„Landwirtschaft ist kein Wunsch­konzert“

Josef Moosbrugger ist als Präsident der LK Österreich nicht nur Spitzenfunktionär, sondern nach wie vor praktizierender Milch­bauer in Vorarlberg. Im Interview spannt er den Bogen von der Theorie zur Praxis.

Herr Präsident, wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen aus dem GAP-Trilog?
Josef Moosbrugger: Grundsätzlich finde ich es positiv, dass die europäische Landwirtschaft nachhaltiger wird. Und natürlich bedarf es einer differenzierten Betrachtung. Angesichts dieser extrem hohen Anforderungen ist das Verhandlungsergebnis, das unsere Frau Bundesministerin erwirkt hat, ein sehr gutes für Österreich. Nüchtern betrachtet muss man aber sagen und seitens der Gesellschaft anerkennen: Die Anforderungen an die Landwirtschaft steigen trotz eines bisher schon deutlich höheren Niveaus in Österreich weiter.

Wird die europäische Landwirtschaft damit „österreichischer“?
Moosbrugger: Der EU-Agrarkommissar hat bei seinem Besuch in Österreich gesagt, diese Form der Landwirtschaft ist für ihn beispielgebend in Europa. Und ich bin überzeugt, dass wir in Sachen Nachhaltigkeit oder beim Umweltprogramm und in der biologischen Landwirtschaft Vorbild für Europa sind. Nichtsdestotrotz sind wir auf einem gemeinsamen Markt unterwegs, mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen. Das sind Fakten, die wir nicht außer Acht lassen können, wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft und den Produktionsstandort Österreich für Lebensmittel, nachhaltige Energie und Forstprodukte auch in Zukunft sichern wollen. 

Was braucht es dazu?
Moosbrugger: Wir brauchen eine kluge Kombination aus einem attraktiven Anreizsystem und praxistauglichen Modulen. Diese dürfen die Landwirte nicht blockieren, sondern müssen Produktion ermöglichen und Artenvielfalt erhalten. Genau das ist der Auftrag für die Landwirtschaft. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir Flächen außer Nutzung stellen. Wir wollen schützen durch nützen.

Nicht alle Interessenvertreter sind mit der Zukunft der GAP zufrieden. Wäre eine noch „grünere“ Ausrichtung nötig gewesen?
Moosbrugger: Nein, aber ich kann solche Aussagen angesichts der medialen Botschaften sogar nachvollziehen. Denn wer nicht Praktiker in der Landwirtschaft ist und die Vorgaben nicht umsetzen bzw. das Geld nicht dort verdienen muss, für den ist es leicht, mehr zu fordern. Ich will die Zusammenschau, nämlich Nachhaltigkeit fördern und Praktikabilität wahren, damit die wirtschaftliche Grundlage für unsere Bauern gesichert ist. Die Landwirtschaft leistet einen enormen Beitrag zur Artenvielfalt und Biodiversität. Schon jetzt verzichten wir auf sieben Prozent der Flächen, die wir aus dem wirtschaftlichen Ertrag nehmen. Und das soll ständig mehr werden? Wer außer den Bauern bringt Leistungen zu Lasten des eigenen Einkommens, damit man Nachhaltigkeit lebt? Landwirtschaft ist kein Wunschkonzert. Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit am Markt. Pflanzenschutzmittel zu reduzieren und weniger Dünger einzusetzen, schmälert Ertrag und Einkommen. Das wird oft völlig ausgeblendet.

Wie geht das einher mit dem Ziel, die regionale Lebensmittelversorgung zu stärken?
Moosbrugger: Das ist für mich der klassische Widerspruch. Ich kann nicht mit weniger Betriebsmitteln mehr produzieren. Das ist praxisfremd. Und dann wollen wir auch noch den Klimaschutz verbessern. All jene, die sich das wünschen, müssten ein Interesse haben, dass wieder möglichst viele Lebensmittel in Österreich produziert werden, weil das das Klima am meisten schützt. 

In den vergangenen Wochen haben Hagelunwetter Rekordschäden in der Landwirtschaft verursacht. Welche Antworten haben Sie darauf? 
Moosbrugger: Es geht in zwei Richtungen. Das eine ist Risikoabdeckung, wo wir sehr gut aufgestellt sind. Ich bin froh, dass einer der ersten Meilensteine, der mir als LKÖ-Präsident im Dürrepaket gelungen ist, die Anhebung des öffentlichen Anteils bei Elementarrisikoversicherungen auf 55 Prozent war. Das war entscheidend, denn Risikoabdeckung muss leistbar bleiben. Da bin ich dankbar, dass wir mit der Hagelversicherung einen starken, flexiblen Partner haben. Das Zweite ist, je schneller wir beginnen, dem Klimawandel entgegenzuhalten, umso günstiger kommt es. Daher müssen wir jetzt Maßnahmen setzen: Wir müssen raus aus der fossilen Energie und die CO2-Emissionen reduzieren. Aber hier kommen keine ausreichenden Antworten aus dem Umweltministerium, das frustriert mich. Denn der Hauptausstoß kommt nicht aus der Landwirtschaft, sondern vom Verkehr.  

Wird das EAG ausreichen, um das Ziel 100 Prozent Ökostrom bis 2030 zu erreichen?
Moosbrugger: Wenn es uns nicht gelingt, die Land- und Forstwirtschaft hier stärker einzubinden, dann nicht. Dabei hätten wir genau die richtige Antwort, nämlich nachhaltige Energie. Nur nutzen wir sie zu wenig. Daher auch mein Ärger über das EAG und meine Unzufriedenheit mit dem, was auf dem Tisch liegt. So werden wir die Ziele nicht erreichen. Dabei wäre genau das ein Zukunftsfeld für die Land- und Forstwirtschaft und eine Chance, diese Herausforderungen zu bewältigen und Antworten in Sachen Wertschöpfung zu geben. Anstelle von Milliarden für Klimazertifikate auszugeben, wäre es besser, man investiert in nachhaltige Energien. 

