bin ich in der privilegierten Situation aufgewachsen, viele Wahlmöglichkeiten zu haben, wie man sein Leben gestaltet. Umso mehr geht es daher darum, einen Sinn in seinem Tun zu erkennen. Und das können die unterschiedlichsten Themen sein, wie man diesen Sinn findet oder wie man einen Beitrag leisten kann – zum Beispiel für seine Region, für andere Menschen oder für die Umwelt. Man kann auf unterschiedlichsten Ebenen ansetzen, sodass die Gesellschaft auch etwas merkt davon.
Rothensteiner: Ich finde die Formulierung „einen Beitrag leisten“ sehr treffend. Schon die Management-Schule von Fredmund Malik hat zum Thema Führung den Beitrag zum Ganzen angesprochen: Auf die Frage an einen Maurer, was er tut, antwortet der eine: ‚Ich bin der beste Maurer in der Stadt und baue eine Mauer‘ und der andere: ‚Ich helfe hier mit, eine Kathedrale zu bauen.‘ Beide Maurer leisten die gleiche Arbeit. Wir bei Raiffeisen sollten vermitteln, dass wir ‚an einer Kathedrale bauen‘ und unseren Beitrag leisten. Bei uns geht’s mehr ums „wir“, weniger ums „ich“.

Bei uns geht’s mehr ums „wir“, weniger ums „ich“.

Walter Rothensteiner

Welche Lösungen kann Raiffeisen hier anbieten – aus Sicht eines „Raiffeisen-Kenners“ und aus Sicht der Jungfunktionärin?
Spöck: Das Genossenschaftsmodell an sich ist schon die Lösung. Mir war aber anfangs auch nicht bewusst, dass mir gerade eine Genossenschaft die Möglichkeit bietet, einen Beitrag zu leisten und Verantwortung zu übernehmen. Erst als ich aktiv als Kundin von Raiffeisen von der Geschäftsleitung angesprochen wurde und man mir erklärt hat, was es bedeutet, Mitglied zu sein, habe ich das verstanden. Angefangen hat es eigentlich nur mit einem Jugendkonto.
Rothensteiner: Das ist eigentlich der Idealfall, wenn jemand über ein Jugendkonto bei einer Raiffeisenbank verfügt und dann aktiv von seinem Betreuer angesprochen wird, ob man sich nicht stärker bei Raiffeisen engagieren will. Und natürlich muss es auch in die jeweilige Lebensphase des Kunden passen. Gerade bei größeren Banken sehe ich hier aber noch Aufholbedarf. Je kleiner die Bank und je regionaler sie ist, desto mehr geschieht meist schon auf diesem Gebiet. Wobei – auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel – wohlgemerkt in beide Richtungen.

Raiffeisen ist – neben seiner wirtschaftlichen Bedeutung – auch eine Wertegemeinschaft von Menschen, die sich der Verantwortung für ihre Region bewusst sind. Ist das in einer Zeit der zunehmenden Digitalisierung und Globalisierung überhaupt noch zeitgemäß? 
Rothensteiner: Das kann man nur mit ja beantworten. Je diffiziler ein Megathema wie die Globalisierung wird, desto wichtiger ist es, dass in der eigenen Umgebung alles passt. Wir haben nur die Chance, aus dem kleinen, überschaubaren Bereich heraus größer zu werden. Erst wenn es im Kleinen funktioniert, können auch größere Themen bewältigt werden.   
Spöck: Themen wie Globalisierung und Digitalisierung bieten Möglichkeiten, Dinge zu vereinfachen, sie können gewisse Dinge aber nicht ersetzen. Daher ist Regionalität ein wichtiger Faktor, um Wertschöpfung in der Region zu halten und um im Gebiet etwas zu bewegen. Aber man soll die Digitalisierung nutzen, um Dinge einfacher zu machen. Das heißt, das eine schließt das andere nicht aus, vielmehr verstärken sie sich. 

Kooperationsmodelle erleben in jüngster Zeit einen regelrechten Boom. Ist das gut oder schlecht für das genossenschaftliche Modell? 
Spöck: Ich würde sagen sowohl als auch. Der Trend zu Kooperation kann insofern vorteilhaft sein, als er das Gemeinsame wieder ins Bewusstsein rückt und man sich erinnert, dass Raiffeisen ja genau das schon tut. Wenn aber Modelle entstehen, bei denen Sharing nur als Alibi eingesetzt wird, weil es im Trend liegt, und das Gemeinsame nicht wirklich gelebt wird, könnte das auch negativ abfärben. 
Rothensteiner: Kooperation ist nichts anderes als Genossenschaft und vice versa. Das war immer so. In der Gründungsphase von Raiffeisen hätten die damals sogenannten Darlehenskassen nicht überlebt, wäre nicht das Gemeinsame im Vordergrund gestanden. Ein Boom entsteht nur, wenn viele Menschen der Meinung sind, wir wollen das und wir ziehen das gemeinsam durch. Einen Boom kann man nicht verordnen. Aber wenn es uns gelingt, etwa beim Thema Jungfunktionäre eine next Generation wie Sie, Frau Spöck, zu gewinnen – junge Menschen, die etwas bewegen wollen, dann mache ich mir um Raiffeisen keine Sorgen.  

