„Sonst gäbe es uns nicht mehr …“

Mit neuem Trainer und viel positiver Energie bestreitet die HSG Graz ihre fünfte Saison im Oberhaus des österreichischen Handballs. Langzeit-Obmann Michael Schweighofer erklärt, worauf es im Kampf gegen finanziell übermächtige Gegner ankommt und wie er den Klub langfristig positionieren will.

HSG Graz-Handballer Paul Offner in Aktion
Bei den Heimspielen der Grazer soll künftig aufgrund sportlicher Erfolge wieder öfter „die Hütte brennen“. Mit einem Fassungsvermögen von 3.000 Zuschauern wäre im Raiffeisen Sportpark in der Hüttenbrennergasse dafür Platz genug. (c) GEPA Pictures/Franz Pammer

Handball ist die wahrscheinlich einzige Sportart, in der sich innerhalb von zehn Sekunden ganze Lebensläufe verändern können. Eine Erfahrung, die man bei der HSG Graz am 12. Mai 2018 gemacht hat. 23:23 steht es im entscheidenden Spiel um den Klassenerhalt gegen Bruck, als die Gäste zehn Sekunden vor der Schlusssirene eine 100-prozentige Torchance haben. „Unser Tormann kommt irgendwie an den Ball, und im direkten Gegenzug schaffen wir eine Sekunde vor dem Ende den Treffer zum Sieg“, erinnert sich Michael Schweighofer, seit der Neugründung des Klubs 1996 umtriebiger Obmann, an eines der wichtigsten Spiele der gesamten Klubgeschichte. Ein Gänsehaut-Moment. „Wäre das nicht passiert, hätten wir das als Klub womöglich nicht überlebt, wir wären im darauffolgenden Jahr nicht sechs Runden lang Tabellenführer gewesen und unser Trainer Aleš Pajovič wäre nicht österreichischer Teamchef geworden.“ Es ist aber passiert, weswegen HSG Graz derzeit ihre fünfte Saison im Oberhaus spielen und das Ziel verfolgen, nach zwei eher enttäuschenden Jahren wieder in die Play-offs zu kommen.

Ein Unterfangen, das für einen finanziell nicht gerade auf Rosen gebetteten Klub eine Mammutaufgabe darstellt. Und für dessen Gelingen man im Vorfeld mutige Entscheidungen treffen muss. Zum Beispiel die, mit René Kramer einen neuen Trainer zu verpflichten, mit dem man lange in herzlicher Abneigung verbunden war. „Als wir beide noch aktive Spieler waren, haben wir uns schon auf dem Spielfeld alles angetan, was man einander antun konnte. Und auch als er ein junger Trainer und ich ein junger Funktionär war, flogen zwischen uns die Fetzen“, erzählt Schweighofer mit einem Lachen. Da er aber wusste, dass Kramer mit dem nötigen Maß an Verrücktheit gesegnet ist, das es braucht, um im Handball erfolgreich zu sein, verpflichtete er ihn vor dieser Saison. „Die Energie, die wir früher gebraucht haben, um gegeneinander zu arbeiten, addiert sich jetzt zum Wohle des Klubs. Ich bin davon überzeugt, dass dies eine lange und erfolgreiche Zusammenarbeit werden kann.“

Im besten Handball-Alter

Und das mit einer Mannschaft, die in ihren Grundfesten im besten Handball-Alter ist. Zwar ist das Durchschnittsalter mit 22,5 Jahren sehr gering, als eine Truppe von jungen Wilden geht der Kader allerdings nicht durch. „Unsere Führungsspieler, die den Kern der Startaufstellung bilden, sind zwischen 26 und 28 Jahren“, erklärt Schweighofer, im zivilen Leben beim Land Steiermark für Tourismus-Projekte zuständig. „Dahinter lauert aber eine ganze Reihe von vielversprechenden Nachwuchsspielern, die jedes Jahr an Reife gewinnen und uns langfristig in der Breite verbessern sollen.“

