Immobilienboom steht vor Abflachung

Nach starken Preiszuwächsen im ersten Halbjahr wird das Tempo im zweiten Halbjahr geringer, erwarten die Experten von Raiffeisen Research. Der Boom bescherte auch der Raiffeisen Bausparkasse einen Finanzierungs­rekord.

Immobiliensuche Symbolbild, Darstellung von vier Häusern und einer Lupe
(c) Pixabay

Trotz hoher globaler Unsicherheit, steigender Inflation und einer noch nicht überwundenen Corona-Pandemie beschleunigen sich die Preise für Wohnimmobilien in Österreich weiter. Hinzu kommt auch noch die bereits in vollem Gange befindliche Zinswende, die einigen Gegenwind für die Immobilienpreise bringen dürfte. „Der Ausnahmezustand geht in die Verlängerung, ist gefühlt sogar der neue Normalzustand“, beschreibt Matthias Reith, Senior Ökonom für die österreichische Volkswirtschaft bei Raiffeisen Research, die aktuelle Konjunkturentwicklung. Für das Gesamtjahr 2022 erwartet Raiffeisen Research einen Preiszuwachs bei Wohnimmobilien von zumindest 8 Prozent. Sollte sich die boomende Immobiliennachfrage unvermindert fortsetzen, wäre ein Preiszuwachs von knapp 13 Prozent möglich. Allerdings dürfte das Jahr 2022 bei der Preisentwicklung zweigeteilt ausfallen. Im ersten Quartal legten die Immobilienpreise in Österreich laut der Nationalbank um 12,3 Prozent zu, nach 11,7 Prozent im Schlussquartal 2021. Das erste Halbjahr dürfte noch einen starken Preisschub bringen, der sich im zweiten Halbjahr aber abflachen sollte, vor allem aufgrund der verschärften Kreditvergabestandards und insbesondere der steigenden Zinsen. Selbst bei einer deutlichen Verlangsamung der Preisdynamik im zweiten Halbjahr stehen die Chancen allerdings nicht schlecht, dass 2022 ein weiteres Jahr zweistelliger Preisanstiege wird.

Ob es mittelfristig zu einer Vollbremsung oder gar dem Einlegen des Rückwärtsgangs kommt, hängt maßgeblich davon ab, wie stark dem Immobilienmarkt der zinsseitige Gegenwind entgegenbläst. Zweifellos gilt: Das Zinsrisiko ist momentan das größte Risiko für den Immobilienmarkt. „Immobilienzyklen sterben nicht an Altersschwäche, sondern werden umgebracht – ein markanter Zinsanstieg wäre sicherlich ein Ereignis, das dem heimischen Immobilienzyklus ein Ende bereiten und eine Preiskorrektur auslösen könnte“, analysiert Caspar Engelen, Immobilien-Experte bei Raiffeisen Research. 

Moderater Zinsanstieg erwartet

Wie stark der Dämpfer ausfallen könnte, würde davon abhängen, wie stark das Zinsniveau steige. Engelen rechnet auf Sicht mehrerer Jahre aber mit einem eher moderaten Zinsanstieg. Die prognostizierte Abflachung der Preise dürfte der Auftakt zu einer insgesamt merklich langsameren „Fahrtgeschwindigkeit“ sein. „Die Zeiten, in denen fortgesetzten Preisanstiegen kontinuierliche Zinsrückgänge gegenüberstanden und damit die Leistbarkeit unterm Strich kaum gesunken ist, sind jedenfalls vorbei“, gibt Engelen zu bedenken.

Gegen einen preislichen Sturzflug spricht zudem die Tatsache, dass der Höhenflug nicht mit dem Aufbau struktureller Fehlentwicklungen „erkauft“ worden sei. Denn ein überdimensionierter Bausektor oder ausufernde Verschuldung der privaten Haushalte waren klare Warnsignale etwa in Irland und Spanien, deren unrühmliche Immobilienblasen der frühen Nullerjahre mit der Finanzkrise geplatzt sind. Warnsignale sind in Österreich in dieser Form aber nicht zu finden.