Frau Spöck, Sie wurden vor kurzem in den Vorstand des Raiffeisenverbandes Tirol gewählt – wobei Sie davor schon im Aufsichtsrat der Raiffeisenbank Wildschönau waren. Aus welchem Grund haben Sie sich dazu entschieden, Funktionärin zu werden?
Spöck: Auf die Frage, ob ich einen Beitrag leisten möchte und ob ich mitwirken will, die Region weiterzuentwickeln, habe ich es für mich persönlich als Herausforderung gesehen, mich im Aufsichtsgremium einzubringen. Für mich war klar, dass ich dann auf jeden Fall auch mitwirken möchte und das Wort ergreifen will – auch wenn dies anfangs geübt werden muss. Das ist aber immer eine individuelle Sache. Denn man kann sich auch in eine Sitzung setzen, mitschwimmen und passiv sein. Ich habe es als Chance gesehen, an mir selbst zu wachsen. Natürlich habe ich mich auch gefragt, ob ich mir das zutraue. Aber da wurde mir von der Geschäftsleitung immer der nötige Rückhalt gegeben. Auch die Ausbildungen im Bundesland und im Raiffeisen Campus haben mir dabei geholfen. Da habe ich sehr viel an Wissen für mich mitgenommen, um mich sattelfester zu fühlen. Es geht zum einen um die fachliche Expertise, zum anderen aber auch um die persönliche Entwicklung und zu lernen, Fragen zu stellen. Und natürlich, wenn ich – wenn auch nur einen kleinen – Beitrag dazu leiste, dass das typische Bild eines Funktionärs sich in Zukunft ändert, dass mehr Diversität in Gremien vorhanden ist und sowohl junge Menschen als auch Frauen ins Bewusstsein gerufen werden, wenn man an ein Aufsichtsgremium denkt, dann ist dies ein weiterer wichtiger Grund für mich, ein Teil davon zu sein.

Herr Rothensteiner, Sie kennen beide Seiten – jene des operativen Managements und jene des Spitzenfunktionärs. Worauf kommt es im Zusammenspiel dieser beiden an?
Rothensteiner: Sie müssen sich mögen. Die Zusammenarbeit ist kein Problem, wenn man den anderen respektiert. Dann stabilisiert sich das System selbst. Natürlich wird es immer wieder Differenzen geben, aber bei einer klaren Aufgabenverteilung funktioniert das im Großen und Ganzen. Der eine trägt die Verantwortung und muss den Kopf hinhalten, der andere ist für die Überwachung zuständig. Wenn jeder seine Aufgaben versteht, sollte alles gut laufen.

Warum ist es wichtig, auch jungen Funktionären eine Stimme zu geben?
Rothensteiner: Allein schon um der Versteinerung Einhalt zu gebieten. Zu Beginn meiner Karriere haben wir diskutiert, ob sich die RB Mistelbach einen Bankomat leisten soll. Damals hat das Gerät 700.000 Schilling gekostet und man war nicht sicher, ob die Leute das wirklich brauchen, wenn sie doch auch beim Schalter ihr Geld abheben können. Und heute diskutieren wir, ob wir überhaupt noch Bankomaten brauchen, weil jeder alles digital bezahlt. Als ich angefangen habe, hat es weder ein Fax noch einen Computer gegeben. Wenn nur Leute meiner Generation in den Organen sitzen, die sich ihre E-Mails ausdrucken lassen, weil sie selbst den Computer nicht bedienen können, werden wir nie mit dem Markt mithalten können. Genau daher brauchen wir die Meinung und den Input der Jugend. Dringend. Dazu kommt: Wir alle werden jedes Jahr älter, auch die Jungen. Daher muss man rechtzeitig beginnen, auf allen Ebenen junge Menschen zu gewinnen und einzubinden. 

Was konkret raten Sie Spitzenfunktionären und Geschäftsleitern als nächste Schritte anzugehen, um mehr Jungfunktionäre zu gewinnen?
Rothensteiner: Am besten sollen sie es machen wie die Kollegen in der Wildschönau: Die haben sich das gut überlegt, wen sie ansprechen können, haben sogar noch ein zusätzliches Mandat dafür geschaffen und dann losgelegt. Offenbar haben sie Interesse am Dialog mit der nächsten Generation – und das hat sich ganz offensichtlich bezahlt gemacht. 


Dieser Artikel ist im Rahmen der Initiative „Raiffeisen next“ entstanden. Diese hat zum Ziel, die nächste Generation für die Idee der Genossenschaft zu begeistern, sie als Mitglieder und Funktionäre zu gewinnen. Weitere Angebote und Ideen findet man im „Service-Paket next“ unter www.raiffeisenverband.at/download.