Das Tierwohl steht hierzulande immer mehr im Fokus der Gesellschaft. Braucht es mehr Tierwohl in den heimischen Ställen?
Moosbrugger: Das ist keine Frage, was die Landwirtschaft will oder was ich mir wünsche, sondern was der Markt verlangt und was die Gesellschaft bereit ist dafür auszugeben. Und das stört mich an der jetzigen Diskussion ganz massiv. Es ist leicht den Bauern zu sagen, was sie zu tun haben. Aber der Landwirt bekommt es nicht bezahlt. Denn abgesehen von wenigen Segmenten ist der Preis nach wie vor der entscheidende Faktor. Wenn ich nur die Standards verändere – gleich ob im pflanzlichen Bereich oder beim Tierwohl – und am Markt nichts unternehme, dann vernichte ich Produktion in Österreich und importiere genau das, was ich in Österreich nicht so produziert haben will, aus dem Ausland. NGOs blenden diesen Teil oft völlig aus und damit ist noch keinem Tier geholfen.  

Was schlagen Sie vor?
Moosbrugger: Wenn wir ein Interesse haben, dass wir in Österreich einen eigenständigen Weg gehen, dann braucht es im Grunde Klarheit am Markt und ausschließlich das in den Regalen, was den österreichischen Produktionsstandards entspricht. Ich kann nicht die Anforderungen in die Höhe schrauben und das Billigste importieren. Außerdem muss der Bauer die zusätzlichen Kosten bezahlt bekommen. Wir produzieren jetzt schon mehr innerhalb der bestehenden Tierwohl-Module im AMA-Gütesiegel, als der Markt zu diesen Preisen übernimmt. Wenn man glaubt, es können zum billigsten Preis höchste Anforderungen erfüllt werden, machen wir die Landwirtschaft kaputt.

Man kann nicht die Anforderungen in die Höhe schrauben und das Billigste importieren.

Josef Moosbrugger

Wie konkret könnte man gegensteuern?
Moosbrugger: Wir haben ein Angebot über Anreize geschaffen. Einerseits ein Tierwohlpaket über das Landwirtschaftsministerium, bei dem wir jährlich 120 Millionen Euro in die Hand nehmen und in Tierwohl investieren. Aber wir brauchen dafür auch den Markt, der das auf Dauer bezahlt. Nur so wird es funktionieren. Es braucht Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit, denn mit einem parlamentarischen Beschluss allein ist noch niemand geholfen. Es ist immer wieder verwunderlich für mich, dass bei Kartoffeln aus Ägypten oder Spargel aus Peru niemand fragt, wie dort produziert wird. Das hat mit Hausverstand nichts zu tun.

Könnte die Herkunftskennzeichnung nicht ein Schlüssel dafür sein?
Moosbrugger: Ein ganz entscheidender sogar, daher drängen wir ja so darauf, dass das, was im Regierungsprogramm vereinbart ist, endlich umgesetzt wird und bei verarbeiteten Produkten – Milch, Fleisch, Eiern – diese Herkunftskennzeichnung vollzogen wird. Das fordern wir auch für die Gemeinschaftsverpflegung, damit man weiß, wo kommt der Rohstoff her. Ich bin derzeit außerdem mit dem Gastro-Großhandel in Verhandlung, weil ich die Tierwohl-Pakete genau dort auch in die Bewerbung bringen möchte. Das wäre der Schlüssel zum Erfolg in der Gastronomie. Daher suchen wir diese Partnerschaft.  

Mit etwas Distanz: Ist die Landwirtschaft nun Gewinner oder Verlierer der Pandemie?
Moosbrugger: Nüchtern betrachtet beides. Wir hatten unsere Herausforderungen und Bereiche wie „Urlaub am Bauernhof“ oder Regionen, in denen der Tourismus entscheidender Partner ist, haben massiv gelitten. Für die besonders betroffenen Sektoren ist es uns gelungen, Unterstützungsmaßnahmen anzubieten. Außerdem hat die regionale Versorgung wieder an Bewusstsein gewonnen und dieses Bewusstsein wird hoffentlich auch nachhaltig anhalten, damit wir davon profitieren können. Ich denke hier vor allem an die Direktvermarktung mit völlig neuen Initiativen und Angeboten. Und ganz generell ist das Bewusstsein gestiegen, dass Lebensmittel nicht vom Himmel fallen. Gerade unsere kleinen Strukturen in der Be- und Verarbeitung haben sich bewährt und absolut krisenfest gezeigt.  

Was kann man tun, um den Trend zur Regionalität zu erhalten?
Moosbrugger: Öffentlichkeitsarbeit ist eines unserer Hauptthemen für die Zukunft. Einerseits, das Bewusstsein zu schaffen, wie arbeitet Landwirtschaft heute. Und andererseits klarzumachen, es kann jeder mithelfen, dass die österreichische Landwirtschaft Zukunft hat, indem ich das wertschätze, was die heimischen Bauern anbieten. Und diese Partnerschaft müssen wir ständig füttern und auch intensivieren. Gemeinsam mit der AMA wollen wir auch Bewusstsein schaffen, dass Umweltleistungen keine Selbstverständlichkeit sind. Man liest jeden Tag, wie schön es in Österreich ist und dass wir dort leben, wo andere Urlaub machen. Aber das fällt nicht vom Himmel, sondern ist eine besondere Leistung der Bäuerinnen und Bauern. 

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