Herr Büttner, seit Jahresanfang sind Sie Vorstandsvorsitzender der Agrana. Was hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt?
Stephan Büttner: Ich bin vor zehn Jahren als CEO der Austria Juice Group, dem mittlerweile integrierten Joint Venture der Raiffeisen Ware Austria und Agrana, in den Agrana-Vorstand gewechselt und verantworte seither die Finanzagenden. Das ist eine spannende Herausforderung. Ich habe mich aber nie als klassischer Finanzvorstand gesehen. Das Besondere an der Agrana ist, dass jedes Vorstandsmitglied auch eine Segmentverantwortung hat. Ich bin für das Fruchtsegment zuständig. Auch wenn man dabei keine operative Rolle hat, ist man sehr nah am Geschäft dran. Mit der Übernahme des Vorstandsvorsitzes schließt sich insoweit für mich in gewisser Weise ein beruflicher Kreis. Die Möglichkeit, zu gestalten und Einfluss auf die strategische Weiterentwicklung zu nehmen, steht für mich im Vordergrund.
Nach dem Ausscheiden Ihres Vorgängers Markus Mühleisen Ende 2023 aus dem Vorstandsteam hat die Agrana nun einen Dreier-Vorstand. Wird das so bleiben?
Büttner: Es ist viel zu tun, das Marktumfeld wird schwieriger und die Herausforderungen nicht kleiner. Zudem ist Agrana ein sehr spezielles Unternehmen mit drei eigenen Welten. Wir müssen die Verantwortlichkeiten neu ordnen. Die Fülle von Aufgaben werden wir gut auf die bestehenden Managementkapazitäten in den nächsten Wochen und Monaten aufteilen müssen, natürlich in enger Abstimmung mit dem Aufsichtsrat. Gleichzeitig wollen wir auch unsere drei operativen Segmente – Frucht, Zucker und Stärke – zukunftsträchtig aufstellen. Wir haben sehr gute Leute, nun wollen wir die richtigen Konstellationen mit dem größten Mehrwert für die Gesamtstruktur der Agrana finden.
In den letzten zwei Jahren wurde viel an der Konzernstrategie gefeilt. Ist dieser Prozess abgeschlossen?
Büttner: Die Eckpunkte wurden bereits verabschiedet. Wir wollen unser Kerngeschäft stärken und weiter ausbauen. Wo wir aus meiner Sicht aber noch nachschärfen müssen, ist innerhalb der Konzernstrategie den Rahmen festzulegen, wo wir unser Kapital investieren, um weiter wachsen zu können. Was in solchen Prozessen generell unterschätzt wird, ist der Faktor Zeit. Sie holen nicht die großen Kunden oder ändern nicht das Produktportfolio von heute auf morgen. Ein Jahr vergeht schnell. Es geht darum, nachhaltige Schritte zu setzen und nicht nur ein bisschen die operative Performance zu verbessern. Zwar kann man nicht alle Faktoren beeinflussen, aber man kann viele Dinge umsetzen, auch wenn es manchmal schwierig wirkt.
Birgt das nicht auch ein gewisses Risiko?
Büttner: Bei jeder Umsetzung ist auch immer ein Risiko dabei. Das gehört aber dazu und das muss man auch in Kauf nehmen. Wichtig ist es, eigene Ideen zu entwickeln. Und wenn man die Überzeugung hat, dass sie auch funktionieren können, muss man sie in Umsetzung bringen.
„Das Managen von Volatilitäten, die in den letzten zwei Jahren massiv waren, steht ganz oben auf der Liste.“
Stephan Büttner
Wenn Sie nach vorne blicken: Vor welchen großen Herausforderungen steht Agrana mittelfristig?
Büttner: Das Managen von Volatilitäten, die in den letzten zwei Jahren vor allem in den Bereichen Zucker und Stärke massiv waren, steht ganz oben auf der Liste. Wir brauchen aber nicht glauben, dass sich die Welt neu erfunden hat. Auch 2008/09 im Zuge der großen Finanz- und Wirtschaftskrise haben die Märkte verrückt gespielt. Alles, was unnatürlich und extrem ist, kommt auch extrem wieder zurück – bis es sich wieder einpendelt. Darüber hinaus zählen auch die massiven Zuckerimporte aus der Ukraine in die EU zu diesen akuten Herausforderungen. Bis Herbst 2022 konnte die Ukraine jährlich 20.000 Tonnen Zucker zollfrei in die EU einführen. Aufgrund des Krieges sind es über 700.000 Tonnen und das Potenzial ist noch größer. Zum Vergleich: In schlechten Jahren produziert die Agrana insgesamt rund 750.000 Tonnen Zucker.
Wie stark ist Agrana davon betroffen?