Ein Foto mit Porträts von Caspar Engelen, Matthias Reith und Christian Vallant
Caspar Engelen, Matthias Reith und Christian Vallant (c) RBI (2); RBSK/Sabine Klimpt

Auch die hohe Inflation dürfte kein Stolperstein werden. „Wohnimmobilien waren in der Vergangenheit und weltweit betrachtet Inflationsgewinner, allerdings hängt das Ausmaß des realen Preisanstiegs von der Höhe der Inflation ab. Man kann also sagen: Die Dosis macht das Gift“, streicht Matthias Reith hervor. Am vorteilhaftesten erwiesen sich dabei Phasen erhöhter Inflation von etwa 5 bis 8 Prozent. Das aktuelle Inflationsumfeld in Österreich sei folglich genau jenes, in dem Wohnimmobilien historisch und global betrachtet den höchsten realen Preiszuwachs erzielt haben. Erst bei zweistelligen Inflationsraten boten Immobilien nur scheinbaren Schutz vor realem Wertverlust, warnt der Experte. Trotz des in den letzten Monaten zu beobachtenden Anstiegs der Kapitalmarktrenditen wird der reale Ertrag 2022 nochmals negativer ausfallen als in den Vorjahren. Eine inflationsgetriebene Nachfrage nach Immobilien („Grundbuch statt Sparbuch“) sollte daher im laufenden Jahr einen nicht unwesentlichen Faktor darstellen. 

Zudem kommt, dass Immobilien gerade in unsicheren Zeiten als sicherer Hafen an Attraktivität gewinnen. „Egal ob Finanzkrise, Eurokrise, Brexit oder eben Corona: Krisenzeiten waren gute Zeiten für den heimischen Immobilienmarkt. Denn genau dann schaltete der österreichische Immobilienmarkt immer einen Gang höher“, erinnert Engelen. Deshalb dürfte die aktuelle geopolitische Unsicherheit für sich genommen einen Unterstützungs- und keinen Belastungsfaktor darstellen. 

Rekordfinanzierung 

Vom bisherigen Immobilienboom konnte auch die Raiffeisen Bausparkasse (RBSK) im Finanzierungsgeschäft profitieren. In den ersten fünf Monaten 2022 erreichte diese mit 781,1 Mio. Euro einen absoluten Rekordwert. Im selben Zeitraum 2021 betrug dieser noch 674,1 Mio. Euro. „Auch wenn sich zu Beginn des Jahres erste Zinsschritte der EZB ankündigten und wir mit einer kurzfristig steigenden Nachfrage rechnen mussten, war der Ansturm, den wir gesehen haben, überwältigend“, resümiert RBSK-Geschäftsführer Christian Vallant. Von Jänner bis Mai gingen in der RBSK so viele Finanzierungsanfragen ein, wie sonst in einem sehr guten ganzen Geschäftsjahr zu verzeichnen sind. Allerdings geht auch Vallant von einem Einpendeln der Nachfrage im zweiten Halbjahr aus: „Mit der Aussicht auf mehrere Zinsschritte noch in diesem Jahr rechnen wir damit, dass die hohe Nachfrage wieder zurückgehen und sich auf stabilem Niveau einpendeln wird.“ Wenig Einfluss auf die Finanzierungsnachfragen in seinem Haus ortet der Geschäftsführer aufgrund der jüngst in Kraft getretenen Verordnung für nachhaltige Vergabestandards für Immobilienkredite der Finanzmarktaufsicht (FMA). „Als Bausparkasse haben wir seit jeher auf die Einhaltung unserer strikten Maßstäbe bei der Vergabe von Finanzierungen geachtet. Die neue Verordnung bringt für uns in der Praxis kaum Veränderungen“, so Vallant.

Sanierungen nehmen zu

Gerade aus Gründen des Klimaschutzes ist die Eindämmung von Bodenversiegelung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer hohen Wohn- und Lebensqualität ein wichtiges Ziel. Umso erfreulicher sei daher auch der deutliche Anstieg von Finanzierungen, die darauf einzahlen. Der Anteil an vergebenen Finanzierungen für Um- und Zubau sowie Sanierung und Renovierung hatte sich bei der RBSK zwischen 2019 und 2021 kaum verändert und bewegte sich bei Um- und Zubau zwischen 6,8 und 6,2 Prozent bzw. 4,2 und 5,3 Prozent bei Sanierungen und Renovierungen. Umso deutlicher fiel der Zuwachs in den ersten fünf Monaten 2022 aus: Bei Zu-/Umbau betrug dieser
8,3 Prozent und bei Sanierung/Renovierung gar 9,9 Prozent. Deutlich angestiegen sind auch die durchschnittlichen Darlehenssummen, die für diese Zwecke verwendet wurden. Diese stiegen bei Um- und Zubau von 103.000 Euro 2019 auf 145.000 Euro 2021 und bei Sanierung und Renovierung von 50.000 Euro 2019 auf 73.000 Euro 2021. In den ersten fünf Monaten 2022 ist hier allerdings ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen: Die durchschnittliche Darlehenssumme für Um- und Zubauten stieg auf 180.000 Euro, jene für Sanierung und Renovierung auf 99.000 Euro. „Die Tendenz, stärker auf Sanierung, Renovierung, Um- und Zubau zu setzen, stimmt absolut – besonders auch in Hinblick auf die Erhaltung hoher Wohn- und Lebensqualität für zukünftige Generationen“, resümierte Christian Vallant.