Digitale Unsterblichkeit für Jedermann

Die Österreichische Mediathek sichert das Medienarchiv der Salzburger Festspiele, um historische Aufnahmen für die Zukunft zu bewahren und öffentlich zugänglich zu machen.

Jedermann bei den Salzburger Festspielen
(c) Franz Neumayr/Picturedesk.com

Hätten Arturo Toscanini, Herbert von Karajan oder Riccardo Muti einst gewusst, dass ihre Originalaufnahmen in einem Obstdörrgerät landen, hätten sie vermutlich ungläubig den Kopf geschüttelt. Dabei wissen nur Experten auf dem Gebiet der Digitalisierung von alten Audio- oder Videoaufnahmen, dass diese Vorgehensweise den jeweiligen Mitschnitt retten kann. Gabriele Fröschl, Leiterin der Österreichischen Mediathek, ist quasi eine Koryphäe auf diesem Gebiet. (In diesem Artikel gibt sie Einblick in die Arbeit der Mediathek). Ihr letztes umfangreiches Projekt führte sie in das Medienarchiv der Salzburger Festspiele, um historische Aufnahmen langzeitgesichert und für alle zugänglich zu machen. „Mit dieser Kooperation haben sich die Salzburger Festspiele zum 100-Jahr-Jubiläum und die Mediathek zum 60. Geburtstag gegenseitig ein kostbares Geschenk gemacht. Die Festspiele können durch die Digitalisierung von Hausmitschnitten wichtige Produktion dem Vergessen entreißen. Die Mediathek wird durch die Zusammenarbeit noch wichtiger in ihrer Rolle als kulturelles Gedächtnis Österreichs“, zeigt sich Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler begeistert. Gerade die Rettung einer bestimmten Originalaufnahme versetzt sie in Hochstimmung: „Mich freut besonders, dass der herrliche Gerd Voss durch diese Digitalisierung dem Vergessen entrissen wurde. Die Römerdramen von Shakespeare in der Felsenreitschule gaben 1992 dem Schauspiel bei den Festspielen einen neuen, höheren Stellenwert.“ 

Zukunft braucht Vergangenheit 

Das Zeitalter der digitalen Verfügbarkeit ist längst in Kunst und Kultur angekommen, wobei die Pandemie Digitalisierungsmaßnahmen zusätzlich vorantrieb. „Dennoch liegt unsere Hauptaufgabe im Bewahren. Wir wollen auch in 100 Jahren noch auf wichtiges Kulturgut zugreifen können“, sagt Peter Aufreiter, Generaldirektor des Technischen Museums Wien mit Österreichischer Mediathek. Er betont, dass diese gelungene Kooperation deutlich macht, wie viele analoge Schätze in den Depots von ikonischen Kulturinstitutionen wie den Salzburger Festspielen schlummern. „Da historische Tonträger vom Verfall bedroht sind, ist es ein Wettlauf gegen die Zeit, diese bedeutenden kulturgeschichtlichen Dokumente zu digitalisieren, um das Kulturerbe auch für zukünftige Generationen zu bewahren“, so Aufreiter, der bewusst macht, dass es mit diesem Projekt nicht getan ist. Man müsse sich in den nächsten Jahren immer wieder aufs Neue Lösungen und innovative Technologien suchen, um zeitgerecht Abzuspeichern oder bestehendes Material zu überspielen. „Zukunft braucht Vergangenheit – und diese haben wir nun für zukünftige Generationen gesichert“, ergänzt Rabl-Stadler, die für Kunstliebhaber folgenden Tipp hat: „Schauspielinteressierte sollten unbedingt ein Ticket zur Einsicht lösen. Besonders empfehle ich auch den Mitschnitt vom ‚Il barbiere di Siviglia‘ mit dem auch heute noch unglaublich attraktiven Hermann Prey in der Hauptrolle.“ 

Das Geniale an dem neuen Projekt ist, dass ein großer Teil der Sammlung ab sofort auch online für die Öffentlichkeit zur Verfügung steht. „Dabei ist die wissenschaftliche Forschung nun der nächste Schritt, was von großer Bedeutung ist“, ergänzt Fröschl, die einen guten Überblick über den nun langzeitgesicherten Schatz mit einzigartigen Höhepunkten der europäischen Musik- und Theatergeschichte hat. „Man muss sich vorstellen, dass die Salzburger Festspiele ein über die Jahrzehnte gewachsenes Archiv aus Mitschnitten von Aufnahmen aus über 80 Jahren Festspielgeschichte aufbewahren. Bisher wurden 25 Terabyte Datenvolumen an Festspielgeschichte von der Österreichischen Mediathek digitalisiert und archiviert“, so die Leiterin der Österreichischen Mediathek. Seit November 2020 hat sie mit ihrem Team kistenweise Archivmaterial übernommen – in Summe eine gesamte LKW-Ladung, bestehend aus 330 Magnettonbändern mit Audioaufzeichnungen sowie 850 Videoaufnahmen auf VHS-, DV-, Hi8- und Betacam-Kassetten. Diese analogen Träger wurden digitalisiert und in mehrfach gesicherter Form im digitalen Massenspeicher der Österreichischen Mediathek archiviert. 

Wettlauf gegen die Zeit 

Die Salzburger Festspiele erhalten neben den Digitalisaten für das eigene Archiv auch die originalen, historischen Träger zurück. Seit 20. Oktober 2021 sind bereits 453 Aufnahmen von Theateraufführungen, Konzerten, Opernmitschnitten, Werkeinführungen und Festspielproben online auf der Website der Österreichischen Mediathek abrufbar. Damit könnten sich Interessierte derzeit also etwa zwei Monate rund um die Uhr mit Aufführungen der Salzburger Festspiele beschäftigen. Darunter zu finden sind Originalaufnahmen der berühmtesten Dirigenten ihrer Zeit wie Arturo Toscanini, Herbert von Karajan, Seiji Ozawa, Karl Böhm, Claudio Abbado oder Riccardo Muti, ebenso wie bedeutende Inszenierungen großer Regisseure aus mehreren Jahrzehnten wie Ernst Haeusserman, Peter Stein, George Tabori oder Hans Neuenfels. Die Sammlung beinhaltet ebenfalls eine Vielzahl von Stücken historischer und zeitgenössischer Dramatiker von William Shakespeare über Hugo von Hofmannsthal bis Peter Handke und ikonische InterpretInnen wie Agnes Baltsa, Anna Netrebko, Thomas Hampson, José Carreras oder Nicolai Ghiaurov. 

„Ton- und Videoaufzeichnungen können helfen, flüchtige Momente auf der Bühne für spätere Generationen zu bewahren. Aber auch die Träger dieser Aufnahmen haben nur eine beschränkte Lebensdauer. Digitalisierung und digitale Langzeitarchivierung sind die Voraussetzungen der dauerhaften Zugänglichkeit dieser Kulturdokumente für Wissenschaft und Forschung“, ergänzt Fröschl. Rabl-Stadler bezeichnet die abgeschlossene Digitalisierung als Sternstunden der Festspiele, da diese nun für die Ewigkeit gerettet sind. Abschließend meint die Präsidentin der Salzburger Festspiele: „Da es ein Wettlauf gegen die Zeit ist, ist es mir ganz wichtig, dass wir möglichst rasch die noch nicht digitalisierten Videos und Magnetbänder nach Wien in die Österreichische Mediathek senden dürfen. Ein großes Dankeschön an das außergewöhnliche Engagement des dortigen Teams unter Gabriele Fröschl. Ich habe das schöne Gefühl, dass alle von unserer Begeisterung für die Salzburger Festspiele angesteckt sind.“