Büttner: Wir haben in unseren osteuropäischen Märkten vor allem in Ungarn und Rumänien, aber auch in Bulgarien, die prinzipiell Defizitmärkte sind, Absatzrückgänge von bis zu 25 Prozent. Das ist schon enorm. Nun beginnen diese Staaten ihre Märkte durch temporäre Maßnahmen vor unkontrollierten Importen zu schützen. Es fehlt aber an einer europäischen Regelung. Das betrifft nicht nur Zuckerimporte aus der Ukraine, sondern auch Getreideimporte. Natürlich unterstützen wir die Ukraine in dieser schwierigen Situation, auch in unseren Werken in dem Land selbst, aber ob unkontrollierte Importe der richtige Weg dafür sind, ist zu hinterfragen. Für uns ist es ein enormes Spannungsfeld: Einerseits müssen wir Entscheidungen für das Wohl des Unternehmens treffen und gleichzeitig solche Gesellschaftsthemen mitberücksichtigen. Disruptive Einflüsse wie die massiven Ukraine-Exporte stören nicht nur kurzfristig das operative Geschäft, sondern können auch potenzielle Auswirkungen auf die strategische Weiterentwicklung eines Unternehmens haben.
Apropos disruptive Einflüsse – auch die Zinslandschaft hat sich im letzten Jahr massiv verändert …
Büttner: Die Zinsen und die Kapitalbindung haben enorme Dimensionen erreicht. Wir haben ein Working Capital von deutlich über einer Milliarde Euro, in einem normalen Agrana-Jahr sind es rund 660 Mio. Euro. Wir sind ja nicht volumsmäßig, sondern rein preislich gewachsen. Unser Finanzergebnis hat sich im Jahresabstand auf rund 38 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Das muss man erst einmal weitergeben können. Darüber hinaus müssen wir Kapital freisetzen, um unser Wachstum zu finanzieren und auch die Zinslast zu reduzieren. Auch das wird keine einfache Aufgabe.
Kommen wir zu den Geschäftszahlen. In den ersten drei Quartalen 2023/24 legte der Umsatz um 7,5 Prozent auf 2,95 Mrd. Euro zu. Das Konzernergebnis lag bei 78,1 Mio. Euro. Wie zufrieden sind Sie damit?
Büttner: Es ist ein sehr gutes Ergebnis, aber wir wollen, dass es künftig ein normales Ergebnis wird. Deshalb legen wir unseren Fokus verstärkt auf die Profitabilität. Die EBIT-Marge liegt derzeit knapp über 5 Prozent. Der Anspruch für eine normale Geschäftsentwicklung sollte 7 oder 8 Prozent EBIT-Marge und ein EBITDA-Plus von zumindest 10 Prozent sein. Davon waren wir in den letzten Jahren weit entfernt und nähern uns jetzt wieder an – auch weil die Märkte da nicht mitgespielt haben. Insgesamt wollen wir die Performance auf ein höheres Level heben. Wenn man keine Ziele hat, wird man auch nirgends hinkommen.
Wie lief es in den drei Segmenten?
Büttner: Das Zuckergeschäft hatte aufgrund von unnatürlich hohen Preisniveaus von 900 Euro pro Tonne eine starke Entwicklung. Der Umsatz legte in den ersten neun Monaten um 30,6 Prozent auf 861,5 Mio. Euro zu. Das EBIT verbesserte sich um 19 Prozent auf 41,3 Millionen Euro. Hier werden wir künftig mit einem gewissen Preisdruck rechnen müssen. Die Verhandlungen im Rübenanbau 2024 sind noch im Laufen, wir sind aber zuversichtlich, eine Flächensteigerung erreichen zu können.
Vor größeren Herausforderungen stehen wir im Stärkebereich, der mit einem Umsatz von 907,4 Millionen Euro rund 80 Millionen unter dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs lag. Das EBIT ging um 9 Millionen auf 58 Millionen Euro zurück. Vor allem die tieferen Bioethanol-Notierungen sorgen für Druck. Das hat uns in diesem Jahr ordentlich hineingeregnet, auch wenn wir insgesamt gesehen die Marge im Stärke-Segment weitgehend stabil halten konnten.
Im Segment Frucht sind wir mit dem Fruchtzubereitungsgeschäft seit Beginn des Geschäftsjahres in der Spur. Daran haben wir in den vergangenen Jahren gearbeitet. Der Umsatz legte um 7,7 Prozent auf knapp 1,18 Milliarden Euro zu. Das EBIT drehte mit 50,1 Millionen Euro ins positive Terrain – in den ersten drei Quartalen 2022/23 gab es noch ein Minus von 51,6 Millionen Euro. Mit dieser Entwicklung bin ich zufrieden.