Zu den absoluten Topspielern der HSG Graz gehört der frühere serbische Nationalspieler Nemanja Beloš. Der 27-Jährige wechselte im Jahr des Aufstiegs aus Bregenz an die Mur und ist jedes Jahr für 150 bis 200 Tore gut. „Er ist einer der besten Legionäre, die die gesamte Liga zu bieten hat, war 2018/19 sogar der beste Torschütze des Grunddurchgangs“, weiß Schweighofer. Und verrät seinen Plan, ihn spätestens mit Saisonende zu einem Österreicher zu machen. „Er fühlt sich in Graz pudelwohl, gehört zu den Aushängeschildern des Klubs. Wenn wir alle Instanzen durchlaufen haben, hoffen wir, dass er auch dem rot-weiß-roten Nationalteam helfen kann.“

Was der HSG Graz übrigens schon öfter gelungen ist. Bei der spektakulären Heim-EURO 2020 waren mit Tormann Thomas Eichberger und Daniel Dicker nicht nur zwei Spieler der HSG mit an Bord, sondern mit besagtem Aleš Pajovič auch der Trainer, der zwischen 2015 und 2019 seine ersten Meriten auf der Bank der Grazer erwarb. Er stieg mit dem Klub auf, schaffte den Klassenerhalt und führte ihn für einige Runden sogar bis an die Tabellenspitze, ehe ihn der Österreichische Handballbund als Nationaltrainer abwarb. „Natürlich macht uns das stolz“, gibt Schweighofer unumwunden zu. Auch wenn es in der Nach-Pajovič-Ära zuletzt zweimal nacheinander nicht gelang, das Saisonziel Play-off-Teilnahme zu erreichen, was allerdings vielschichtige Gründe hatte. „Wir hatten auf der einen Seite Pech mit Verletzungen, auf der anderen Seite hat uns die Corona-Situation zugesetzt, auch wenn wir selbst direkt nicht betroffen waren. Aber wenn Spiele aufgrund von Corona-Fällen der Gegner verlegt werden müssen und wir beim Nachholtermin fünf verletzte Stammspieler haben, ist das für einen Klub wie wir es sind nicht zu kompensieren.“

Kein Kinderspiel

Überhaupt lässt Schweighofer keinen Zweifel, dass es alles andere als ein Kinderspiel ist, einen Handballklub auf höchstem Niveau konkurrenzfähig zu halten. Angestellte Mitarbeiter kann man sich nicht leisten, Aktivitäten im Marketing oder der Öffentlichkeitsarbeit werden oft im Familienkreis ersonnen und umgesetzt. Das Budget ist im Vergleich zu den Klubs aus Wien oder Vorarlberg begrenzt, der Kampf um Sponsoren auf einem Markt wie Graz, wo auch Fußball (Sturm, GAK) oder Eishockey (99ers) auf höchstem Niveau gespielt werden, hart. Umso froher ist man, mit Raiffeisen einen Partner zu haben, der sich auch in schwierigen Pandemie-Zeiten als treu und verlässlich erweist. „Wir wissen, dass das nicht selbstverständlich ist. Aber ich habe das Gefühl, dass man dort unsere ehrliche und harte Arbeit für den Sport zu schätzen weiß.“

Mit einem Trumpf kann die HSG Graz im Vergleich zur Konkurrenz allerdings aufwarten. Denn seit 2018 trägt man die Heimspiele im top-modernen Raiffeisen Sportpark in der Hüttenbrennergasse (Motto: „Die Hütte brennt“) aus. Während andere Klubs oft Schulsporthallen-Atmosphäre verströmen, herrscht dort professionelles Handball-Ambiente. Der Haken: Durch das Fassungsvermögen von 3.000 Zuschauern wirken die knapp 1.000 Fans, die zu den Matches strömen, manchmal etwas verloren. „Auch das ist eines unserer Ziele: Es muss uns gelingen, noch mehr Fans anzulocken, um den Vorteil unserer tollen Halle richtig ausspielen zu können.“

Denn langfristig, so Schweighofer, soll das Ziel sein, nicht nur irgendwie die Play-offs der besten acht Teams zu erreichen, sondern in die Phalanx der besten vier Teams vorzustoßen. Damit Handballfeste wie jenes gegen Bruck 2018 öfter vorkommen und die Massen in der steirischen Hauptstadt begeistern. „Ich weiß nicht, ob uns das gelingen wird“, sagt Schweighofer. „Aber ich werde bis zum Beweis des Gegenteils mit aller Emotionalität Tag und Nacht dafür arbeiten.“